Berlin. Für viele Parlamentarier ist der Stil der AfD im Bundestag eine Art offene Kriegsführung. Die Partei selbst fühlt sich ausgegrenzt.

Für Petra Pau kam der Moment, in dem sie verstand, wie die AfD funktioniert, an einem späten Donnerstagabend im Januar 2018. Am Nachmittag hatte das Parlament den AfD-Abgeordneten Roman Reusch durchfallen lassen bei der Wahl ins Parlamentarische Kontrollgremium, das die Aufsicht über die Geheimdienste hat.

Die AfD war erbost. Wenn man Kriege haben wolle im Bundestag, „dann kann man auch Krieg kriegen“, schimpfte Fraktionschef Alexander Gauland in die Fernsehkameras.

Der Ankündigung folgte noch am späten Abend desselben Tages die Umsetzung: Kurz vor 23 Uhr soll der Bundestag abstimmen über die Überweisung mehrerer Themen in die Ausschüsse, als die AfD anzweifelt, ob das Parlament beschlussfähig ist.

Der Bundestag muss an dem Abend mit einem Hammelsprung reagieren

Jürgen Braun, damals Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion, hat ein Lächeln auf dem Gesicht, als er das sagt, die Hände vor dem Bauch gefaltet. Das Lächeln bleibt, auch als sich Unruhe im Plenum ausbreitet. Denn mit der Anzweiflung am späten Abend ist klar, der Bundestag muss mit einem sogenannten Hammelsprung die anwesenden Abgeordneten durchzählen.

Ein langwieriges Prozedere, viel verlorene Zeit, und das alles wegen einer Überweisung in den Ausschuss. Es ist der angekündigte Krieg, mit den Mitteln der Geschäftsordnung. „Es ging nicht einmal um etwas Inhaltliches“, sagt Pau.

Laut und im Angriffsmodus: Der 80-jährige AfD-Fraktionschef Alexander Gauland im Bundestag, neben ihm Co-Fraktionschefin Alice Weidel.
Laut und im Angriffsmodus: Der 80-jährige AfD-Fraktionschef Alexander Gauland im Bundestag, neben ihm Co-Fraktionschefin Alice Weidel. © AFP via Getty Images | ODD ANDERSEN

Für sie sei es ein Schlüsselerlebnis gewesen, um zu begreifen, wie die AfD-Fraktion agiere. „Sie sind demokratisch gewählt, sie haben alle Möglichkeiten gewählter Vertreter und sie nutzen sie nur destruktiv, sie bekriegen die Institution.“

In den vergangenen vier Jahren haben sich Parlament und AfD verändert

Die Linke-Politikerin ist seit 15 Jahren Vizepräsidentin des Bundestags, sie hat vieles erlebt im Parlament, kontroverse Themen, harte Debatten. Doch nichts davon war vergleichbar mit dem, was seit 2017 passiert. Mit der AfD ist etwas Neues eingezogen. In den vergangenen vier Jahren haben sich sowohl das Parlament als auch die Partei verändert.

Als die neue Fraktion sich 2017 formierte, war die AfD schon die Partei, in der Björn Höcke eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ fordern konnte und Alexander Gauland noch am Wahlabend ankündigte, die politischen Gegner zu „jagen“.

Björn Höcke, Fraktionsvorsitzender der AFD im Thüringer Landtag, spricht auf einem Marktplatz.
Björn Höcke, Fraktionsvorsitzender der AFD im Thüringer Landtag, spricht auf einem Marktplatz. © dpa

Trotzdem vermuteten und hofften damals einige, dass die immer noch junge Partei sich mäßigen würde, sobald sie einmal im höchsten Parlament des Landes ist. Auch Marco Buschmann, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP, gehörte damals zu denen, die dachten, das Prozedere und die Würde des Hauses könnten dazu beitragen, die AfD näher an die Anstandsnormen des Politikbetriebs heranzuführen.

Ein Irrtum, wie Buschmann jetzt sagt. Stattdessen sei es in den letzten Jahren schlimmer geworden. „Die Fraktion funktioniert als eine interne Echokammer, in der sich die Abgeordneten gegenseitig radikalisieren.“

Das Klima im Bundestag ist rauer geworden

Es spreche viel dafür, dass es einen harten Kern der AfD-Abgeordneten gebe, der die Institution Bundestag an sich blockieren und obstruieren wolle, sagt Buschmann, „der Chaos und Gewalt ins Parlament bringen will“. Durch Hammelsprünge zum Beispiel, die die Fraktion auch nach dem Januar 2018 immer wieder herausforderte, durch die Tatsache, dass seit 2017 nicht einmal über die Tagesordnung noch Einvernehmen hergestellt werden kann zwischen den Fraktionen.

