Berlin. 13.000 Menschen fordern in der Hauptstadt einen Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine. Polizei spricht von ruhigem Verlauf.

In Berlins Mitte treffen am Sonnabendnachmittag im Schneetreiben alle Meinungen aufeinander: Alte Friedensbewegte, Linke, Russland-Freunde und Querdenker liefern sich so manche hitzigen Wortgefechte mit Ukraine-Unterstützern, Antifa-Aktivisten und anderen Linken, die Putins Aggression und nicht die USA oder die Nato als Kriegstreiber sehen. Die gute Nachricht: Es bleibt alles überwiegend friedlich, die befürchteten gewalttätigen Auseinandersetzungen finden nicht statt. Die Polizei meldet eine störungsfreien Verlauf. Vielleicht ist es einfach zu kalt und zugig rund ums Brandenburger Tor.

Als die prominenten Kritikerinnen deutscher Waffenlieferungen an die Ukraine, Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht (53) und Feministen-Ikone Alice Schwarzer (80), am Sonnabendnachmittag zur Kundgebung auf dem Platz des 18. März aufriefen, kamen mehr als 10.000 Menschen, um ihnen zuzuhören. Rund 13.000 waren es, schätzte die Polizei. Die Organisatoren selbst sprachen indes von 50.000 Teilnehmern, die sich gegen deutsche und westliche Waffenhilfe für die Ukraine wendeten und sich für sofortige Verhandlungen über einen Waffenstillstand aussprachen.

Kleiner Zwischenfall auf der Straße Unter den Linden: Zwei Männer entern kurzzeitig das dort aufgestellte Panzerwrack und entrollen eine russische Fahne, hängen sie an den Turm des zerschossenen Panzers, das gegenüber der russischen Botschaft ein Zeichen gegen die Invasion in der Ukraine setzen soll. Die Polizei entfernt die russische Fahne aber bald.
Kleiner Zwischenfall auf der Straße Unter den Linden: Zwei Männer entern kurzzeitig das dort aufgestellte Panzerwrack und entrollen eine russische Fahne, hängen sie an den Turm des zerschossenen Panzers, das gegenüber der russischen Botschaft ein Zeichen gegen die Invasion in der Ukraine setzen soll. Die Polizei entfernt die russische Fahne aber bald. © Maurizio Gambarini | Maurizio Gambarini

Demo in Berlin: Häufig ist "Frieden schaffen ohne Waffen" zu lesen

Viele tragen am Sonnabend Schilder mit Friedensbotschaften, vermehrt ist „Frieden schaffen ohne Waffen“ zu lesen. Vor allem bei Wagenknechts Redebeitrag von der großen Bühne herunter an die „lieben Freundinnen und Freunde“ brandet mitunter Jubel auf. „Sahra, Sahra“-Sprechchöre werden laut. Rund zwei Stunden dauert die Kundgebung. Im Vorfeld war diskutiert worden, ob die Veranstaltung von Extremen unterwandert werden könnte. Neonazis und Reichsbürger hätten selbstverständlich auf der Kundgebung nichts zu suchen, macht Wagenknecht auf der Bühne deutlich.

Wagenknecht und Schwarzer hatten Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in einem „Manifest für Frieden“ aufgefordert, „die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen“ und sich „an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen“ zu setzen. Kritiker werfen Schwarzer und Wagenknecht Naivität und Irreführung vor.

Ukraine-Krieg: Unterschiedlichen Lager bei Demo

Immer wieder wird auch vor Ort diskutiert. „Der Putin will doch auch etwas Positives für sein Land“, sagt ein junger Mann, der aber auch einräumt, dass die Invasion „falsch“ sei. „Aber der ist doch ein Massenmörder“, hält ihm ein älterer Herr entgegen. „Schuld ist doch die Nato-Osterweiterung“, mischt sich ein anderer ein. So richtig näher kommen sie sich nicht an diesem Tag auf den Straßen der deutschen Hauptstadt. Daneben lässt sich ein Mann mit einem russischen Militärmantel mit einer roten Sowjet-Fahne fotografieren. „Der ist immer da, der ist eine Touristenattraktion“, berichtet eine Berlinerin ihren Besuchern. Daneben wehen blau-gelbe ukrainische Fahnen.

Ein kleiner Zwischenfall ereignet sich noch vor der Kundgebung im Umfeld des Brandenburger Tores: Zwei Männer entern kurzzeitig den Panzer Unter den Linden. Sie entrollen eine russische Fahne, hängen sie an den Turm des zerschossenen Wracks, das als Kunstaktion auf dem Boulevard gegenüber der russischen Botschaft ein Zeichen gegen die Invasion in der Ukraine setzen soll.

