Berlin. Gesundheitsminister Lauterbach will eine Radikalkur für die Kliniken. Wie sie aussehen könnte – und was sich dann für Patienten ändert.

Dramatische Personalnot, unnötige Eingriffe, oft miese Qualität: Die Symptome für den chronisch schlechten Zustand der deutschen Krankenhäuser können selbst Laien im Schlaf aufzählen. Ein besonders drastisches Symptom zeigt sich in diesen Tagen: Die Kinderkliniken sind inzwischen derart schlecht aufgestellt, dass sie in der aktuellen Infektionswelle reihenweise kollabieren. Doch was hilft dagegen?

Gesundheitsminister Karl Lauterbach will eine Radikalkur für die Kliniken, der SPD-Mann spricht von „Revolution“. Am Dienstag wurde bekannt, wie sie aussehen könnte – und was sich jetzt für Krankenhauspatienten ändern soll.

„Ein System, das Gewinne macht, indem bei Kindern gespart wird, ist ein krankes System“, sagte Lauterbach bei der Vorstellung der Reformvorschläge der Regierungskommission für die Krankenhausversorgung in Berlin. Die Lage in den Kinderkliniken sei „exemplarisch“ für die Lage der Krankenhäuser. „Billig und Masse ist das Gebot der Stunde. Das muss weg.“

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Welches Ziel hat die Krankenhausreform?

Seit einem halben Jahr arbeiten die 17 Experten der Kommission an einem Plan. Das Ziel: Ein System zu schaffen, bei dem Qualität wieder wichtiger ist als Gewinn. Auch, um das Personal bei der Stange zu halten: „Keiner will in einem verfallenden Krankenhaus Medizin machen, die nur die Gewinne des Betreibers maximiert“, so Lauterbach. Dahinter steht die große Sorge, dass die Klinikversorgung in Deutschland angesichts der älter werdenden Babyboomer ohne rechtzeitige Reform komplett in die Knie gehen könnte.

„Es brennt lichterloh“, warnt Tom Bschor, Koordinator der Kommission Krankenhausversorgung. „Wir haben Masse statt Klasse.“ Mit anderen Worten: Unterversorgung in der Kinderheilkunde oder der Geburtshilfe, Überversorgung bei vielen unnötigen Eingriffen wegen falscher ökonomischer Anreize. „Die Krankenhausversorgung wird kollabieren, wenn wir jetzt nicht gegensteuern.“

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Im Kern soll die Reform drei Effekte haben – und spätestens in fünf Jahren vollständig greifen: Patienten sollen sich darauf verlassen können, dass es eine wohnortnahe Krankenhausversorgung gibt, ohne dass die einzelnen Häuser immer mehr Fälle behandeln müssen, um zu überleben. Wer sich behandeln lassen muss, soll sicher sein, dass nicht ökonomische Gründe für den Eingriff eine Rolle spielen, sondern nur medizinische.

Drittens soll sichergestellt sein, dass schwierige Eingriffe nur dort passieren, wo Kliniken darauf spezialisiert sind. Krebsbehandlungen oder künstliche Beatmung zum Beispiel dürften dann nur in zertifizierten Zentren stattfinden. In Deutschland, berichten Experten, sei das Sterberisiko bei einer künstlichen Beatmung mit 70 Prozent deutlich höher als in Ländern, die diese Behandlung auf ausgewählte Kliniken beschränkten.

Zustand der Krankenhäuser: Was ist das zentrale Problem?

Die Vergütung über die Fallpauschalen. Das System wurde vor 20 Jahren eingeführt, die Kritik daran ist mindestens genauso alt. Damals ging es darum, das System effizienter zu machen und zu kürzeren Klinikaufenthalten für die Patienten zu kommen. Dafür gibt es einen Katalog mit Fall- und Diagnosegruppen. Die Kliniken bekommen von der jeweiligen Krankenkasse pro Patient oder Behandlungsfall einen pauschalen Euro-Betrag. Je mehr Patienten eine Klinik behandelt, desto mehr Einnahmen erzielt sie. Der Druck, auch unnötige Eingriffe zu machen ist groß. Schon aus den Pauschalen herausgelöst wurden Kosten fürs Pflegepersonal, um Spardruck zulasten der Pflege zu beseitigen.

