Berlin . Russland hat eine US-Drohne nahe der Krim abgefangen. Ihr Absturz zeigt, wie real das Risiko einer Konfrontation der Supermächte ist.

Die Angst vor einer Eskalation zwischen Russland und den USA ist nach dem Vorfall über dem Schwarzen Meer groß. „Natürlich müssen wir mit Sorge darauf schauen“, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Mittwoch am Rande eines Besuchs in Estland. „Aber bevor wir ein Urteil fällen über die Urheberschaft, was den Absturz der Drohne angeht, sollten wir die noch laufende Aufklärung abwarten“, mahnt das deutsche Staatsoberhaupt.

Der Absturz einer unbemannten US-Spionage-Drohne nach einer Begegnung mit russischen Kampfjägern war die erste direkte militärische Konfrontation zwischen den beiden Großmächten seit Beginn des Ukraine-Kriegs.

Abgestürzte US-Drohne: Russen weisen Vorwürfe zurück

Nach dem Vorfall, der sich am Dienstag US-Angaben zufolge rund 139 Kilometer südwestlich der von Russland besetzten Halbinsel Krim ereignete, machten sich beide Seiten Vorwürfe. Sie heizen wegen der abgestürzten Drohne den Konflikt allerdings nicht militärisch auf, sondern tragen ihn kontrolliert aus: mit den Mitteln der Diplomatie. In Moskau hat US-Botschafterin Lynne Tracy nach offiziellen Angaben eine „starke Botschaft“ übermittelt. In Washington wurde der russische Botschafter einbestellt.

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Die Kernfrage lautet: Ist da etwas aus dem Ruder gelaufen, dann wäre der Vorfall eine Ausnahme und der Schaden begrenzt, oder kündigte sich eine neue, eine robustere Gangart der Russen an?

„Wir wissen gegenwärtig noch nicht, ob es eine eher unbeabsichtigte Begegnung von Drohne und Flugzeug oder ob es ein absichtsvoll gehandelter Vorgang war“, sagte Steinmeier. „Wir haben keine Erkenntnisse darüber, dass es zu einem Waffeneinsatz in irgendeiner Form gekommen ist“, berichtete der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, der den Bundespräsidenten in Estland begleitete. „Ob es Pilotenfehler waren, ob es technische Defekte waren, können wir im aktuellen Fall nicht sagen.“

Ukraine-Krieg: Jeder Zwischenfall kann zur Eskalation führen

Der Absturz der über 30 Millionen Dollar teuren Drohne löste in Washington vor allem innenpolitischen Zwist aus. Republikaner wie der für seine Anti-Moskau-Haltung bekannte Senator Lindsey Graham, ein enger Wegbegleiter Donald Trumps, verlangen von Präsident Joe Biden eine unmissverständliche militärische Antwort. „Was würde Ronald Reagan jetzt tun?”, fragte Graham im US-Fernsehen rhetorisch, „er würde damit beginnen, russische Flugzeuge abschießen zu lassen, die unser Eigentum bedrohen”.

Laut Graham zeige der Vorfall, wie wenig Respekt Wladimir Putin vor Biden und den USA habe. Demokratische Abgeordnete wiesen den Aufruf zur Gewaltanwendung als „unverantwortlich eskalierend“ zurück. Am Tag danach beließ es die Biden-Regierung bei ihrem auf diplomatische Klärung setzenden Versuch der Schadensbegrenzung. Zwar sagte Verteidigungsminister Lloyd Austin Russland, dass der Zwischenfall „Teil eines Musters aggressiven, riskanten und unsicheren Handelns russischer Piloten in internationalem Luftraum“ sei.

Darüber hinaus beließ es die US-Regierung demonstrativ beim erhobenen Zeigefinger: Russland müsse künftig „vorsichtiger” sein, wenn es in internationalem Luftraum amerikanischem Fluggerät nahe komme, das „völlig legal Missionen fliegt, die im Interesse unserer nationalen Sicherheit sind”, sagte Regierungssprecher John Kirby. Nicht mal andeutungsweise erwähnte der lange für das Pentagon tätige gewesene Kommunikations-Profi, dass die USA nach dem Absturz einer „Reaper”-Überwachungs-Drohne, die nach US-Darstellung klar auf „rücksichtslose Manöver” russischer Kampfjäger zurückgeht, Vergeltung üben wollen für den Verlust des Fluggeräts.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Dass Moskau, vertreten durch den russischen Botschafter in Washington, Anatoli Antonow, den Zwischenfall vom Dienstag ganz anders darstellt (danach habe es keine Berührung des SU-27-Jägers mit dem Heck-Propeller der US-Drohne gegeben) will die US-Regierung möglicherweise mit Video-Bild-Material entkräften.

Demnach haben die am Boden befindlichen Piloten der Drohne, die in diesem Fall von Spezialisten auf der US-Luftwaffen-Basis Ramstein in Rheinland-Pfalz gesteuert wurde, dokumentiert, dass die SU-Kampfjäger vor der Mini-Kollision mehrfach Treibstoff über der Drohne abgelassen haben, um deren hochauflösende Kameras zu beschädigen.

Obwohl die MQ-9-Drohne des kalifornischen Herstellers General Atomics je nach Ausführung bis zu 60 Millionen Dollar kosten kann, hält sich der geheimdienstlich-militärische Wert offenbar in Grenzen. Kirby sagte am Mittwoch, man wisse nicht, ob es einen Bergungsversuch geben werde, weil das Schwarze Meer „sehr, sehr tief” sei. Andere Militärs erklärten, man habe bei dem gelenkten Absturz dafür Sorge getragen, dass Trümmerteile nicht in russische Hände gelangen könnten.

Russland kündigte dennoch an, das Wrack der US-Aufklärungsdrohne bergen zu wollen. „Ich weiß nicht, ob wir es schaffen werden oder nicht, aber wir müssen es versuchen“, sagte der Chef des Nationalen Sicherheitsrates, Nikolai Patruschew.

In Moskau hieß es zudem unverklausuliert, dass die USA ihre Überwachungs-Flüge an der Peripherie des ukrainisch-russischen Kriegsgebiet einzustellen habe. Was Washington kategorisch ausschließt. In Militärkreisen wird dort derzeit diskutiert, ob Drohnen-Überwachungsflüge in der Kriegs-Region künftig Flankenschutz von US-Kampfjägern bekommen sollen. Aus Experten-Sicht könnte dadurch das Risiko einer echten russisch-amerikanischen Konfrontation steigen.