Brüssel/Straßburg. Die griechische Abgeordnete und Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Eva Kaili, soll illegale Geschäfte ausgehandelt haben: mit Katar.

Die Kritik an der Fußball-WM in Katar weist Parlaments-Vizepräsidentin Eva Kaili mit klaren Worten zurück: Katar spiele bei Arbeiterrechten eine "Vorreiterrolle", erklärt die Sozialistin aus Griechenland im EU-Parlament ihren verblüfften Abgeordneten-Kollegen, die Ende November die Menschenrechtslage des Golfstaates debattieren. "Die Fußball-WM in Katar ist heute der Beweis dafür, dass die Sportdiplomatie einen historischen Wandel in einem Land bewirken kann." Lesen Sie auch: Reportage aus Katar – Auf der Suche nach den Menschenrechten

Dennoch gebe es im EU-Parlament Aufrufe, die Kataris zu diskriminieren, klagt Kaili: "Sie schikanieren sie und beschuldigen jeden, der mit ihnen spricht, der Korruption." Die Verwunderung im Parlament ist groß. Dahinter stecke wohl "viel katarische Lobbyarbeit", raunen einige Parlamentarier. "Ich war sehr überrascht über diese Pro-Katar-Rede", erinnert sich die Grünen-Abgeordnete Anna Cavazzini. Doch jetzt gibt es offenbar eine Erklärung für den seltsamen Auftritt.

Eva Kaili bei einer Plenartagung zum Ergebnis des EU-China-Gipfels im Plenarsaal des Europäischen Parlaments
Eva Kaili bei einer Plenartagung zum Ergebnis des EU-China-Gipfels im Plenarsaal des Europäischen Parlaments © IMAGO / Future Image

Korruptionsskandal im EU-Parlament: Vizepräsidentin Eva Kaili festgenommen

Kaili, bislang Mitglied der sozialdemokratischen S&D-Fraktion, steht im Zentrum eines beispiellosen Korruptionsskandals im EU-Parlament. Die belgische Justiz nahm die 44-jährige Griechin am Freitag unter dem Verdacht fest, dass sie sich vom Golfstaat Katar bestechen ließ. Festgenommen wurden vier weitere Personen, alle mit italienischer Staatsbürgerschaft:

  • Kailis Lebensgefährte Francesco Giorgi, Mitarbeiter der sozialdemokratischen S&D-Fraktion
  • Pier Antonio Panzeri, 67, ehemaliger S&D-Abgeordneter und Präsident der Menschenrechtsorganisation "Fight Impunity"
  • Niccolò Figà-Talamanca, Direktor der NGO "No Peace Without Justice"
  • Luca Visentini, Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB)

Die Büros der Assistenten zweier belgischer Abgeordneter der S&D-Fraktion wurde von den Ermittlern durchsucht und versiegelt. Auch ein parlamentarischer Assistent der konservativen EVP-Fraktion wurde befragt.

Teile des EU-Parlaments unter Korruptionsverdacht: Ermittlungen seit Juli

Die Zentralstelle für Korruption der belgischen Bundespolizei ermittelt bereits seit Juli unter Leitung von Untersuchungsrichter Michel Claise, der als Spezialist für Korruption und Geldwäsche schon öfter im Milieu von Banken, Politik und Fußball unterwegs war. Diesmal ließ Claise unter anderem Telefone von Beschuldigten abhören. Der Vorwurf: Bildung einer kriminellen Organisation, versuchte Einflussnahme aus dem Ausland sowie bandenmäßige Korruption und Geldwäsche.

Laut Staatsanwaltschaft besteht der Verdacht, dass "ein Golfstaat" versuche, die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen des EU-Parlaments zu beeinflussen – "durch die Zahlung beträchtlicher Geldsummen oder durch das Anbieten bedeutender Geschenke an Dritte mit einer bedeutenden politischen oder strategischen Position im Europäischen Parlament". Bei Durchsuchungen an 16 Standorten in Brüssel wurden rund 600.000 Euro in bar entdeckt, Computerausrüstung und Handys wurden beschlagnahmt. In Kailis Brüsseler Wohnung sollen "Säcke voller Geldscheine" gefunden worden sein.

EU-Parlament: Vizepräsidentin Kaili als Sprachrohr Katars?

Dass sich Kaili als Sprachrohr Katars betätigte, ist offenkundig. Die Dankbarkeit der Kataris ebenso. Anfang November traf sich die Parlaments-Vize in Katar mit Premierminister Chalid bin Chalifa bin Abdulasis Al Thani und Arbeitsminister Ali bin Samikh Al Marri. Danach erklärte die Regierung in Doha, die "EU-Beamtin" Kaili habe bestätigt, dass Katar alle notwendigen Anforderungen im Bereich des Arbeitsmarkts erfüllt und Reformen zügig umgesetzt habe.

Für die EU kann die Griechin zwar gar nicht sprechen, prominent ist sie gleichwohl. Die studierte Architektin und frühere Fernsehmoderatorin begann ihre Politkarriere 2007 als jüngste Abgeordnete, die jemals ins griechische Parlament gewählt wurde. 2014 wechselte Kaili ins EU-Parlament. Dort gilt sie als einflussreiche, korrekte und sehr engagierte Abgeordnete, die sich um Wissenschaftspolitik genauso kümmert wie um Migration oder Kinderschutz. Seit diesem Jahr ist sie Vizepräsidentin – eine von 14.

EU-Parlamentspräsidentin Metsola: "Unser Partlament steht gegen Korruption"

Entsprechend groß ist die Erschütterung: Die griechische Pasok-Partei schloss Kaili noch am Freitagabend aus, die Fraktion der Sozialdemokraten im EU-Parlament suspendierte ihre Mitgliedschaft. Das Parlament wird vorsichtshalber die ab Montag geplanten Verhandlungen über Visa-Erleichterungen für Bürger Katars aussetzen – aus Furcht, Katar habe Einfluss auf die Verhandlungsvorbereitung genommen. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola erklärte: "Unser Parlament steht entschieden gegen Korruption."

Roberta Metsola nach ihrer Wahl zur Parlamentspräsidentin.
Roberta Metsola nach ihrer Wahl zur Parlamentspräsidentin. © AFP | PATRICK HERTZOG

Zahlreiche Abgeordnete äußerten sich fassungslos und forderten Kailis Rücktritt – erst vom Vizepräsidentenamt und dann auch vom Mandat, wenn sich die Vorwürfe bestätigen. Ob sich damit das Ansehen des Parlaments retten lässt? Lesen Sie auch: Wegen Korruption: EU droht Orban – Was dahinter steckt

Der Direktor der Anti-Korruptionsorganisation "Transparency International EU", Michiel van Hulten, meint, der Skandal sei zwar "der ungeheuerlichste Fall mutmaßlicher Korruption" im Parlament seit vielen Jahren – "aber es ist kein Einzelfall". Präsidium und Mehrheit des Parlaments hätten jeden ernsthaften Versuch blockiert, die Rechenschaftspflicht zu verbessern, kritisiert van Hulten. Über viele Jahrzehnte hinweg habe das Parlament die Entwicklung einer Kultur der Straflosigkeit zugelassen. Finanzregeln und Kontrollen seien lax, denn es herrsche das Selbstverständnis, dass "Ethik- und Integritätsregeln nur für andere gelten sollten".

Dieser Artikel erschien zuerst bei morgenpost.de.