Washington. . Die Grammys gehören zu den wichtigsten Musikpreisen der Welt. Während der Verleihung am Sonntag wurde es allerdings auch politisch.

Dass es bei 22.000 eingereichten Songs und Alben nicht einfach werden würde, in fast 90 Kategorien zielsicher die besten Werke zu prämieren, lag auf der Hand, bevor Trevor Noah die 64. Verleihung der Grammys in der MGM Arena von Las Vegas durch "Silk Sonic" mit ihrer elektrisierenden Live-Nummer ("777") eröffnen ließ.

Die Funk-Casanovas um Bruno Mars und Anderson Paak, die sich karamelsahneschmelzig und stets locker in den Hüften durch die schwarze Musik der 70er und 80er Jahre schmachten, zum Eisbrecher des Abends der US-Musikbranche gemacht zu haben, war im Nachhinein ein Glücksgriff. Ihr "Leave The Door Open" räumte in zwei der vier prestigeträchtigsten Kategorien - "beste Aufnahme" und "bester Song" - ab.

Grammys: Fünf Preise für Multitalent Jon Batiste

Der mit elf Nominierungen gestartete Jon Batiste, ein seltenes Multi-Talent (Sänger, Pianist, Komponist, Jazz-Interpret, Schauspieler, Model) aus New Orleans, ging am Ende mit fünf Grammys nach Hause; darunter die Königs-Disziplin für das Album des Jahres: "We are".

Jon Batiste war mit fünf Grammys der große Sieger des Abends.
Jon Batiste war mit fünf Grammys der große Sieger des Abends. © dpa

Die im Vorfeld mit Durchmarsch-Chancen geadelte Olivia Rodrigo, für deren Führerschein-Lied ("Drivers Licence") Millionen jederzeit freiwillig durch Prüfung plus Idiotentest fallen würden, bekam - und das mit erst 19 Jahren - drei Grammys, darunter für das beste Pop-Album ("Sour").

Batiste wie Rodrigo verzichten in ihre Dankesreden auf Sequenzen zum Fremdschämen. Die junge Frau aus dem kalifornischen Temecula bedankte sich sehr ehrenhaft bei Eltern und Song-Mitschreiber Dan Nigro. Der Bandleader der "Late Night Show" von Stephen Colbert bekam Beifall für seinen prinzipiellen Zweifel an Sinn und Zweck von derlei Shows: "Ich bin davon zutiefst überzeugt: Es gibt keinen besten Musiker, besten Künstler, besten Tänzer, besten Schauspieler. Die kreativen Künste sind subjektiv und sie erreichen die Menschen an einem Punkt in ihrem Leben, wenn sie sie am meisten brauchen."

Olivia Rodrigo, Gewinnerin der Preise für das beste Pop-Gesangsalbum („Sour
Olivia Rodrigo, Gewinnerin der Preise für das beste Pop-Gesangsalbum („Sour"), die beste neue Künstlerin und die beste Pop-Solodarbietung für „Drivers License". © dpa | John Locher

Taylor Hawkins: "Foo Fighters" bekommen drei Grammys

Witze über neulich, Sie wissen schon, Will Smith und die Oscar-Ohrfeige des Jahrhunderts, waren bei den Grammys natürlich nicht ganz zu vermeiden. Ein Präsentator kam im überdimensionierten Helm auf die Bühne. Andere hielten das Publikum präventiv an, doch bitte 500 Fuß Abstand zu wahren. Moderator Noah plädierte dafür (anders als Will Smith respektive Chris Rock), einfach andererleuts Namen nicht in den Mund zu nehmen…

Was sonst noch war? Taylor Hawkins, der kürzlich mit 50 gestorbene Schlagzeuger der "Foo Fighters", kriegt heute gleich drei Preise in den Himmel geschickt. Beste Rock-Darbietung ("Making A Fire"), bester Rock-Song ("Waiting On A War") und bestes Rock-Album ("Medicine At Midnight"). Billie Eilish, in den vergangenen zwei Jahren die erfolgreichste Grammy-Preisträgerin, erwies dem Ausnahme-Drummer mit einem Konterfei auf ihrem Schlabber-T-Shirt und an der Seite ihres Bruders Finneas mit einer rockdröhnigen Version von "Happier Than Ever" die Ehre.

Doja Cat bringt den Spruch des Abends bei den Grammys

Der Spruch des Abends ging aber nicht auf ihr Konto. "Ich habe noch nie in meinem Leben so schnell gepinkelt", sagte Doja Cat, die auf dem Klo von ihrem Gewinn in der Kategorie Pop-Duo (mit SZA) für den Song "Kiss Me Moore" erfuhr und in Stilettos auf die Bühne eilte.

Für die Generation Ü-50 plus gut zu wissen. Joni Mitchell lebt und lacht. Die 78-Jährige war seit ihrer schweren Erkrankung 2015 kaum mehr öffentlich präsent. Mit Blues-Star Bonnie Raitt legte sie den Teppich für ihre Freundin Brandi Carlile aus. Hach!

Grammys: Lady Gaga performt live

Und: Mit 95 und Alzheimer war Tony Bennett für das beste traditionelle Pop-Album "Love for Sale" (nach Cole Porter) ein Live-Auftritt nicht mehr zuzumuten. Seine Partnerin bei diesem Projekt, Lady Gaga, sang für ihn umso beseelter mit.

Apropos: Seele. Im Country-Genre hat der souligste und R &-B-fähigste Cowboy-Hutträger Nashvilles die Trophäe für das Album "Starting Over" abgeräumt: Chris Stapleton. Wer ihm mit geschlossenen Augen zuhört, glaubt an die Wiederauferstehung von Otis Rettung.

Überraschungsgast sorgt für Aufregung

Lenny Kravitz ragte unterdessen aus dem Heer der als Ansager und Preisüberbringer angeheuerten Aufmerksamkeitsjongleure heraus. Dass und wie der bald 58-Jährige das annähernd 30 Jahre alte "Are You Gonna Go My Way" (mit der wunderbaren H.E.R. an seiner Seite) in den Saal zu schleudern wusste, nötigte vielen Respekt ab.

Letzterer gebührte aber vor allem einem Gast, der sich aus prekärer Lage nach Las Vegas zuschalten ließ.

Grammys: Wolodymyr Selenskyj spricht per Videobotschaft

Vor einem freiheitsliebenden Special ("Free") mit John Legend am Piano rief Wolodymyr Selenskyj der Grammy-Schar in einer vorher in einem Bunker in Kiew aufgenommenen Ansprache leidenschaftlich ins Gewissen. "Unsere Musiker tragen Schutzweste statt Smoking", sagte Selenskyj, der im Krieg stehende Präsident der Ukraine, "sie singen für die Verletzten. In den Krankenhäusern. Auch für die, die sie nicht hören können."

"Grammy"-Verleihung in Las Vegas: Überraschend wurde eine Videobotschaft des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gezeigt. © Chris Pizzello/Invision via AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ | Chris Pizzello/Invision via AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Dann fügte der ehemalige Comedian hinzu: "Wir kämpfen gegen Russland, das eine schreckliche Stille mit seinen Bomben erzeugt. Die Todesstille. Füllt diese Stille mit eurer Musik. Sagt in euren sozialen Netzwerken die Wahrheit über den Krieg, im Fernsehen, unterstützt uns auf jede erdenkliche Weise - aber nicht mit Stille."