Michail Gorbatschow hat Weltgeschichte geschrieben und Deutschland vereint. Wir können auch noch nach seinem Tod viel von ihm lernen.

Was ist eigentlich ein Held? Der französische Literaturnobelpreisträger Romain Rolland hat es einmal so formuliert: „Ein Held ist einer, der tut, was er kann. Die anderen tun es nicht.“ Michail Gorbatschow hat getan, was er konnte. Selten war ein einzelner Politiker mutiger als der Generalsekretär der KPdSU, der der deutschen Einheit, der Meinungsfreiheit und weltweiter Abrüstung den Weg bahnte.

Der Preis, den Gorbatschow dafür zahlen musste, war hoch: Die Sowjetunion ist nach dem Zusammenbruch des Eisernen Vorhangs zerfallen und die Schockwellen dieses Kollapses erschüttern noch heute Europa. Dennoch war es ein historischer Glücksfall, dass Michail Gorbatschow auf dem Höhepunkt seiner Macht auf den deutschen Kanzler Helmut Kohl traf.

Michail Gorbatschow: Stationen seines Lebens in Bildern

6. Oktober 1989, DDR, Ost-Berlin: Der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow (l) wird nach seiner Ankunft zu den Feierlichkeiten zum 40-jährigen Staatsjubiläum der DDR in Ost-Berlin von dem Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker mit dem traditionellen Bruderkuss willkommen geheißen. Das Foto geht in die Geschichte ein.
6. Oktober 1989, DDR, Ost-Berlin: Der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow (l) wird nach seiner Ankunft zu den Feierlichkeiten zum 40-jährigen Staatsjubiläum der DDR in Ost-Berlin von dem Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker mit dem traditionellen Bruderkuss willkommen geheißen. Das Foto geht in die Geschichte ein. © dpa | Wolfgang Kumm
Richard von Weizsäcker (rechts) mit Michail Gorbatschow und Helmut Kohl (links, Bundeskanzler) bei einem Treffen in Bonn im Jahr 1989. Gorbatschow bringt mit seinen Ideen von Glasnost und Perestroika den Eisernen Vorhang ins Wanken.
Richard von Weizsäcker (rechts) mit Michail Gorbatschow und Helmut Kohl (links, Bundeskanzler) bei einem Treffen in Bonn im Jahr 1989. Gorbatschow bringt mit seinen Ideen von Glasnost und Perestroika den Eisernen Vorhang ins Wanken. © picture alliance / IMAGNO/Votava | dpa Picture-Alliance /
Gorbatschow und Kohl (CDU) im Oktober 1990: Die beiden Staatsmänner gelten als Väter der Deutschen Einheit.
Gorbatschow und Kohl (CDU) im Oktober 1990: Die beiden Staatsmänner gelten als Väter der Deutschen Einheit. © picture alliance / KUNZ / Augenk | dpa Picture-Alliance / KUNZ / Augenklick
Helmut Kohl besucht Gorbatschow im Kaukasus. Auch Gorbatschows Frau Raissa (Mitte) ist bei dem Treffen in Archys mit dabei.
Helmut Kohl besucht Gorbatschow im Kaukasus. Auch Gorbatschows Frau Raissa (Mitte) ist bei dem Treffen in Archys mit dabei. © dpa | dpa
Die spätere Bundeskanzlerin Angela Merkel hält ebenfalls Kontakt zu Gorbatschow. Gemeinsam mit ihm und dem polnischen Gewerkschaftsführer Lech Walesa schreitet sie am Jahrestag des Mauerfalls am 9. November 2009 über den früheren Grenzübergang Bornholmer Straße in Berlin.
Die spätere Bundeskanzlerin Angela Merkel hält ebenfalls Kontakt zu Gorbatschow. Gemeinsam mit ihm und dem polnischen Gewerkschaftsführer Lech Walesa schreitet sie am Jahrestag des Mauerfalls am 9. November 2009 über den früheren Grenzübergang Bornholmer Straße in Berlin. © Rainer Jensen/dpa
Gorbatschow ist nach der Wende immer wieder nach Berlin gereist. Hier ist er am Pariser Platz zu sehen, im Hintergrund das Brandenburger Tor.
Gorbatschow ist nach der Wende immer wieder nach Berlin gereist. Hier ist er am Pariser Platz zu sehen, im Hintergrund das Brandenburger Tor. © dpa
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gilt Gorbatschow in Russland längst nicht allen als Heilsbringer. Doch international genießt er Anerkennung für sein politisches Lebenswerk. Er trifft sich fortan mit internationalen Politikern und Promis - wie hier mit Modedesigner Karl Lagerfeld.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gilt Gorbatschow in Russland längst nicht allen als Heilsbringer. Doch international genießt er Anerkennung für sein politisches Lebenswerk. Er trifft sich fortan mit internationalen Politikern und Promis - wie hier mit Modedesigner Karl Lagerfeld. © Getty Images | Franziska Krug/Getty Images
Gorbatschow mit seinem Amtsnachfolger Wladimir Putin: Der
Gorbatschow mit seinem Amtsnachfolger Wladimir Putin: Der "Glasnost"-Vordenker Gorbatschow setzt sich für demokratische Werte ein und leitet eine Stiftung. © Carsten Rehder/dpa
Gorbatschow starb am 30. August 2022 im Alter von 91 Jahren.
Gorbatschow starb am 30. August 2022 im Alter von 91 Jahren. © John Kringas/Chicago Tribune via ZUMA Press/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ | John Kringas/Chicago Tribune via ZUMA Press/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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Deutschland wäre ohne Gorbatschow noch heute eine geteilte Nation

