Berlin. Ampel-Koalition und Länderchefs ringen um den richtigen Kurs in der Pandemiepolitik. Die Zeit drängt. Worauf einigt sich die Runde?

Es ist ein ungewohntes Bild: Nach zahllosen Ministerpräsidentenkonferenzen im digitalen Corona-Modus sind die Regierungschefinnen und -chefs am Donnerstag bei ihrem Treffen in Berlin wieder ohne Abstand und Maske in Berlin zusammen gekommen.

Doch das Bild trügt. Corona ist nicht vorbei, die Pandemie bleibt eine zentrale Frage, auch beim Spitzentreffen der Länder mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Nachmittag. Spätestens für den Herbst erwarten Experten wieder steigende Fallzahlen. Die Zeit drängt, in der Politik aber droht ein zähes Ringen um den richtigen Kurs zwischen Bund und Ländern, vor allem aber auch innerhalb der Ampel-Regierung.


Einig sind sich Bund und Länder darin, dass Deutschland diesmal besser vorbereitet in dem Corona-Herbst gehen muss. „Wir haben jetzt Sommerreifen drauf“, sagte Kanzler Scholz am Abend nach dem Treffen. Man brauche aber - um im Bild zu bleiben - auch Winterreifen. Und, falls es eine sehr eisige Landschaft werde, „vielleicht auch Schneeketten und was weiß ich“. Mit anderen Worten: Bund und Länder wollen aus den Fehlern der ersten beiden Pandemiejahre lernen, als das Land relativ unvorbereitet in den Corona-Herbst stolperte.

Corona: Abwärtstrend der Fallzahlen gerät ins Stocken


Doch der Kanzler steigt sogleich wieder auf die Bremse: „Schnellschüsse“ soll es nicht geben - und kann es auch gar nicht. Weil für schnelle Beschlüsse zum Corona-Kurs für den Herbst in seiner eigenen Koalition aus SPD, Grünen und FDP bislang keine Einigung besteht. Klar ist nur: Die Impfquote muss steigen, die Datenbasis muss besser werden, die Politik muss im Ernstfall reagieren können. Mit welchen Maßnahmen und auf welcher Grundlage – das ist noch völlig offen.

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Die Fronten verlaufen dabei kreuz und quer: Die Gesundheitsminister der Länder sind sich mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und seinem grünen Koalitionspartner darüber einig, dass das Infektionsschutzgesetz (IfSG) so überarbeitet werden muss, dass die Länder bei steigenden Zahlen auch wieder eine generelle Maskenpflicht in Innenräumen sowie 2G- und 3G-Regeln anordnen können.

Ein Mitarbeiter testet einen Mann an einer Corona-Teststation.
Ein Mitarbeiter testet einen Mann an einer Corona-Teststation. © dpa

Die FDP im Bundestag dagegen pocht darauf, keine „Maßnahmen auf Vorrat“ zu beschließen. Die Länder verlangten nun von der Ampel-Regierung Entscheidungen, so NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) am Nachmittag. Der Bund habe im vergangenen Herbst die Corona-Politik an sich gezogen. „Jetzt wünschen wir uns, dass er sagt, wie es weitergeht.“ Die Zusage immerhin gab es am Abend: Die Bundesregierung will nun den Ländern einen Vorschlag machen.

Corona-Herbst: Expertenrat rechnet mit Kliniken an der Belastungsgrenze


Das Treffen in Berlin fällt in eine neue Phase der Pandemie: Der Abwärtstrend bei den Fallzahlen scheint sich aktuell nicht fortzusetzen, Sorgen bereitet den Experten zudem die Ausbreitung der hochinfektiösen Omikron-Subvarianten BA.4 und BA.5. Es ist die Virologin Sandra Ciesek, die in der Nacht zum Donnerstag der Bund-Länder-Runde via Twitter einen profunden Lagebericht mit auf den Weg gibt: „Ich denke, BA.4/ BA.5 werden sich auch hier durchsetzen“, schreibt Ciesek.

Und weiter: „Insbesondere wenn die vorherige Infektion beziehungsweise Impfung schon länger zurückliegen, kann man sich wieder mit BA.4 und BA.5 infizieren.“ Bisher gebe es keine Beweise, dass sich die Krankheitsschwere mit den beiden neuen Subvarianten wesentlich verändert habe. „Abschließend ist das aber noch nicht geklärt.“


Hinzu kommt: Der Expertenrat der Bundesregierung geht davon aus, dass es im Herbst und Winter nicht nur erneut zu einem starken Anstieg der Corona- Infektionen kommen wird, sondern auch zu einer Zunahme anderer schwerer Atemwegserkrankungen, etwa der Grippe. Heißt: Die Kliniken könnten erneut an ihre Belastungsgrenze kommen. Das Problem: Ohne rechtzeitige Einigung stehen Bund und Länder spätestens Ende September mit leeren Händen da. Die aktuell gültigen Corona-Basismaßnahmen laufen zum 23. September aus.


Einfacher als bei den gesetzlichen Maßnahmen ist die Verständigung auf eine neue Impfkampagne: Bis Donnerstag waren rund 60 Prozent der Deutschen vollständig geimpft und auch bereits einmal oder zwei Mal geboostert. Noch immer sind aber auch rund 15 Millionen Bürgerinnen und Bürger, für die eine Impfung möglich wäre, komplett ungeimpft. Gesundheitsminister Lauterbach hat bereits angekündigt, dass im Herbst drei Impfstofftypen zur Verfügung stehen sollen, um auf möglichst viele Szenarien vorbereitet zu sein. Der Bund will sich überdies bis zum Jahresende an der Finanzierung der Impfzentren beteiligen.


Unstrittig ist auch der Wille, dass es nicht mehr zu flächendeckenden Schulschließungen kommen soll. Wie das im Ernstfall gewährleistet werden soll? Unklar. Um mit Masken- und Testpflichten für Schüler und Lehrer eine mögliche Welle zu stoppen, müsste beides rechtzeitig im Infektionsschutzgesetz verankert werden.

Dieser Artikel ist zuerst auf morgenpost.de erschienen