Neapel/Berlin. Beim Ausbruch des Vesuvs verbrannten auch wertvolle Papyrusrollen. Ihr Geheimnis schien für immer verloren. Bis jetzt.

Die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz scheinen fast unbegrenzt zu sein. Offenbar wird KI aber nicht nur die Zukunft in großem Stil gestalten, sondern auch einen neuen Blick auf längst Vergangenes erlauben. Das Projekt „The Vesuvius Challenge“ macht es vor.

Um was geht es? Bekanntlich wurde beim verheerenden Ausbruch des Vesuvs am 24. August des Jahres 79 nach Christus nicht nur Pompeji, sondern auch die kleinere Nachbarstadt Herculaneum komplett zerstört. Die Stadt versank unter einer 20 Meter dicken vulkanischen Schicht, die sich beim Abkühlen zu einer dichten Masse von Tuffstein verfestigte. Unter dieser lag Herculaneum praktisch abgeschlossen von Luft, was den guten Erhaltungszustand der Gebäude erklärt.

Die gut erhaltene Ruinenstadt von Pompeji gehört zu den absoluten Top-Sehenswürdigkeiten Italiens.
Die gut erhaltene Ruinenstadt von Pompeji gehört zu den absoluten Top-Sehenswürdigkeiten Italiens. © dpa | Pier Paolo Metelli/Archaeological Park of Pompeii/dpa-tmn

Auch die Villa dei Papiri wurde unter Tuffsteinmassen begraben. Darin befand sich eine umfangreiche Bibliothek mit etwa 1800 Papyrusrollen, die beim Ausbruch des Vulkans verbrannten. Die Texte auf den verkohlten Schriftrollen schienen für immer verloren — bis, nun ja, bis Wissenschaftler der Universität von Kentucky einigen Rollen mit einem Teilchenbeschleuniger, Röntgentomografie und Künstlicher Intelligenz zu Leibe rückten. Das Ergebnis waren hoch aufgelöste CT-Scans, die die Schrift auf den Rollen allerdings noch immer nicht entzifferbar machten.

Tech-Unternehmen loben für Entzifferung eine Million Dollar aus

Mithilfe großzügiger Sponsoren riefen die Wissenschaftler daher „The Vesuvius Challenge“ ins Leben. Für neue Erkenntnisse bei der Entzifferung der Papyri lobten zwei Unternehmen aus der Tech-Branche Preisgelder in Höhe von insgesamt einer Million Dollar aus. Etwa 100 Teams haben sich derzeit der Aufgabe verschrieben, die antiken Schriftrollen wieder lesbar zu machen.

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In der Tat wurden schon erste, wenn auch kleine Teilerfolge erzielt. Und zwar dank Künstlicher Intelligenz. Ein 21 Jahre alter Informatik-Student von der Universität Nebraska, Luke Farritor, war bisher am erfolgreichsten. Basierend auf Ergebnissen anderer Tüftler gelang es ihm, einen Algorithmus so weit zu perfektionieren, dass auf der Fläche eines Papyrus vorher nicht sichtbare altgriechische Buchstaben und sogar ein ganzes Wort lesbar wurden. Πορφυρας (Porphyras) ist das erste, das man nun auf einer der Rollen lesen kann. Das Wort bedeutet übersetzt so viel wie „purpurfarben“ oder „purpurfarbene Kleidung“.

Ein Student aus Nebraska machte das erste Wort auf der Rolle lesbar

Farritors Entdeckung war den Sponsoren ein Preisgeld von 30.000 Dollar wert. Der ägyptische Student Youssef Nader, der derzeit an der FU Berlin studiert, reichte seine Lösung kurz nach Farritor ein und erhielt dafür immerhin noch 10.000 Dollar Preisgeld. Nader war es mit seinem Algorithmus gelungen, sogar mehrere Zeilenreihen mit Buchstaben auf einem Papyrus sichtbar zu machen.

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Bis zur Entzifferung des gesamten Konvoluts an Papyri ist es zwar noch ein weiter Weg, aber dank der „Vesuvius Challenge“ wurde laut dem Urteil von Wissenschaftlern schon ein Meilenstein erreicht. Federica Nicolardi, Papyrologin an der Università degli Studi di Napoli Federico II in Neapel, brachte es bei einer Pressekonferenz, bei der die Erkenntnisse präsentiert wurden, auf den Punkt. Ihre Worte: „Das ist der Wahnsinn!“