Berlin. Das Verfassungsgericht hat die geplante Abstimmung über das Heizungsgesetz untersagt. Habeck ist angezählt, die Koalition blamiert.

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Diese alte Erkenntnis gilt selbstverständlich auch für die Politik im Allgemeinen und für die Ampel-Koalition sowie den grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck im Besonderen.

Donnerstagmorgen in Berlin: Eigentlich wollte sich der Hauptstadtbetrieb so langsam in die Sommerferien verabschieden. Zwei Sitzungstage des Bundestags noch, dann ist Pause. Stattdessen: Krise – wieder einmal.

Das Bundesverfassungsgericht ordnete am Mittwochabend an, dass die für Freitag geplante Abstimmung über das umstrittene Heizungsgesetz nicht stattfinden darf. Die Abgeordneten bräuchten ausreichend Zeit für die Beratungen, argumentierten die Richter und gaben damit einem Eilantrag des CDU-Abgeordneten Thomas Heilmann statt.

Die Entscheidung des obersten Gerichts traf die Ampel-Koalition wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ausgelaugt von dem Stress und den Konflikten der vergangenen Wochen freuten sich die Koalitionäre auf die Sommerpause – in der Hoffnung, nach etwas Abstand voneinander mit neuem Elan die zweite Hälfte der Legislaturperiode anzupacken. Dass es so nicht weitergehen könne, war in den vergangenen Tagen aus den Reihen aller Ampel-Partner zu hören.

Heizungsgesetz: Der Richterspruch kommt aus heiterem Himmel

Kurz bevor der Richterspruch aus Karlsruhe die Ampel-Koalition erschütterte, begrüßte SPD-Chef Lars Klingbeil am Mittwochabend die Fraktionsvorsitzenden von FDP und Grünen, Christian Dürr und Britta Haßelmann, auf einem Fest der SPD-Fraktion. „Ich habe eine Idee für den Sommer“, sagte Klingbeil an die beiden gewandt.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (links) und Kanzler Olaf Scholz: Die Karlsruher Entscheidung zum Heizungsgesetz ist eine schallende Ohrfeige für die gesamte Ampel-Koalition.
Wirtschaftsminister Robert Habeck (links) und Kanzler Olaf Scholz: Die Karlsruher Entscheidung zum Heizungsgesetz ist eine schallende Ohrfeige für die gesamte Ampel-Koalition. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Markus Schreiber

Die Ampel solle in den kommenden Wochen doch einfach der Union die öffentliche Bühne überlassen, damit die über ihre Kanzlerkandidatur diskutieren könne. „Und wir sind einfach ein bisschen ruhiger und gönnen uns den Sommer.“ Keine drei Stunden später erschütterte die Eilmeldung aus Karlsruhe nicht nur das SPD-Sommerfest, sondern die gesamte Koalition. Klingbeils Wunsch nach Ruhe war zerstoben.

Monatelang hatte sich die Koalition über das Heizungsgesetz gezofft und am Ende dann doch zusammengerauft. Der Riss ging quer durch die Regierung und durch die Fraktionen. Viele Bürger wandten sich genervt ab, das Vertrauen in das Regierungsbündnis ist inzwischen so gering wie nie zuvor. Seit Ende vergangener Woche ist der Gesetzentwurf aber fertig, in dieser Woche sollte er im Schweinsgalopp durch den Bundestag gebracht werden. Noch so eben vor der Sommerpause, damit das Gesetz zum Jahreswechsel in Kraft treten kann. Doch dann meldete sich die Karlsruher Richter.

Heizungsgesetz: Eine schallende Ohrfeige aus Karlsruhe

Womit wir wieder beim Spott wären, bei der Ampel und bei Robert Habeck: Am Donnerstagmorgen sitzt der CDU-Abgeordnete Heilmann vor der Hauptstadtpresse und sagt, im Grunde habe er ja der Koalition einen Gefallen getan. Wenn das Gesetzgebungsverfahren nicht ordentlich ablaufe, bestehe schließlich die Gefahr, dass das Verfassungsgericht das Gesetz anschließend wegen formaler Fehler kassiere, sagt er. Würde Karlsruhe das Gesetz aufheben, wäre das für den Klimaschutz die schlechteste aller Lösungen.

So kann man es natürlich auch wenden: Die Ampel erhält eine schallende Ohrfeige aus Karlsruhe – und soll der Opposition dafür dankbar sein. Habeck und die anderen führenden Köpfe der Ampel-Regierung tauchen am Donnerstag erst einmal ab. Stattdessen schicken sie die Parlamentarier vor, was ja auch der Form nach richtig ist. Denn der Ball liegt schließlich nicht mehr im Feld der Regierung. Sondern in dem des Parlaments, das über die eigene Tagesordnung zu befinden hat.