Gorbatschow hatte den Mut und Kohl als Historiker den klugen Blick auf die Ängste der Nationen vor einem erstarkten Deutschland. Gemeinsam ist ihnen in vielen, teils sehr privaten, Runden gelungen, ein Stück Weltgeschichte neu zu schreiben. Das ist der Verdienst, der sich ewig mit dem Namen Gorbatschows verbindet. Und niemand hat mehr Grund zur Dankbarkeit als die Deutschen, die ohne Gorbatschow noch heute eine geteilte Nation wären.

Jörg Quoos, Chef der Funke Zentralredaktion.
Jörg Quoos, Chef der Funke Zentralredaktion. © Jörg Quoos,

Gorbatschow war es wie keinem zweiten sowjetischen Führer gelungen, bei ehemaligen Gegnern Vertrauen zu schaffen und das Verlangen nach Freiheit in der UdSSR und ihren Einflusszonen zuzulassen. Dieser unbändige Wille der ehemaligen Sowjetbürger nach grenzenloser Freiheit ist heute das größte Problem von Wladimir Putin, der Gorbatschows Erbe mit Gewalt aus der Welt schaffen will. Gorbatschow in Ehren halten, heißt Putin die Stirn zu bieten. Daran sollten alle denken, die den toten Gorbatschow heute mit großen Worten würdigen.

Gorbatschow: Es bleibt sein Appell zum Frieden

Der Held Gorbatschow endete eher tragisch. Je größer die Zuneigung wurde, die er im Westen erfuhr, desto kälter wurde es für ihn zu Hause. Er selbst bekannte fast melancholisch: „Es gibt keine glücklichen Reformer“. In den letzten Jahren kritisierte Gorbatschow die Politik des Westens und den amerikanischen „Siegerkomplex“, bis seine Stimme so gut wie verstummte.

Es bleibt sein Appell zum Frieden, den er hochbetagt in einem Gespräch mit Franz Alt formulierte: „Zur Zeit machen wir alle Fehler. Ich sehe immer noch die Gefahr eines Atomkriegs, solange die letzte Atombombe nicht abgeschafft ist. Ein solcher Krieg wäre der letzte der Menschheitsgeschichte. Danach gäbe es niemanden mehr, der noch Krieg führen könnte“.

Auch nach seinem Tod kann die Welt noch viel von Michail Gorbatschow lernen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.