Washington. Die Taliban erobern Afghanistan. Dafür ist auch US-Präsident Joe Biden verantwortlich. Warum zog er die amerikanischen Soldaten ab?

20 Jahre waren US-geführte Truppen in Afghanistan stationiert. Seit Mai ließ US-Präsident Joe Biden die restlichen 2500 amerikanischen Soldaten abziehen. Unbedingt vor dem 20. Jahrestag der Terror-Anschläge vom 11. September 2001, die durch Osama Bin Ladens El Kaida in Afghanistan ihre ideologische Brutstätte hatten, sollte der militärische Fußabdruck der USA am Hindukusch verschwinden. Wie kam es dazu?

Ausgangspunkt war Ende Februar 2020 ein noch unter der Vorgänger-Regierung von Donald Trump mit den Taliban ausgehandeltes Abkommen. Es sah einen 2021 beginnenden schrittweisen Abzug der Nato-Streitkräfte vor. Im Gegenzug versicherten die Taliban, dass keine auswärtigen Truppen angegriffen werden und Afghanistan nie wieder Keimzelle von Terror-Netzwerken wird.

Afghanistan: 2400 US-Soldaten starben im Militäreinsatz

An diesem Vertrag, der nach Angaben von damaligen Regierungsinsidern als gesichtswahrende Maßnahme gedacht war, um den letzten Endes erfolglosen Mega-Militäreinsatz der USA zu beenden, bei dem alleine 2400 US-Soldaten den Tod fanden, gab es von Anfang an massive Kritik.

Verbunden war damit die Hoffnung, dass der neue Präsident Joe Biden den Deal neu aufschnüren und gemeinsam mit Partnerländern eine neue Lösung finden wird. Er tat, bis auf eine kleine Zeitverzögerung, das Gegenteil und verkündete Mitte April ohne vorherige Konsultation mit der Nato und anderen Truppenstellern das definitive Aus für den Afghanistan-Einsatz.

Biden veranlasste Truppenabzug aus Afghanistan

Am 1. Mai begann der Abzug des vergleichsweise kleinen US-Kontingents (zu Hochzeiten waren über 100.000 GI`s am Hindukusch stationiert). Im Gefolge zogen auch rund 8000 Soldaten von verbündeten Ländern (etwa Großbritannien und Deutschland) ab. Ebenso Tausende Vertragsarbeiter, die für die technische Aufrechterhaltung der internationalen „Militärmaschine“ zwischen Mazar-i-Sharif und Kandahar zuständig waren.

Joe Biden, der bereits Senator war, als die USA 1975 am Ende des Vietnam-Krieges in Saigon schmählich die Flucht antreten mussten, setzte sich bei seiner Entscheidung, deren Auswirkungen seit dem Wochenende die Welt bewegen, über den ausdrücklichen Rat seiner Top-Militärs hinweg. Das Team um Generalstabschef Mark Milley empfahl, ein Kontinent von 2500 bis 3000 Soldaten bis auf weiteres als Ordnungsfaktor in Afghanistan zu belassen, um die afghanische Armee vor allem aus der Luft im Kampf gegen die Taliban zu unterstützen. Biden lehnte das ab.

Sein Credo: Ganz gleich, ob Amerika ein Jahr oder fünf Jahre länger bleibt, an der unstabilen Lage in Afghanistan, wo die Taliban über Monate Geländegewinnen gemacht hatten, werde sich nichts ändern. Mit Umfragen im Rücken, die zu über 60 Prozent die Kriegsmüdigkeit der amerikanischen Bevölkerung dokumentieren, stellte sich Biden auf den Standpunkt, dass es nicht weiter verantwortbar sei, US-Soldaten in die Gefahrenzone zu schicken.

Ein Hubschrauber der USA von Typ Chinook überfliegt die Stadt Kabul. Taliban-Kämpfer sind am Sonntag in die Außenbezirke der afghanischen Hauptstadt eingedrungen und haben das Land weiter unter ihre Kontrolle gebracht.
Ein Hubschrauber der USA von Typ Chinook überfliegt die Stadt Kabul. Taliban-Kämpfer sind am Sonntag in die Außenbezirke der afghanischen Hauptstadt eingedrungen und haben das Land weiter unter ihre Kontrolle gebracht. © Rahmat Gul/AP/dpa

Taliban erobern Afghanistan: Biden trägt hohe Verantwortung

Die afghanische Armee, über 20 Jahre von den USA mit Hilfe von Über 80 Milliarden Dollar ausgebildet und finanziert, sei künftig allein für die Gewährleistung der nationalen Sicherheit zuständig, betonte er mehrfach. Und bekundete seine Entschlossenheit, nach den Vorgängern Bush, Obama und Trump der letzte US-Präsident zu sein, der Amerika in Afghanistan in einem kriegsähnlichen Zustand hält. Lesen Sie dazu den Kommentar: Taliban-Vormarsch - Der Westen ist in Afghanistan gescheitert

Biden blieb sich hier in gewisser Weise treu. Er war schon vor zehn Jahren als Vize unter Barack Obama gegen eine damals anstehende gewaltige Truppenaufstockung, konnte sich aber nicht durchsetzen. Jetzt, als Nummer 1, hat er die Hebel in der Hand, die Dinge in seine Richtung zu lenken. Darum trägt Biden eine hohe persönliche Verantwortung für das durch den von ihm überhastet angeordneten Rückzug entstandene Macht-Vakuum, in das die Taliban binnen nicht einmal zwei Wochen gestoßen sind und die Macht in Afghanistan komplett an sich gerissen haben.