Berlin . Seit Beginn des Kriegs ist unabhängige Berichterstattung in Russland noch schwieriger als zuvor. Ein neues Gesetz macht sie unmöglich.

Als die vorerst letzte Übertragung von Doschd TV endet, läuft Schwanensee. Über die Bildschirme flimmert eine schwarz-weiß Aufnahme von Tschaikowskis Ballett, der Tanz der vier kleinen Schwäne. Es war keine zufällige Wahl: Russinnen und Russen sahen dieselbe Aufnahme am 19. August 1991 im Fernsehen, als mit einem Putsch kommunistischer Generäle das Sowjetreich endgültig zusammenbrach. Zu senden, was tatsächlich passiert, war damals gefährlich – und ist es auch jetzt wieder.

Der Internetsender Doschd galt als letzter unabhängiger TV-Sender Russlands. In der vergangenen Woche wurde er verboten, der traditionsreiche kremlkritische Radiosender Echo Moskwy wurde gesperrt. Es sind nur zwei Beispiele dafür, mit welcher Härte der Kreml die freie Berichterstattung in Russland über den Krieg in der Ukraine unterdrückt.

Neues Gesetz in Russland: Bis zu 15 Jahre Haft für Berichterstattung

Schon seit Jahren war unabhängige Berichterstattung in Russland nur in Nischen möglich. Reporter ohne Grenzen führt das Land auf Platz 150 von 180 auf seiner Rangliste der Pressefreiheit. Doch seit Beginn des russischen Angriffskriegs sind auch diese Spielräume bis zum Verschwinden zusammengeschrumpft.

Am Freitagabend unterzeichnete Russlands Präsident Wladimir Putin mehrere Gesetze, die die freie Arbeit für Medien praktisch unmöglich machen: Bis zu 15 Jahre Haft drohen demnach für die Verbreitung von angeblichen „Falschinformationen“ über die russischen Streitkräfte.

Strafen drohen auch jenen, die öffentlich die Armee „verunglimpfen“. Das russische Parlament hatte zuvor einer entsprechenden Gesetzesänderung zugestimmt. Auch von „Krieg“ oder „Invasion“ dürfen Berichterstatter in Russland nicht mehr sprechen, das war bereits Anfang der Woche verboten worden.

Einschränkung: ARD und ZDF berichten vorerst nicht mehr aus Russland

Die neuen Gesetze treffen auch ausländische Medien und ihre Mitarbeiter. Mehrere internationale Sender stellten ihre Arbeit in Russland deshalb vorerst ganz oder teilweise ein, darunter die britische BBC, CNN aus Amerika – und auch ARD und ZDF.

„ARD und ZDF prüfen die Folgen des am Freitag verabschiedeten Gesetzes und setzen die Berichterstattung aus ihren Moskauer Studios erst einmal aus“, hieß es am Samstagabend in einer Stellungnahme des WDR, der für das ARD-Studio Moskau federführend ist. Die beiden öffentlich-rechtlichen Sender würden von ihren anderen Standorten aus weiterhin das Publikum umfassend über das Geschehen in Russland und der Ukraine informieren.

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BBC stoppt Berichterstattung aus Russland

Die BBC gab ihre Entscheidung am Freitag via Twitter bekannt. „Diese Gesetzgebung scheint den Prozess des unabhängigen Journalismus zu kriminalisieren“, wird BBC-Generaldirektor Tim Davie in dem Tweet zitiert. „Das lässt uns keine andere Option, als die Arbeit aller Journalisten von BBC News und ihrer Mitarbeiter in der Russischen Föderation zu stoppen, während wir die vollen Auswirkungen dieser unerwünschten Entwicklung untersuchen.“

Das BBC-Nachrichtenprogramm in russischer Sprache werde jedoch von außerhalb Russlands weiter betrieben. Ebenso werde die Berichterstattung aus der Ukraine fortgesetzt.

Korrespondentinnen und Korrespondenten verlassen das Land. Alexey Kovalyov, Redakteur des Online-Portals Meduza, das seinen Sitz in Lettland hat, schrieb auf Twitter: „Ich hätte nie gedacht, dass es dazu einmal kommen würde, aber ich musste Russland verlassen, zu Fuß über die Grenze mitten in der Nacht.“ Es fühle sich an, als würde hinter ihm eine große Tür zuschlagen.

Kreml blockiert Facebook und Twitter für Russen

Mit aller Macht versucht die Regierung Putin zu verhindern, dass ihre Bürgerinnen und Bürger Informationen über die Geschehnisse in der Ukraine erreichen, die nicht durch sie gelenkt sind. Die Zensur trifft nicht nur klassische Medien. Auch soziale Medien, eine wichtige Informationsquelle über den Krieg für viele Menschen in Russland, sind jetzt eingeschränkt. Am Freitag sperrten die Behörden Facebook und Twitter.

Die russische Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor begründete die Sperrung von Facebook damit, dass das Netzwerk russische Medien „diskriminiert“ habe. Die Agentur Interfax meldete, unter Berufung auf Roskomnadsor, dass auch Twitter nicht mehr aufrufbar sei in Russland.

Nutzer des Netzwerks in Moskau bestätigten, dass Twitter auf Mobiltelefonen nicht mehr funktionierte. Zuvor hatte die russische Behörde Twitter schon deutlich verlangsamt, weshalb es etwa schwierig gewesen war, Videos dort anzuschauen. Über die beiden sozialen Netzwerke hatten sich bisher viele Russen abseits der staatlichen Medien über den Einmarsch im Nachbarland informiert.

Facebook setzte noch einen drauf

Facebook reagierte mit einer Sperre seines Anzeigensystems in Russland: Das System wurde in dem Land laut Mutterkonzern Meta komplett pausiert. Damit können Werbekunden aus Russland nicht nur keine Anzeigen mehr im eigenen Land platzieren, sondern auch international. Metas Vizepräsident Nick Clegg erklärte zu der Blockade der Plattform: „Bald werden Millionen von einfachen Russen von verlässlichen Informationen abgeschnitten sein und zum Schweigen gebracht werden.“ Er kündigte an, alles zu unternehmen, um die Sperrung wieder aufheben zu lassen. Zu Meta gehören neben Facebook auch Whatsapp und Instagram.

Über geschützte Netzwerke (Virtual Private Networks, kurz VPN) sind die jetzt gesperrten Dienste weiterhin zu erreichen. Legal ist das in vielen Fällen nicht. Bislang nicht eingeschränkt ist der Zugang zum Messengerdienst Telegram.

Ukraine-Krieg: Journalisten verlassen Russland

Tichon Dsjadko, Chefredakteur von Doschd TV, hat Russland Mitte der Woche verlassen. Auch andere führende Redaktionsmitglieder hätten diese Entscheidung getroffen, teilte Dsjadko auf Telegram mit.

Im Interview mit den ARD-Tagesthemen sagte er, er und seine Kolleginnen und Kollegen hätten sich entscheiden müssen: „Hören wir mit der Arbeit auf? Oder hören wir auf, die Wahrheit über den Krieg zu verbreiten? Wir haben uns für die erste Option entschieden.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf www.waz.de