Hannover. Ministerpräsident Stephan Weil geht als Sieger aus der Wahl hervor, die CDU wird bitter enttäuscht. Herausforderer Althusmann tritt ab.

Wolfgang Jüttner war vieles für die SPD in Niedersachsen: Umweltminister, Fraktionschef, Parteivorstand. Jüttner, heute noch „Genosse“, aber doch schon Polit-Rentner, sagt an diesem Abend im Saal der SPD, kurz bevor die ersten Ergebnisse über den Bildschirm flackern, einen Satz, der die Wucht dieser Wahl zum Landtag beschreibt: „Die Verunsicherung der Menschen war noch nie so stark.“ Das haben alle gespürt, im Wahlkampf, an den Infoständen, im Bierzelt.

Ukraine-Krieg, Energiekrise, Inflation – diese Wahl in Niedersachsen war so wenig lokal wie kaum eine deutsche Landtagswahl der vergangenen Jahrzehnte. Auch Ministerpräsident Stephan Weil spricht am Abend von einem „harten Wahlkampf“ und den „tiefen Sorgen“ der Menschen.

Um kurz nach 18 Uhr steht Jüttner in erster Reihe der Sozialdemokraten vor dem Monitor im Fraktionssaal und kommentiert das Wahlergebnis so, wie man einen Sieg wohl mit norddeutscher Gelassenheit zwischen Nordsee und Harz am ehesten beschreibt: „Es war das, was ich erwartet habe.“

Wahl in Niedersachsen: SPD gewinnt – Ende der Landes-GroKo?

Die SPD liegt am Sonntagabend nach den Hochrechnungen vorne. Für Spitzenkandidat und Ministerpräsident Stephan Weil sieht es gut aus, dass er erneut in die Staatskanzlei einziehen kann. „Die Wählerinnen und Wähler haben der SPD den Regierungsauftrag erteilt und niemand anders sonst“, sagt er kurz nach Bekanntgabe des Ergebnisses.

Bisher regierte er mit der Union in einer Großen Koalition. Doch die Christdemokraten verlieren an Stimmen, während die Grünen ihr Ergebnis deutlich verbessern können. Die FDP muss bangen, kratzt am Abend an der Fünf-Prozent-Hürde. Die AfD kann ein gutes Ergebnis feiern, die Linke schafft es erneut nicht in das Landesparlament.

Im Fraktionssaal der SPD bricht am frühen Abend noch einmal Jubel aus: Als das schwache Ergebnis der CDU bekannt wird. Hier bei den Sozialdemokraten wollen die wenigsten die Regierung mit der Union fortsetzen, sie streben nun nach einem rot-grünen Bündnis. Auch Wahlsieger Weil sagt: „Wenn es dafür die Grundlage gibt, gilt meine Aussage vor der Wahl auch nach der Wahl.“ Und die war deutlich: Er wünscht sich Rot-Grün.

Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident Niedersachsen
Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident Niedersachsen © dpa | Marcus Brandt

Niedersachsen-Wahl: Weil holt bessere Umfragewerte als Scholz

Und weil diese Wahl so stark von den Weltkrisen bestimmt wurde, sehen Fachleute sie auch als Abstimmung über die Politik der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP in Berlin. Weils SPD hat deutlich mehr Prozente erzielt als die Bundespartei unter Kanzler Scholz derzeit in Umfragen erhält. Diese Wahl in Niedersachsen ist damit auch ein Sieg für Stephan Weil. Er regiert in Hannover seit 2013, wurde nun ein zweites Mal im Amt bestätigt. Das schaffen aktuell wenige Sozialdemokraten. Weils Rolle in der Bundes-SPD dürfte damit ebenfalls stärker werden.

Niedersachsen hat schon oft in den Bund gewirkt. Gerhard Schröder und Christian Wulff waren hier erst Regierungschef – und dann Kanzler und Präsident. Stephan Weil, heute 63, ist anders als Schröder und Wulff. Weniger Bierzelt-Glamour, weniger Promi-Schlagzeilen, aber doch gewann er diese Wahl auch mit einer Smalltalk-Souveränität am Würstchenstand.

Weils Beliebtheit in dem Bundesland ist nicht herausragend, aber doch weit größer als die der anderen Kandidaten. Jeder zweite hätte ihn in Umfragen vor der Wahl direkt wieder zum Ministerpräsidenten gekürt. Mit Slogans wie „das Land in guten Händen“ oder „keine Zeit für Sprüche“ hatte seine SPD schon früh auf eine Art „Sie-kennen-mich“-Wahlkampf gesetzt.

