Berlin. Russland verleibt sich weitere Teile der Ukraine ein. Nach vier Scheinreferenden verkündete Präsident Putin am Freitag die Annexion.

  • Putin annektiert vier besetzte Gebiete der Ukraine
  • Präsident Selenskyj nennt Putin würdelos und will schnell in die Nato
  • USA verhängen neue Sanktionen gegen Russland

Russland ist ein Stück größer geworden – zumindest aus Sicht des Kreml. Am Freitag hat Präsident Wladimir Putin die Annexion mehrerer ukrainischer Gebiete verkündet. "Die Menschen haben ihre Entscheidung getroffen, und es ist eine endgültige Entscheidung", sagte Putin am Freitag bei einer im Staatsfernsehen übertragenen Rede. Die Aufnahme von Luhansk und Donezk Saporischschja und Cherson solle noch heute vertraglich besiegelt werden.

In seiner Rede wiederholte Putin die Behauptung, der Westen wolle Russland seit dem Zerfall der Sowjetunion in die Knie zwingen. "Der Westen sucht stets nach neuen Gelegenheiten, uns zu treffen. Sie haben immer davon geträumt, unseren Staat aufzuspalten in kleine Teile, die sich gegenseitig bekämpfen", so der Präsident.

Der Westen sei "gierig" und wolle Russland kolonialisieren. "Sie wollen uns nicht als freie Gesellschaft sehen", behauptete er, "sie wollen uns als einen Haufen Sklaven sehen." Unter tosendem Beifall rief Putin dann: "Sie brauchen Russland nicht. Wir brauchen Russland."

Ukraine will Nato betreten

Die Ukraine reagierte am Freitag wie zu erwarten wütend. Präsident Wolodymyr Selenskyj schloss jegliche Verhandlung mit Moskau über die annektierten Gebiete aus. Nur die "Vertreibung der Besatzer aus allen unseren Gebieten bringt Frieden", schrieb er in seinem Telegram-Kanal. Verhandlungen mit Putin seien "offensichtlich nicht möglich". Dem russischen Präsidenten fehlten Würde und Ehrlichkeit. "Wir sind bereit zu einem Dialog mit Russland, aber erst mit einem anderen Präsidenten", so Selenskyj weiter.

Gleichzeitig veröffentlichte der ukrainische Präsident ein Video, in dem er verkündete, die Ukraine wolle einen Antrag auf beschleunigten Beitritt zur Nato stellen. "Faktisch sind wir unseren Weg in die Nato bereits gegangen", sagte Selenskyj. Die Ukraine habe bewiesen, dass sie die Standards des westlichen Verteidigungsbündnisses erfülle. "Wir vertrauen einander, wir helfen einander, und wir verteidigen einander. Das ist die Nordatlantische Allianz." Nun wolle man den Schritt auch offiziell gehen.

Präsident Selenskyj verkündet unmittelbar nach der Rede Putins, die Ukraine wolle einen Antrag auf beschleunigten Nato-Beitritt stellen.
Präsident Selenskyj verkündet unmittelbar nach der Rede Putins, die Ukraine wolle einen Antrag auf beschleunigten Nato-Beitritt stellen. © Uncredited/Ukrainian Presidential Press Office/A/dpa

Russische Annexion: Verurteilung und neue Sanktionen

Die Annexion rief International Empörung hervor. Führende Vertreter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) verurteilten Moskaus Schritt als illegal und inakzeptabel. Das OSZE-Mitglied Russland habe Grundregeln dieser Organisation und der Vereinten Nationen "unverfroren verletzt", sagten OSZE-Generalsekretärin Helga Schmid und Zbigniew Rau, der Polnische Außenminister und diesjährige OSZE-Vorsitzende.

"Dieser Schritt der Russischen Föderation, inklusive Mobilmachung und verantwortungsloser nuklearer Drohungen, wird nur zu einer noch größeren Eskalation des Konfliktes führen", hieß es in der Erklärung, der sich auch führende Parlamentsvertreter von OSZE-Staaten anschlossen.

Als Reaktion auf die russische Annexion verhängten die USA weitere Sanktionen gegen Russland. Die Strafmaßnahmen richten sich unter anderem gegen weitere russische Regierungsvertreter, deren Familienmitglieder sowie Angehörige des Militärs, wie die US-Regierung am Freitag in Washington mitteilte. Betroffen seien auch Netzwerke für die Beschaffung von Verteidigungsgütern, einschließlich internationaler Lieferanten.

US-Außenminister Antony Blinken erklärte: "Die Vereinigten Staaten weisen den betrügerischen Versuch Russlands, die international anerkannten Grenzen der Ukraine zu ändern, unmissverständlich zurück." Dies ist ein "klarer Verstoß gegen das Völkerrecht und die Charta der Vereinten Nationen".

Ukraine-Krieg: Westen erkennt den Schritt nicht an

Die mehrtägigen Scheinreferenden waren am Dienstag zu Ende gegangen, am Mittwoch baten dann die Anführer der dortigen Separatisten formell Putin um die Annexion. Bei den vom Westen als Schein-Abstimmungen kritisierten "Referenden" in den Gebieten sollen sich nach Angaben der dortigen Separatisten überwältigende Mehrheiten für die Annexion ausgesprochen haben. Teilweise berichteten sie von einer Zustimmung von über 99 Prozent.

Die Scheinreferenden werden weltweit nicht anerkannt, weil sie unter Verletzung ukrainischer und internationaler Gesetze und ohne demokratische Mindeststandards abgehalten werden. Beobachter hatten in den vergangenen Tagen auf zahlreiche Fälle hingewiesen, in denen die ukrainischen Bewohner der besetzten Gebiete zum Urnengang gezwungen wurden.

Auch bisherige Annexionen durch Russland erkennt der Westen nicht an: 2014 hatte Moskau sich bereits die Schwarzmeer-Halbinsel Krim einverleibt. Zusammen mit der Krim stehen knapp 20 Prozent des ukrainischen Territoriums unter russischer Kontrolle. Nun könnte mitten im Ukraine-Krieg eine regelrechte Annexionswelle starten.

Menschen gehen in der von Russland unterstützten und von Separatisten kontrollierten Volksrepublik Luhansk in der Ostukraine an einem Plakat mit der Aufschrift «Unsere Wahl - Russland» vorbei.
Menschen gehen in der von Russland unterstützten und von Separatisten kontrollierten Volksrepublik Luhansk in der Ostukraine an einem Plakat mit der Aufschrift «Unsere Wahl - Russland» vorbei. © Uncredited/AP/dpa

Ukraine-Krieg: Moskau bereitet Feierlichkeiten vor

In der russischen Hauptstadt Moskau wurden für Freitag Feierlichkeiten zur Aufnahme der ukrainischen Regionen in die Russische Föderation vorbereitet. Die Behörden kündigten die Sperrung von Straßen im Zentrum an, vor allem um den Roten Platz herum. Auch die Separatisten-Chefs trafen inzwischen für den Vollzug der Annexion in Moskau ein, wie russische Nachrichtenagenturen meldeten.

Zugleich betonte der Kremlsprecher, dass es sich dabei noch nicht um die Ansprache Putins vor der Föderationsversammlung – also den beiden Kammern des russischen Parlaments – handele. Diese solle erst später stattfinden. Die beiden Kammern haben bereits angekündigt, ihrerseits am Montag und am Dienstag über die Annexionen zu entscheiden. (pcl/dpa/afp)

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.