Noch nie gab es so viele Verspätungen und Zugausfälle. Es ist ein Rätsel, warum das Netz der Bahn in derart schlechtem Zustand ist.

„Die Bahn kommt“ lautet ein alter Werbespruch des Staatsunternehmens. Niemand aus der obersten Etage im gläsernen Bahntower in der Mitte Berlins würde es heute wagen, diese Aussage erneut zu plakatieren. Deutschlands wichtigster öffentlicher Verkehrsträger ist auf einem bedauerlichen Leistungstiefststand.

Noch nie gab es so viele Verspätungen. Noch nie gab es so viele Zugausfälle. Noch nie war die Stimmung gegenüber der Bahn so schlecht. Niemand kann sich den Schauergeschichten unzufriedener Bahnkunden entziehen. Im Gespräch mit Freunden, am Arbeitsplatz, im Social-Media-Stream – es ist ein Dauerfeuer, das die Bahn bekommt, und es können einem die Mitarbeiter leidtun, die sich diesem Echo täglich ausgesetzt sehen.

Chefredakteur Funke Zentralredaktion Berlin
Chefredakteur Funke Zentralredaktion Berlin © Dirk Bruniecki

Deutsche Bahn: 17.000 Schienenkilometer sind marode

Dabei geht es längst nicht mehr nur um verspätete Züge und den Frust von Urlaubern, deren Reisepläne krachend scheitern. Oder um Unannehmlichkeiten wie die penetrante Umkehrung von Wagenreihungen, bei der Senioren zu Kurzstreckensprintern mutieren müssen, um festzustellen, dass die reservierten Plätze am anderen Ende des Bahnsteigs trotzdem weg sind. Von der spätkommunistischen Mangelwirtschaft im Bordrestaurant, wo entweder Kaffee, Butter oder Bier fehlt, ganz zu schweigen.

Das größte Problem liegt tiefer, genauer: unter den schweren Zugrädern. Es ist das marode Schienensystem. Was die Bundesregierung da in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Linken auflistet, ist erschreckend: Über 17.000 Schienenkilometer sind marode, über 1000 Brücken so kaputt, dass sich nicht einmal eine Sanierung lohnt.

Ausgerechnet in Bayern, wo Hightech angeblich auf die Lederhose trifft, ist der Investitionsbedarf am größten. Da erscheint ein Unfall, bei dem ein Regionalzug jüngst in Garmisch-Partenkirchen entgleiste und vier Frauen sowie ein Junge starben, in ganz anderem Licht.

Es ist ein großes Rätsel, warum das Netz der Bahn in derart schlechtem Zustand ist. Brücken zerfallen schließlich nicht über Nacht und das Schienennetz ist seit der großen Bahnreform deutlich kleiner geworden. Warum also wird bei einer notwendigen Sanierung so lange gewartet? Jeder Hausbesitzer weiß doch: Was nicht zeitig repariert wird, kommt am Ende immer deutlich teurer oder kann sogar gefährlich werden.

Bundesregierung sollte sich schnell um das System Bahn kümmern

Diesen Schuh müssen sich Bahn und Politik gleichermaßen anziehen, schließlich ist der Eigentümer der Netz AG zu 100 Prozent der Bund. In der Ampel-Regierung spielt man derzeit den Ball elegant in Richtung der Vorgänger. Anders sind die harten Worte des neuen Bundesverkehrsministers zum Zustand der Bahn nicht zu verstehen. Weder Grüne noch Liberale wollen mit dieser hässlichen Bestandsaufnahme zu tun haben. Bleibt die SPD, an der der Bahn-Ärger kleben bleibt.

Besonders ärgerlich ist: Eigentlich ist die Bahn ein beliebtes Verkehrsmittel. Der Run auf das 9-Euro-Ticket war gigantisch und wenn die Verbindung und der Service klappen, gibt es selbst für verwöhnte Kunden kaum ein entspannteres Reisen.

Die Bundesregierung sollte sich jetzt schnell um das System Bahn kümmern. Schließlich ist es einer der wenigen Trümpfe, die die Politik beim Kampf gegen den Klimawandel ziehen kann. Kein Verkehrsträger bietet auf längeren Strecken eine derart günstige Ökobilanz und entlastet Fernstraßen so effektiv von Lkw-Kolonnen wie die Bahn.

Auch aus diesem Grund ist es umso unverständlicher, dass seit Jahren bei der Bahn am falschen Ende gespart wird.

Dieser Text erschien zuerst auf morgenpost.de