Lauterbach, der vor 20 Jahren selbst maßgeblich an der Einführung beteiligt war, gehört heute zu den schärfsten Kritikern: „Der einzelne Patient kann nie sicher sein, ob sein Fall medizinisch notwendig ist. Wir machen diverse Operationen am Lebensende, wo der wahrscheinliche Gewinn sehr gering ist.“ Klinikbetreiber böten Ärztinnen und Ärzten teilweise höhere Gehälter, wenn sie etwa die Zahl der Knie- oder Hüftoperationen steigerten.

Eine Pflegerin kümmert sich um einen Intensivpatienten. Gesundheitsminister Lauterbach will die Kliniken stärker vom Kostendruck befreien.
Eine Pflegerin kümmert sich um einen Intensivpatienten. Gesundheitsminister Lauterbach will die Kliniken stärker vom Kostendruck befreien. © epd | Steffen Schellhorn

Klinikreform: Was soll sich ändern?

Künftig soll es drei Sorten von Kliniken geben: Lokale, regionale und überregionale Häuser. Die lokalen Krankenhäuser sollen gar nicht mehr über die Fallpauschalen finanziert werden, sondern eine Tagespauschale bekommen. Sie können nach dem Vorschlag der Regierungskommission auch von qualifizierten Pflegefachkräften geleitet werden, nicht zwingend durch Ärzte. Innerhalb dieser Basisversorger soll noch einmal unterschieden werden zwischen Krankenhäusern mit Notaufnahme und solchen, in denen ambulante und stationäre Leistungen im Sinne eines lokalen Versorgungszentrums gebündelt werden.

Regionale und überregionale Kliniken mit Maximalversorgung sollen dagegen weiterhin über Fallpauschalen abrechnen – aber nur noch zu 40 Prozent im Regelfall. Auf diese Weise soll der Anreiz sinken, eine Behandlung nur zu Abrechnungszwecken durchzuführen. Die verbleibende Lücke wird künftig als Vorhalteleistung finanziert. Die Kliniken bekommen Geld dafür, dass sie Betten, Personal und Geräte bereithalten.

Das Gesamtbudget bleibt gleich, wird aber anders verteilt – nach dem Prinzip Daseinsvorsorge statt Gewinnmaximierung. „Ich kann durch einen zusätzlichen Fall, für den ich allenfalls 60 Prozent bekomme, keine Gewinne machen“, so Lauterbach. „Dieses System ist für private Träger deutlich weniger interessant.“

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Wie teuer wird die Krankenhausreform?

Die Gesamtsumme, mit der die Kliniken bislang finanziert werden, soll gleichbleiben. „Es gibt keine zusätzlichen Kosten“, so Kommissions-Leiter Bschor. Einkalkuliert ist dabei allerdings bereits, dass die Kliniken künftig unnötige Eingriffe unterlassen und viele Behandlungen ambulant gemacht werden.

Insgesamt machen die Ausgaben für die bundesweit rund 1900 Kliniken aktuell den größten Einzelposten bei den gesetzlichen Krankenversicherungen aus. Im vergangenen Jahr fielen nach Angaben des GKV-Spitzenverbands fast 85,9 Milliarden Euro dafür an - und damit etwa jeder dritte Euro gemessen an den gesamten Leistungsausgaben von 263 Milliarden Euro. Generell ist die Finanzierung der Krankenhäuser zweigeteilt: Die Betriebskosten samt Personal zahlen die Kassen, Investitionskosten wie für Neubauten oder neue Geräte sollen die Bundesländer finanzieren.

Auf Dauer, so Lauterbach, sei jedoch mit einer Kostensteigerung zu rechnen: Die Babyboomer werden älter, die Medizin wird besser, aber oft auch teurer.

Gesundheitsminister: Welche Experten beraten Lauterbach?

In der Kommission sitzen Experten aus Medizin, Pflege, Ökonomie und Recht. Vertreter der Kassen, der Kliniken oder der Ärzteverbände wurden zwar angehört aber nicht an der Ausgestaltung der Reform beteiligt. Das hat Methode: Wären die Lobbygruppen von Anfang an dabei gewesen, so Lauterbach, „hätten wir nichts herausbekommen“. Die Einzelinteressen seien zu stark, um das System zu verändern. Auch die Bundestagsfraktionen und die Länder blieben bis Anfang der Woche außen vor.

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Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.