„Nehmt diese Fahne da runter“, rufen einige der Menschen, die neben dem Anti-Kriegs-Mahnmal stehen. Ein Polizist erklettert schnell den Panzer, drängt die Demonstranten herunter und entfernt die blau-weiß-rote Trikolore. „Faschisten“, schimpfen andere, die auf dem Weg sind zur Demonstration auf der westlichen Seite des Brandenburger Tores.

Mehrere Tausend Menschen sind am Sonnabend zur Kundgebung ans Brandenburger Tor gekommen.
Mehrere Tausend Menschen sind am Sonnabend zur Kundgebung ans Brandenburger Tor gekommen. © FUNKE Foto Services | Maurizio Gambarini

Berlin: Rund um Großkundgebung gibt es kleinere Gegendemos

Die Großkundgebung ist umstellt von kleineren Gegendemos, von denen die Polizei aber auch keine Zwischenfälle meldet. „Schämt euch, mit den Rechten zu laufen“, ruft eine Frau aus der Gruppe der „Antiverschwurbelten Aktion“, die in den vergangenen Jahren schon gegen Corona-Leugner angetreten waren. „Dann darf man ja gar nicht mehr demonstrieren, das wollt ihr doch“, hält ihr ein Mann entgegen.

Obwohl auch rechtsextreme Gruppen und Reichsbürger für die Veranstaltung mobilisiert haben und viele Beobachter schon eine neue „Querfront“ zwischen Rechten und Linken befürchten, sieht man keine offen zur Schau gestellten Nazi-Symbole, auch AfD-Banner sind nicht zu sehen, nur die Querdenker-Partei „die Basis“, zeigt sich offen.

Die Initiatorinnen: Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht in der Mitte (mit Ehemann Oskar Lafontaine) und die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer (r.).
Die Initiatorinnen: Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht in der Mitte (mit Ehemann Oskar Lafontaine) und die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer (r.). © Maurizio Gambarini | Maurizio Gambarini

Stattdessen gibt es Spruchbänder der Brandenburger Linken, mehrere Schilder mit der Aufschrift „Ami go home“ und eine einsame Verdi-Fahne. Es dominieren Friedenstauben und „Schwerter zu Pflugscharen“, die alten Symbole der Friedensbewegung. Die meisten Demonstranten verdecken unter ihren Mützen und Kapuzen graues Haar. Alice Schwarzer hatte kurz vor der Veranstaltung betont, dass man sich von Rechtsextremen distanziere.

Vor der Bühne zur Straße des 17. Juni drängen sich die Menschen dicht an dicht. „Wir wollten nicht nur ein Manifest schreiben“, sagt Wagenknecht: „Das muss auch auf die Straße.“ Die Linken-Politikerin sieht an diesem Tag den „Anfang einer neuen Friedensbewegung“, und fordert: „Es ist Zeit, uns zuzuhören.“ Der Bundeskanzler müsse die „Eskalation der Waffenlieferungen stoppen“, ruft Wagenknecht unter dem Applaus der Menge. Besonders gut kommen ihre Spitzen gegen Außenministerin Annalena Baerbock und die „grünen Kriegstreiber“ an. „Grüne an die Front“, steht auf einem Plakat.

Wagenknecht vermeidet es, Putins Namen auszusprechen

Deutschland solle sich an die Spitze einer starken Allianz für Friedensverhandlungen stellen, verlangt die Hauptrednerin. Es gehe darum, Russland ein Verhandlungsangebot zu unterbreiten, „anstatt einen endlosen Abnutzungskrieg mit immer neuen Waffen zu munitionieren“. Es gelte, das Risiko einer Ausweitung des Krieges auf ganz Europa und womöglich die Welt zu bannen. Sie vermeidet es, den Namen Wladimir Putin auszusprechen, sagt jedoch, die Ukraine dürfe „kein russisches Protektorat“ werden. Gleichwohl behauptet Wagenknecht, dass Deutschlands Sicherheit „natürlich nicht in der Ukraine verteidigt“ werde.

Rund 1400 Polizisten waren am Einsatz. Doch die befürchteten Krawalle bleiben aus.
Rund 1400 Polizisten waren am Einsatz. Doch die befürchteten Krawalle bleiben aus. © Maurizio Gambarini | Maurizio Gambarini

Nach rund zwei Stunden löst sich die Veranstaltung auf, die Menschen strömen zu den Stationen von U- und S-Bahn. Dabei passieren sie die Gegendemonstranten mit den blau-gelben Fahnen. „Gegen den Putin-Faschismus“, rufen die Menschen hinter der schützenden Polizei-Kette. „Frieden gibt es nicht um jeden Preis“, steht auf einem Banner. Auf dem Boulevard Unter den Linden intonieren 30 Bläser des Evangelischen Posaunendienstes „Dona nobis Pacem“.

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