Berlin. In der Bildungspolitik regiert das Klein-Klein: Die Länder streiten über Zentralabitur und Ferienregelung. Die Schüler baden es aus.

Die Grundschule dauert mal vier, mal sechs Jahre. Real- und Hauptschulen sind mal abgeschafft zugunsten von Gesamt- oder Sekundarschulen, mal der schützenswerte Bestandteil des dreigliedrigen Schulsystems: Positiv ausgedrückt ist die Vielfalt im deutschen Bildungswesen bemerkenswert. In der Realität herrscht allerdings das reinste Chaos. Das legt der nun neu aufgeflammte Streit der Bundesländer um Zentralabitur und Ferien offen.

Dabei gäbe es viel zu reformieren, nicht nur die Prüfungsaufgaben. Denn zwischen Hamburg und Baden-Württemberg oder Berlin und Thüringen liegen bildungspolitische Welten. So erreichen Schüler mal nach 12, mal nach 13 Jahren oder auch zwölfeinhalb das Abitur.

Das deutsche Bildungschaos: In jedem Land andere Regeln

Es gibt Bundesländer, die verlangen die drei Kernfächer Deutsch, Mathematik und Englisch als Schwerpunkte, andere erlauben ein Abitur mit Englisch, Französisch, Geschichte und Biologie. Berlin hat eine fünfte Prüfungskomponente mit Präsentationsprüfung im Abitur, Thüringen fünf Prüfungsfächer, Rheinland-Pfalz drei Leistungskurse statt zwei.

Und weiter: Bei Schulvergleichstests wie Pisa oder Vera kommt meistens heraus, dass die Schüler in Berlin und Bremen besonders schlecht, in Bayern und Sachsen besonders gut sind. Die Thüringer hingegen können gut rechnen, aber kein Englisch. Grundschüler aus Bayern können zwar besonders gut lesen, dafür quälen die Schulen Kinder mit einer drastischen Zugangsbeschränkung zum Gymnasium.

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Jedes Bundesland beschwört mantraartig seine Bildungshoheit

All dies ist ein Zustand seit Jahrzehnten. All dies ist bekannt, hinreichend analysiert und kommentiert von Medien, Verbänden, Wissenschaft und Politik. Und trotzdem beschwört jedes Bundesland mantraartig seine Bildungshoheit – und zwar auf dem Rücken der Kinder.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) stieg aus dem Nationalen Bildungsrat aus – und beerdigte ihn damit.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) stieg aus dem Nationalen Bildungsrat aus – und beerdigte ihn damit. © dpa | Peter Kneffel

Wenn sie mit ihren Eltern aus beruflichen Gründen umziehen müssen, etwa von Bremen nach Bayern oder Berlin nach Sachsen, bleibt ihnen meist gar nichts anderes übrig, als entweder ein Jahr zu wiederholen oder intensiven Nachhilfeunterricht in Kauf zu nehmen.

Im Prinzip kann man Eltern nicht empfehlen, mit der ganzen Familie von einem Bundesland in ein anders zu wechseln – was für eine Einschränkung in einem der reichsten und wichtigsten Industrienationen.

Die Verbohrtheit gipfelt in der Ferienregelung

Je nach jeweiliger Landesregierung behindert ideologische Verbohrtheit (Sekundarschule für alle), purer Populismus (Rückkehr zu G9) oder Überheblichkeit (wir sind die besten, wir ändern nichts) eine gemeinsame Linie zu einem niveauvollen und zukunftsweisenden System. Alle eint der Unwille, die Bildungshoheit der Länder zu lockern und dem Bund mehr Kompetenzen zu geben.

Die Verbohrtheit der Länder gipfelt in der Ferienregelung: In Bayern können Familien in der Vorsaison über Pfingsten Urlaub machen, Berliner lieben die Winterferien zum Skilaufen. Beides gibt es in Nordrhein-Westfalen nicht, dafür aber lange Herbstferien, die mitunter in den November hineinragen, wenn als Urlaubsziel nur noch Teneriffa in Frage kommt.

Trotz aller Mängel – die heilige Kuh wird nicht geschlachtet

Die Sommerferien beginnen mal im Juni, mal Anfang August – dieser Wechsel kann ein Schuljahr besonders lang oder auch besonders kurz machen. Nur Bayern und Baden-Württemberg gönnen sich feste Termine (ein altes Relikt aus den Zeiten, als Kinder noch bei der Ernte helfen mussten und daher schulfreie Wochen im Spätsommer brauchten).

Trotz all dieser Ungerechtigkeiten und Mängel gilt die Bildungshoheit der Länder als heilige Kuh. Solange das so ist, wird es Deutschland nicht schaffen, das Bildungschaos zu ordnen. Welch ein Armutszeugnis für dieses reiche, hochentwickelte Land.