Luxemburg. Sind die EU-Sanktionen gegen Russen wegen des Ukraine-Kriegs rechtens? Ein erstes Urteil ist gefallen. Die Überraschung ist groß.

Der Chef der berüchtigten Söldner-Gruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, vermeldete am Mittwoch gleich mehrere Erfolge: Seine Kämpfer hätten den Osten der heftig umkämpften ukrainischen Stadt Bachmut unter Kontrolle, behauptete der Vertraute von Russlands Präsident Wladimir Putin. Wenig später bekam „Putins Koch“ überraschend Rückenwind vom Gericht der Europäischen Union:

Die europäischen Sanktionen gegen Prigoschins Mutter Violetta im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg sind zu Unrecht verhängt worden, entschied das EU-Gericht in Luxemburg. Die Strafen seien nichtig.

Die Richter gaben damit einer Klage der 83-Jährigen, die in St. Petersburg lebt, statt. Die Europäische Union hatte Violetta Prigoschina am 23. Februar 2022 auf die Sanktionsliste gesetzt, einen Tag vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine: Ihr Vermögen in der EU wurde eingefroren, Reisen in EU-Staaten sind ihr verboten. Es war eine Reaktion auf Putins Schritt, die sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk im ukrainischen Donbass zu unabhängigen Staaten zu erklären.

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Was im Fall Prigoschinas wie Sippenhaft klingen könnte, schien juristisch gut begründet: Die Mutter des berüchtigten Söldner-Chefs soll Eigentümerin von Firmen aus Prigoschins Unternehmensimperium sein, die an der russischen Besetzung der Krim und der Ostukraine viel Geld verdienten. Die Firmen, darunter das von Prigoschin gegründete Unternehmen Konkord, hätten entsprechende Aufträge des russischen Verteidigungsministeriums erhalten, so die EU-Begründung. Damit sei die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben worden.

Gericht sieht keine geschäftliche Verbindung zum Sohn

Prigoschina wies die Vorwürfe zurück, schon im April 2022 klagte sie beim EU-Gericht. Die 83-Jährige bestritt, eine Verbindung zu den Firmen ihres Sohnes zu haben – und dementierte ebenso eine Verbindung ihres Sohnes zur Wagner-Gruppe, die Prigoschin später aber selbst öffentlich eingeräumt hat.

Das EU-Gericht gab ihr nun überraschend recht: Die Verbindung zwischen Mutter und Sohn beruhe allein auf ihrem Verwandtschaftsverhältnis – und reiche daher nicht aus, um ihre Aufnahme in die streitigen Listen zu rechtfertigen. Denn Prigoschina habe zwar Anteile an dem Unternehmen Konkord gehalten, sei aber seit 2017 nicht mehr Eigentümerin. Die EU-Staaten könnten auch nicht nachweisen, dass sie zum Zeitpunkt der Strafmaßnahmen Eigentümerin anderer Unternehmen mit Verbindungen zu ihrem Sohn gewesen sei. Die Aufnahme in die Sanktionsliste sei damit nicht zu rechtfertigen.

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Für Prigoschin selbst gilt das allerdings nicht: Der Putin-Vertraute, der bis zu 50.000 Strafgefangene als Kämpfer in der Wagner-Gruppe an die Front geschickt haben soll, ist schon mehrmals von der Europäischen Union sanktioniert worden – erstmals 2020, weil er gegen das Waffenembargo in Libyen verstoßen haben soll. Der 61-Jährige klagte wiederholt gegen die Strafen, immer vergeblich.

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Schon über hundert Klagen gegen die EU-Sanktionen

Das Urteil war mit Spannung erwartet worden, weil die Richter erstmals über die Klage einer Einzelperson gegen EU-Sanktionen im Ukraine-Krieg zu entscheiden hatten. Insgesamt sind wegen des Krieges rund 1400 Personen, vorwiegend russische Staatsbürger, mit Vermögens- und Reisesperren bestraft worden – aber über hundert Betroffene haben Klagen beim zuständigen Luxemburger Gericht eingereicht. So sind auch die Milliardäre Roman Abramowitsch, Alisher Usmanow, Pjotr Awen und Michail Fridman vor das EU-Gericht gezogen, verbunden mit Schadenersatzforderungen.

Die Europäische Union ist eigentlich auf solche Klagen eingestellt: Die EU-Staaten lassen sich mit den Sanktionsbeschlüssen in der Regel viel Zeit, um sicherzustellen, dass die Entscheidungen später nicht vom Gericht angefochten werden. In diesem Fall ging das schief. Das Gericht der Europäischen Union (EUG), das jetzt das erste Urteil fällte, ist als untere EU-Instanz dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgeschaltet – und damit das zweithöchste Gericht der Union.

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