Berlin. Corona an den Schulen: Berlin hat die Präsenzpflicht ausgesetzt – auch in anderen Regionen liegen die Nerven blank. Ein Überblick.

Die Omikron-Welle flutet das Land. Die höchsten Inzidenzen gibt es unter Schülerinnen und Schülern, das Virus läuft vielerorts scheinbar ungebremst durch die Klassenzimmer. Berlin hat jetzt die Reißleine gezogen und die Präsenzpflicht ausgesetzt. Wie sieht es in anderen Regionen aus?

Berlin zieht die Reißleine

An den Berliner Schulen ist die Präsenzpflicht Anfang der Woche überraschend aufgehoben worden. Seit Dienstag können die Eltern nun selbst entscheiden, ob ihr Kind die Schule besucht oder zu Hause an Aufgaben und Projekten arbeitet.

Die Regel gilt zunächst bis Ende Fe­bruar. Mit dieser Entscheidung vollzogen die Bildungsverwaltung und der rot-grün-rote Senat einen deutlichen Richtungswechsel. Bis zuletzt hatte auch die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) immer wieder betont, so lange wie möglich am Präsenzunterricht festhalten zu wollen.

Omikron hat uns überholt“, sagte Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD). Hinzu kam noch, dass die Berliner Amtsärzte angekündigt hatten, direkte Kontaktpersonen von Schülern mit Corona-Infektionen nicht mehr in Quarantäne zu schicken.

Die Infektionszahlen unter den Schülern steigen seit Wochen rasant an. Am 21. Januar meldete die Bildungsverwaltung 13.571 positiv getestete Schülerinnen und Schüler an den Berliner allgemeinbildenden Schulen, beim Schulpersonal wurden 1473 Fälle gemeldet, 397 Lerngruppen mussten aufgrund des Infektionsgeschehens geschlossen werden. Lesen Sie hier den Kommentar: Omikron in den Schulen: Das ist wie eine schmutzige Impfung

Der Landeselternausschuss hatte bereits vor Weihnachten das Aufheben der Präsenzpflicht gefordert. Kritik an Busses Entscheidung kommt aber von der Opposition und vielen Verbänden. Die einen sprechen von einer „Bankrotterklärung“, Lehrerpräsident Heinz-Peter Meidinger hält sie für falsch.

Rund 100 Schüler essen gemeinsam in der Mensa einer Schule in Mülheim an der Ruhr.
Rund 100 Schüler essen gemeinsam in der Mensa einer Schule in Mülheim an der Ruhr. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

In NRW liegen die Nerven blank

Seit zwei Jahren streitet in NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) mit Lehrergewerkschaften, Schulleitern und Elternverbänden erbittert über Schule in der Pandemie. Die Landesregierung ordnet ihrem Ziel, den Präsenzunterricht zu sichern, alles unter. Lehrer und Familien verzweifeln im Corona-Stress.

In dieser Woche erreichte der Streit aber einen neuen Höhepunkt: Wegen der Überlastung der Testlabore werden zu den PCR-Lolli-Tests von Grundschulklassen ab sofort keine „Rückstellproben“ mehr untersucht, die Aufschluss darüber geben, welches Kind in einer Klasse infiziert ist.

Folge: Eine im PCR-Laborverfahren positiv getestete Klasse soll am nächsten Morgen zum Selbsttest in die Schule gehen. Erzürnte Grundschulleiter lassen aus Protest weiße Flaggen hissen, der Ruf nach dem Rücktritt der Ministerin wird lauter. Omikron treibt derweil das Infektionsgeschehen in den Schulen auf neue Rekorde.

Die Zahl der Schülerinnen und Schüler aller Schulformen, die coronabedingt nicht am Präsenzunterricht teilnehmen können, hat sich in NRW zuletzt im Wochenvergleich auf mehr als 100.000 verdoppelt. 5,3 Prozent der Schüler waren infiziert oder befanden sich in Quarantäne.

Dramatische Fallzahlen in Hamburg

Hamburg zählte während des ersten und zweiten Lockdowns zu den Bundesländern, in denen die Schulen am längsten geschlossen waren. Aus der vielfachen Kritik daran zog Schulsenator Ties Rabe (SPD) eine Konsequenz, die er seitdem eisern durchhält: Eine erneute Schließung darf nur als allerletzte Maßnahme infrage kommen.

Auch an den Hamburger Schulen steigt die Zahl der Infektionen dramatisch an. Noch ist es die Linie des rot-grünen Senats, an der Präsenzpflicht festzuhalten, obwohl es vor allem auf grüner Seite Stimmen gibt, sie vorübergehend auszusetzen.

Rabe hat erklärt, die Sieben-Tage-Inzidenz sei nicht mehr der zentrale Maßstab für Einschränkungen des Präsenzunterrichts. Erst wenn die Gefahr schwerer Erkrankungen für Schüler drohe, müsse über Schulschließungen nachgedacht werden.

Sorge bereitet der Schulbehörde die Entwicklung des Krankenstandes von Lehrerinnen und Lehrern. Um Ausfälle auszugleichen, können Schulen Doppelbesetzungen im Unterricht abbauen und Klassen zusammenlegen. Erste Schulen mussten dennoch den Unterricht bereits einschränken.

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Flickenteppich in Niedersachsen

Es gab Zeiten, da war Niedersachsen sehr stolz auf sein Schulmodell mit den landesweiten Szenarien A, B und C. Die standen für vollen Präsenzunterricht unter Corona-Bedingungen (A), ein Wechselmodell mit geteilten Klassen (B) und das komplette „Distanzlernen“ (C) zu Hause.

Doch damit ist es längst vorbei. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) betonen nun immer wieder den Vorrang des Präsenzunterrichts – im vollen Einklang mit der Kultusministerkonferenz.

Ob ganze Schulen geschlossen, Klassen oder auch einzelne Schülerinnen und Schüler nach Hause geschickt werden, entscheiden die örtlichen Gesundheitsbehörden. Mitte der Woche waren von den rund 3000 niedersächsischen Schulen rund 9070 Positivfälle bei Schülerinnen und Schülern gemeldet worden, bei 1,1 Millionen Schulkindern. 470 Lehrer waren betroffen.

Landesweit waren zwei Grundschulen vollständig im Distanzlernen. An 31 Schulen befanden sich „partiell“ etwa 72 Klassen und Kurse sowie vier Jahrgänge im Distanzlernen.

Thüringen ist noch vor der Welle

In Thüringen, wo die Omikron-Welle noch nicht richtig angekommen ist, setzt der linke Bildungsminister Helmut Holter in erster Linie auf Präsenzunterricht. Schulleiter können aber selbst darüber entscheiden, wie sie das im Detail vor Ort organisieren. Nach aktuellen Angaben gibt es derzeit keine Schule, die komplett im Distanzunterricht ist.

131 von 969 Schulen arbeiteten allerdings im eingeschränkten Präsenzunterricht. Die Schulen meldeten aus der vergangenen Woche insgesamt 1172 Infektionsfälle und 3552 Quarantänefälle. Derzeit werden hier zweimal pro Woche Corona-Schnelltests durchgeführt, angesichts der sich ausbreitenden Omikron-Virusvariante prüft der Bildungsminister jedoch eine höhere Frequenz. Lehrerverbände fordern das schon lange.