CDU-Chef Friedrich Merz gratuliert dem CDU-Bundestagsabgeordneten Thomas Heilmann für dessen Coup: Heilmann hatte vor dem Bundesverfassungsgericht erreicht, dass die Verabschiedung des Gebäudeenergiegesetzes noch vor der Sommerpause gestoppt wird.
CDU-Chef Friedrich Merz gratuliert dem CDU-Bundestagsabgeordneten Thomas Heilmann für dessen Coup: Heilmann hatte vor dem Bundesverfassungsgericht erreicht, dass die Verabschiedung des Gebäudeenergiegesetzes noch vor der Sommerpause gestoppt wird. © dpa | Kay Nietfeld

Bundestag: Eine Sondersitzung in der Sommerpause soll es nicht geben

Nach einer Krisensitzung der Ampel-Fraktionschefs gibt es am Donnerstagmittag Klarheit über das weitere Vorgehen: Eine Sondersitzung in der Sommerpause soll es nicht geben, stattdessen wollen sie das Heizungsgesetz in der nächsten regulären Sitzungswoche des Bundestags Anfang September abschließend beraten lassen. Inhaltliche Änderungen soll es aber nicht mehr geben: Man habe vereinbart, „dem Bericht und der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Klimaschutz und Energie in der in dieser Woche beschlossenen Form“ zuzustimmen, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Fraktionsvorsitzenden.

Zumindest die Abstimmung nach der Sommerpause ist auch im Sinne des Städte- und Gemeindebunds: „Es muss der Grundsatz gelten: Lieber langsamer und dafür richtig als schnell und womöglich falsch“, sagt Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg dieser Redaktion. Die Kommunen sollen nach den Plänen der Ampel mit der kommunalen Wärmeplanung eine Schlüsselrolle beim Umstieg auf klimafreundliches Heizen spielen.

Einen Showdown mitten in der Ferienzeit, zu dem die Abgeordneten aus ihren Wahlkreisen und Urlaubsorten anreisen müssen, wird es jetzt also nicht geben. Aber einen Sommer voller Debatten über die komplizierten Einzelheiten des Gesetzes dürfte die Ampel damit nicht vermeiden.

Für Habeck entwickelt sich die Angelegenheit zum Horror-Trip

Für Wirtschaftsminister Habeck, der der führende Kopf hinter dem Gesetz ist, entwickelt sich die Angelegenheit immer mehr zum Horror-Trip. Vor wenigen Monaten noch war er der Liebling des Publikums. Dann wurde ein erster Entwurf für das Heizungsgesetz durchgestochen. Das brachte den Boulevard und die Opposition in Wallung. Und bei den Grünen hatten viele das Gefühl, dass die FDP hinter den Kulissen eifrig mitzündelte.

Es war die Zeit, in der Habeck auch an einer zweiten Front heftig unter Beschuss geriet. Sein Energie-Staatssekretär Patrick Graichen hatte seit Amtsantritt Dienstliches und Privates nicht immer sauber getrennt und musste schließlich gehen. Heizungsgesetz plus Causa Graichen und dazu noch die vermaledeite Gasumlage aus dem vergangenen Jahr: Inzwischen gehört Habeck zu den unbeliebtesten Spitzenpolitikern im Land.

Unter dem Eindruck der Eilentscheidung des Verfassungsgerichts geht Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch am Donnerstag sogar so weit, dem Minister den Rücktritt nahezulegen. „Die Entscheidung ist ein Tiefpunkt für Robert Habeck“, sagt Bartsch dieser Redaktion. „Effektiver Klimaschutz kann nur von einem Minister vorangetrieben werden, der das Vertrauen der Bürger genießt. Der Vizekanzler hat dieses selbstverschuldet eingebüßt. Das sollte zu einer tiefen Nachdenklichkeit bei Robert Habeck führen.“

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck steht schon wieder unter Beschuss.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck steht schon wieder unter Beschuss. © AFP | Tobias Schwarz

Koalition: Jeder gibt dem anderen die Schuld

Der Vizekanzler selbst wartet bis zum späteren Nachmittag, bis er sich zu Wort meldet. In einer schriftlichen Erklärung heißt es dann: „Ich habe höchsten Respekt vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.“ Die Ampel-Fraktionen hätten entschieden, erst nach der Sommerpause über das Gesetz abstimmen zu lassen – damit die Opposition genügend Zeit für Beratungen hat. Sie hätten zugleich deutlich gemacht, dass das Gesetz zwischen den Fraktionen geeint ist, also keine Änderungen mehr vorgenommen werden sollen. „Ich finde das ein gutes Vorgehen“, schreibt Habeck.

Der Vizekanzler ist zwar das Gesicht des Debakels um das Heizungsgesetz, seinen Beitrag geleistet hat aber jeder der drei Koalitionspartner. Wobei die Betroffenen die Schuld in erster Linie bei den jeweils anderen sehen: Bei Habeck wegen seiner schlampigen Vorarbeit und bei den Grünen, weil diese eine Klimapolitik mit der Brechstange wollten. Bei FDP-Chef Christian Lindner und seiner Partei, weil diese durch ihre ständigen Einsprüche die Verabschiedung des Gesetzes erst so gefährlich nah an die Sommerpause verzögert hätten. Bei Kanzler Olaf Scholz und seiner SPD, weil sie zwar der Meinung seien, alles im Griff zu haben, es ihnen aber nicht gelinge, die Konflikte in der Ampel zu entschärfen.

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Wenn es dabei bleibt, gehen dann bei der Ampel vorzeitig die Lichter aus? Von einem Koalitionsbruch und Neuwahlen sind die Partner weit entfernt. Ein Blick auf die aktuellen Umfragen, die ziemlich trübe ausfallen, schweißt die Regierenden zusammen. Aber von dem Anspruch, als rot-grün-gelbes Bündnis nach vier Jahren wiedergewählt zu werden, ist Scholz’ Koalition weit entfernt. Will der Sozialdemokrat dieses Ziel dennoch erreichen, braucht er für die zweite Hälfte der Legislaturperiode eine neue Taktik.