Schlechtestes CDU-Ergebnis in Niedersachsen seit mehr als 60 Jahren

Die CDU muss Verluste hinnehmen, steht vor dem schlechtesten Ergebnis in Niedersachsen seit mehr als 60 Jahren – und ist nun möglicherweise auf dem Weg von der Regierungsbank in die Opposition.

Für CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann war es keine einfache Wahl. Der Wirtschaftsminister der bisherigen Großen Koalition gilt als fachlich versiert. Bei Gesprächen an Infoständen wirkt der 55-Jährige aber weniger offen im Umgang mit Wählerinnen und Wählern als Konkurrent Weil. Einige Jahre hatte Althusmann nach 2013 in Afrika verbracht, weit weg von Hannover.

Noch am Abend kündigte Althusmann seinen Rücktritt als CDU-Landesvorsitzender an. „Wir haben unser Wahlziel, stärkste Kraft in Niedersachsen zu werden, auf jeden Fall nicht erreicht“, sagte er in Hannover. „Dieses Votum nehmen wir demütig an.“ Die Wähler hätten der SPD einen klaren Regierungsauftrag erteilt.

Ministerpräsident Stephan Weil (SPD, l) und Julia Willie Hamburg, Spitzenkandidatin der Grünen.
Ministerpräsident Stephan Weil (SPD, l) und Julia Willie Hamburg, Spitzenkandidatin der Grünen. © Friso Gentsch/dpa

Wahl in Niedersachsen: Auch die Grünen sind heute Gewinner

Die Grünen sind neben Weil ebenfalls Gewinner dieser Wahl. Die Partei konnte sich im Vergleich zu 2017 deutlich steigern. Jedoch bleibt sie hinten den Umfrageergebnissen vom Sommer zurück, als die Demoskopen noch bis zu 22 Prozent für die Grünen meldeten. Der Landesverband gilt als links, Spitzenkandidatin Julia Willie Hamburg als klug und besonnen, manchen fast ein wenig zu still. Und damit auch als zu wenig bekannt. Das gute Ergebnis nun folgt auch eher einem Siegeszug vieler grüner Fraktionen in Deutschland in den letzten Jahren – und weniger der Stärke der Niedersachsen-Partei.

Die AfD ist ein weiterer Gewinner der Wahl. Auch sie konnte ihre Stimmenanteile deutlich verbessern im Vergleich zur Wahl 2017. Zuletzt war die Partei nur noch im Osten Deutschlands erfolgreich, verlor in vielen Wahlgängen etwa wie in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen massiv an Stimmen. Sachsen und Thüringen sind die Machtbasis der AfD. Doch nun ist das Signal von Niedersachsen ein anderes: Energiekrise und hohe Inflation können auch den Rechten zu einem Comeback verhelfen – und dies obwohl der Landesverband in Niedersachsen lange zerstritten war. 2020 zerlegten parteiinterne Machtkämpfe die Fraktion in Hannover sogar.

Niedersachsen-Wahl: Die Zeichen stehen auf Rot-Grün

Das Bekenntnis von Wahlsieger Weil ist deutlich: „Die SPD und die Grünen stehen für einen aktiven Staat“, sagte er zuletzt. Klarer kann man um einen Wunschpartner kaum werben. Eine Fortsetzung der Großen Koalition hätte die größte Mehrheit im neuen Landtag. Doch die SPD scheint diesem Bündnis kein Vertrauen mehr zu schenken. Kurz vor der Wahl hatte Weil in Richtung seines bisherigen Regierungspartners CDU spitz verlauten lassen, dass die „Gemeinsamkeiten derzeit deutlich zur Neige“ gingen.

Auch von Seiten der Grünen ist die SPD erste Wahl für einen künftigen Partner in Hannover. „Dass wir mehr Schnittmengen mit der SPD haben, ist kein Geheimnis“, hatte Grünen-Spitzenkandidatin Julia Willie Hamburg vor der Wahl gesagt. Am Sonntagabend bekräftigte sie den Wunsch nach Rot-Grün.

Vieles hängt jedoch auch vom Abschneiden der FDP ab, die in ersten Hochrechnungen am Sonntagabend noch um den Einzug ins Landesparlament zittern musste. Zöge die FDP mit mehr als fünf Prozent ein, würde es für Rot-Grün eng – und Ministerpräsident Weil könnte unter Druck geraten, die Liberalen in ein Ampel-Bündnis mitzunehmen. Hannover würde dann Berlin kopieren. Scheitert die FDP an der Fünf-Prozent-Hürde, sieht es für eine rot-grüne Mehrheit besser aus.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.