Washington. Briefwahl, Nachzählungen, Anfechtungen – es gibt viele Gründe, warum der Sieger der Zwischenwahlen nächste Woche noch nicht feststeht.

Wenn es knapp wird bei den Kongresswahlen am kommenden Dienstag, ist im extrem polarisierten Amerika ein seltenes Gut gefragt: Geduld – und Vertrauen in die Maschinerie der dezentralisierten Wahlprozesse. Viele Experten gehen schon heute davon aus, dass am 9. November voraussichtlich kein verlässliches Ergebnis feststehen wird.

Die unterschiedliche Handhabung bei der Auszählung der Briefwahl-Umschläge, mögliche Neu-Auszählungen bei Abständen von 0,5 Prozentpunkten zwischen Republikanern und Demokraten sowie denkbare Anfechtungsklagen, sagen Fachleute wie Norm Eisen von der Denkfabrik Brookings, könnten die Bekanntgabe eines Endstands um Tage oder sogar Wochen verschleppen.

Was an sich kein größeres Problem wäre, würde nicht jede Verzögerung wahrscheinlich von republikanischer Seite im Stile Donald Trumps als Indiz für Unregelmäßigkeiten oder betrügerische Machenschaften zu Lasten der Konservativen gedeutet.

US-Midterms: Enges Rennen in drei Schlüssel-Bundesstaaten

Weil die Umfragen bisher von einem wahrscheinlichen Sieg der „Grand Old Party” (GOP) im Repräsentantenhaus ausgehen, konzentrieren sich die Bedenken auf den Senat. Dort herrscht im Moment ein 50:50-Patt. Schon der Gewinn/Verlust eines Sitzes kann die Machtverhältnisse im „Oberhaus” des Parlaments drehen.

In drei Schlüssel-Bundesstaaten zeichnen sich enge Rennen zwischen den Kandidaten der beiden Parteien ab, was sich entsprechend auf die Ermittlung der Endresultate erheblich auswirken kann.

Briefwahl-Auszählung in Pennsylvania ab dem 9. November

Beispiel Georgia: Sollten weder Raphael Warnock (Demokraten) noch Herschel Walker (Republikaner) die nötigen „50 Prozent plus eine Stimme” auf sich vereinen, kommt es nach den Gesetzen des Bundesstaates am 6. Dezember zu einer Nachwahl; bis dahin bliebe offen, wer von beiden im Januar 2023 in den Senat von Washington einzieht.

Beispiel Pennsylvania: John Fetterman (Demokrat) und Mehmet Oz (Republikaner) liefern sich gerade ein Kopf-and-Kopf-Rennen. Die Republikaner im Bundesstaats-Kongress in Harrisburg haben ein Gesetz durchgesetzt, dass die Auszählung der Briefwahl-Umschläge erst ab dem 9. November gestattet. Es geht um Millionen Papiere. Das kann Tage dauern.

Trennen nur wenige Tausend Stimmen die beiden Kontrahenten, haben die Republikaner nach Recherchen des Magazins „Rolling Stone” (als ein Testlauf für 2024…) bereits Klagen vorbereitet. All das würde sich verzögernd auf das Endergebnis auswirken.

In Arizona wird mit Nachprüfungen gerechnet

Beispiel Wisconsin: Hier liegen Ron Johnson (Republikaner) und Mandela Barnes (Demokraten) ebenfalls eng beieinander. Weil Briefwahl-Umschläge erst nach Schließung der Wahllokale gezählt werden dürfen, kann sich das Ergebnis nach hinten ziehen.

Beispiel Arizona: Blake Masters (Republikaner) ist in den vergangenen Tagen dem lange führen Demokraten und Ex-Astronauten Mark Kelly sehr nahe gekommen. Arizona ist, was sämtliche Kandidaten/-innen der „GOP” angeht, eine Hochburg der „election denier” (Wahl-Leugner, die Trumps Lüge vom Wahlbetrug folgen). Es wird fest mit Nachprüfungen und anderen Aktionen gerechnet, die das Ergebnis verzögern können.

Experten rechnen mit einem „Sperrfeuer von Klagen”

Greifen die normalen Instrumente (Neu-Auszählung) nicht, steht in fast allen Bundesstaaten der Rechtsweg offen. Nach der Erfahrung von 2020, wo sich rund 60 Gerichte mit der haltlosen Behauptung Trumps vom Wahlbetrug beschäftigten mussten, rechnen unabhängige Wahlexperten diesmal mit einem wahren „Sperrfeuer von Klagen”; auf der Basis von Mutmaßungen und unbelegten Vorwürfen.

Bis zur Klärung kann es selbst bei eilbedürftiger Behandlung durch die Justiz Tage oder Wochen dauern, bis der Disput beigelegt und das jeweilige Endergebnis im jeweiligen Bundesstaat zertifiziert werden kann.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.