Rom. Die Parteichefin der rechtsradikalen Fratelli d'Italia, Giorgia Meloni, ist als neue Regierungschefin von Italien vereidigt worden.

Gruppenbild mit Dame: Bei der Vereidigung im prunkvollen Salon des Quirinals, dem Palast des Staatspräsidenten in Rom, strahlt die frisch angelobte italienische Regierungschefin Giorgia Meloni. Die 45-jährige Rechtspopulistin und Wahlsiegerin ist die erste Premierministerin in der Geschichte Italiens und die drittjüngste aller Zeiten.

Glücklich und beschwingt wirkt Meloni in ihrer strengen blauen Jacke beim Foto inmitten ihrer frisch vereidigten Minister. An der Seite ihres engsten Verbündeten, dem fast zwei Meter großen, bulligen Verteidigungsminister Guido Crosetto, wirkt Meloni noch kleiner und zierlicher.

Doch das Aussehen darf nicht täuschen: Nach Wochen der Wirren und Machtintrigen hat sich die gebürtige Römerin und Chefin der ultrarechten Partei "Fratelli d'Italia" (Brüder Italiens) auf der ganzen Linie durchgesetzt.

Giorgia Meloni wird als erste Regierungschefin Italiens vereidigt.
Giorgia Meloni wird als erste Regierungschefin Italiens vereidigt. © FABIO FRUSTACI / ANSA / AFP

Meloni ist neue Regierungschefin Italiens – ihre Ministerliste

Ein Blick auf die Ministerliste bestätigt das: Sonderwünsche ihrer anspruchsvollen Allianzpartner, Matteo Salvini von der Lega und Silvio Berlusconi von Forza Italia, hat Meloni beinhart ausgeschlagen.

Salvini hatte auf das Innenministerium spekuliert, Berlusconi wollte eine seiner politischen Wegbegleiterinnen, Maria Elisabetta Casellati, an der Spitze des Justizministeriums sehen. Beide Positionen wurden aber anderweitig vergeben. Bei zähen Verhandlungen mit den Koalitionspartnern kristallisierte sich ein Kabinett aus 24 Ministern darunter fünf parteilosen Fachleuten heraus, genau austariert nach Stärke der Parteien - ein Meisterwerk politischer Ingenieurkunst.

Insgesamt entspricht die neue Regierung perfekt den politischen Machtverhältnissen in der Koalition. So erhielt Melonis Partei neun Minister, die Forza Italia und die Lega jeweils fünf. Meloni setzte sich zwar mit ihren Anliegen durch, schaffte es jedoch zugleich mit dem Geschick einer erfahrenen Berufspolitikerin, die Bündnispartner zufriedenzustellen.

Berlusconi hievte seinen langjährigen Vertrauensmann, Ex-EU-Parlamentschef Antonio Tajani, ins Außenministerium. Salvini schaffte zwar nicht die ersehnte Rückkehr ins Innenministerium, tröstet sich jedoch mit dem Posten des Infrastrukturministers. Angesichts der milliardenschweren Finanzierungen, die Italien aus dem EU-Wiederaubaufonds zufliessen, ebenfalls ein Ressort von Gewicht.

Regierung in Italien: Migrationsproblematik ist Thema

Die Lega erhält mehrere prestigereiche Ministerien. So rückt Salvinis Vertrauensmann Giancarlo Giorgetti zum Wirtschaftsminister auf. Er wird Garant eines liberalen und proeuropäischen Kurses der neuen Regierung sein. Landwirtschaftsminister wird Francesco Lollobrigida, der Schwager Melonis, der an ihrer Seite 2013 die Fratelli d´Italia gegründet und sie von einer kleinen, neofaschistischen Oppositionspartei zur stärksten Einzelkraft Italiens ausgebaut hat.

Der erfahrene parteiunabhängige Präfekt Roms, Matteo Piantedosi, wird das Innenministerium leiten und somit auch für die Migrationsproblematik zuständig sein. Ob Piantedosi wie sein Vorgänger Salvini eine rigorose Politik der "geschlossenen Häfen" gegenüber Rettungsschiffen im Mittelmeer betreiben wird, ist noch offen. Fest steht, dass Meloni seit ihrem Wahlsieg nicht mehr das umstrittene Thema einer Seeblockade vor den nordafrikanischen Ländern aufgegriffen hat, die Abfahrten von Fluchtbooten stoppen soll.

Giorgia Meloni mit ihren Kabinettsmitgliedern.
Giorgia Meloni mit ihren Kabinettsmitgliedern. © FABIO FRUSTACI / ANSA / AFP

Obwohl Italien die erste von einer Premierministerin geführten Regierung erhält, ist die weibliche Komponente im neuen Kabinett nach alter italienischer Tradition nur schwach. Die Spitzenpolitikerin von Melonis Partei, Daniela Santanché, übernimmt das Tourismusministerium. Berlusconis Vertraute Casellati wird Reformenministerin.

Italiens Regierungschefin Meloni: Herausforderung Energiekrise

Meloni lobte ihre "hochkarätige Exekutive, die schnell arbeiten wird, um auf die drängenden Probleme der Nation und der Bürger zu reagieren". An Herausforderungen wird es der unverheirateten Mutter einer sechsjährigen Tochter nicht fehlen. Die Energiekrise belastet Familien und Unternehmen schwer. Die Inflation stieg im September im Jahresvergleich um 8,9 Prozent. Im kommenden Jahr droht Italien eine Rezession.

Der Handlungsspielraum wird durch eine gigantische Schuldenlast von 150 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) eingeschränkt – nach Griechenland die höchste Schuldenquote in der Eurozone. Italien muss zügig die im EU-Wiederaufbauplan enthaltenen Ziele umsetzen, will es die Milliarden aus Brüssel erhalten. Also heißt es, keine Zeit zu verlieren.

Wie stabil die neue Regierung in Rom sein wird, ist eine offene Frage. "Fünf Jahre zusammen, um Italien zu verändern", twitterte Salvini – wohl wissentlich, dass die Regierungen des Landes im Schnitt nur etwas mehr als ein Jahr durchhalten.

Ex-Premier Berlusconi: "Zeitbombe" für die neue Regierung

Den größten Unsicherheitsfaktor stellt Berlusconi dar. Der 86-jährige TV-Zar und viermalige Premier erträgt es schlecht, dass er jetzt auch offiziell nicht mehr Alleinherrscher im Mitte-Rechts-Lager ist, das er 1994 bei seinem Einstieg in die Politik selber gründete.

Meloni, deren Karriere er stark gefördert hatte, als er ihr als 31-Jährige das Jugendministerium anvertraute, betrachtet Berlusconi als undankbar und "arrogant". Die Aussagen Berlusconis über seine wiederhergestellte Freundschaft zu Putin und seine Geringschätzung für den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskyj drohen Melonis Regierung im Ausland zu schwächen.

Politische Beobachter bezeichnen Berlusconi als "Zeitbombe" für die neue Premierministerin. Ob es Meloni gelingen wird, diese zu entschärfen, werden die nächsten Regierungswochen zeigen.

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Dieser Artikel erschien zuerst bei morgenpost.de.