Und durch Aktionen wie jene aus dem November 2020, als von AfD-Abgeordneten eingeschleuste rechte Medienaktivisten Vertreter anderer Fraktionen und auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier auf den Gängen des Parlaments angingen und bedrohten.

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    Es sind nicht nur die Arbeitsprozesse, die sich verändert haben. Auch das Klima im Bundestag ist rauer geworden, immer wieder gibt es Berichte von Bedrohungen und Pöbeleien durch AfD-Mitarbeiter, Mitarbeiter anderer Fraktionen fühlen sich bedroht.

    Und Frauen schlägt offener Sexismus entgegen. Sie und Claudia Roth, Vizepräsidentin der Grünen, hätten erst durchsetzen müssen, dass sie als Parlamentsvizepräsidentinnen angesprochen werden, sagt Pau. „AfD-Abgeordnete haben immer wieder versucht, uns gar nicht zu grüßen oder uns mit der männlichen Form zu begrüßen.“

    „Wirklich widerliche Bemerkungen“

    Buschmann berichtet ebenfalls von „wirklich widerlichen sexistischen Bemerkungen“, gegen die sich weibliche Abgeordnete zur Wehr setzen müssten. Die FDP-Fraktion sitzt direkt neben der AfD, Buschmann und seine Kolleginnen und Kollegen kennen auch jene Bemerkungen, die gerade leise genug gemacht werden, dass das Präsidium sie nicht hört. „Das ist häufig sehr plump und aggressiv“, sagt er. „Offen homosexuell lebende Kollegen berichten mir von homophoben Sprüchen, ‚Solche wie dich haben wir früher abgeholt‘ und Ähnliches.“

    Bei der AfD weist man die Vorwürfe aus den anderen Parteien zurück. Wenn es seit dem Einzug der Fraktion in den Bundestag eine „Wildheit“ gebe, dann von beiden Seiten, sagt Bernd Baumann, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD.

    Bernd Baumann.
    Bernd Baumann. © imago images/Metodi Popow | M. Popow via www.imago-images.de

    „Wir sind in einem Maß ausgegrenzt worden, wie es das vorher kaum je gab“, sagt er. So habe die AfD auch nach vier Jahren noch keinen Bundestagsvizepräsidenten. Keiner der Kandidaten und Kandidatinnen der AfD hat je die erforderliche parlamentarische Mehrheit bekommen.

    Dass AfD-Abgeordnete oder Mitarbeiter Mitglieder und Angestellte anderer Fraktionen bedrängt oder bedroht hätten, hält Baumann „alles für erfundenes Zeugs“. Hätte es so etwas gegeben, hätte die Fraktion reagiert. Man habe die Vorwürfe verfolgt, „es ließ sich nicht eine Sache nachweisen“, sagt der AfD-Politiker.

    Baumann sieht es als Erfolg dieser Wahlperiode, dass die AfD-Abgeordneten, die häufig kaum parlamentarische Erfahrung hatten, einen funktionierenden Apparat aufgebaut hätten. In kurzer Zeit habe die Fraktion gelernt, auf Augenhöhe zu funktionieren.

    Parteien wollen AfD nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken

    Auch die anderen haben im Umgang mit der AfD gelernt. Gab es am Anfang der Legislatur noch häufig Reden, in denen Abgeordnete Grenzüberschreitungen der AfD minutenlang heftig geißelten, folgen die meisten heute einer Linie, die versucht, der Partei nicht zu viel Aufmerksamkeit zuzubilligen. „Man darf sich von der Ekelhaftigkeit nicht verleiten lassen, deren Gedankengut selbst noch zu verbreiten“, sagt Buschmann.

    „Man muss das Nötige sagen, wenn die AfD versucht, Grenzen zu verschieben, aber man darf auch nicht in eine Dauerskandalisierung verfallen“, erklärt Pau. „Würden alle über die AfD reden, dann wäre das nicht das richtige Rezept.“

    Um den richtigen Umgang mit der AfD werden die anderen Fraktionen auch in den nächsten vier Jahren ringen müssen. Glaubt man den Umfragen, wird die Partei in ähnlicher Stärke wieder in den Bundestag einziehen, wenn auch mit neuen Gesichtern. Blickt man auf die vorderen Listenplätze in einigen Bundesländern, wird die nächste AfD-Fraktion radikaler werden als die aktuelle.