Saalfeld/Erfurt. Doreen Denstädt soll die erste schwarze Landesministerin im Osten werden. Wie geht sie mit ihren eigenen Rassismus-Erfahrungen um?

Die Frage an Doreen Denstädt lautete: Wieso hatten die thüringischen Grünen sie in die Bundesversammlung delegiert, um den Bundespräsidenten zu wählen? Ihre Antwort: „Wahrscheinlich bin ich mit meiner großen Klappe wieder ordentlich aufgefallen.“

Damals, es war Anfang Februar 2022, gehörte sie gerade mal ein paar Monate als Mitglied der Partei an. Noch herrschte halbwegs Frieden in Europa. Ein knappes Jahr später steht Doreen Denstädt in Erfurt in der kleinen Landesgeschäftsstelle der Grünen vor Journalisten. In der Ukraine tobt Krieg, und auch Thüringen hat so viele Flüchtlinge aufgenommen wie noch nie. Fast 40.000 sind es bislang, und jeden Tag werden es mehr.

Genau darum soll sich Denstädt ab Februar federführend kümmern – und zwar als Landesministerin für Migration und Justiz. Sie habe „allerallergrößten Respekt“ vor der Aufgabe, sagt sie in die Kameras. „Ich denke, dass gerade im Bereich Migration die drängendsten Themen auf dem Tisch liegen.“

Doreen Denstädt: Rassismus und Beleidigungen gegen designierte Ministerin

So ist das wohl. Doch gerade deshalb stellt sich die Frage: Warum ausgerechnet sie? Warum eine 45-jährige Frau und zweifache Mutter, die derzeit noch als Sachbearbeiterin im Landesinnenministerium beschäftigt ist. Liegt es daran, wie es im Internet und bei der AfD heißt, dass sie schwarz ist?

Die designierte Ministerin kennt die Vorurteile und geht offensiv damit um. „Ich hoffe ja sehr, dass ich nicht aufgrund meiner Hautfarbe einen Vorteil genieße“, sagt sie. Sie werde sich im Job beweisen.

Dennoch wogt die Debatte. Die einen loben Denstädts Benennung als Signal der Diversität. Andere bezweifeln ihre Qualifikation, schließlich ist sie weder Juristin noch Migrationsexpertin. Und in den sozialen Netzwerken wird aus den Fragen nach der Eignung oft genug Rassismus; inzwischen ermittelt die Polizei wegen Beleidigung.

Jene, die im Lärm dazwischenstehen, werben um Geduld. Immerhin handelt es sich bei Denstädt um eine erfahrene Polizeihauptkommissarin und studierte Verwaltungswirtin, die ein Ministerium von innen her kennt.

Doreen Denstädt soll Justiz- und Migrationsministerin in Thüringen werden.
Doreen Denstädt soll Justiz- und Migrationsministerin in Thüringen werden. © FUNKE Foto Services | Sascha Fromm

Aus Distanz wurde Nähe: Denstädt arbeitete als Polizistin

Doch wer ist Doreen Denstädt? 1977 in Saalfeld geboren, wächst sie in der linken Szene auf. Allein schon phänotypisch, sagt sie scherzhaft, habe sie da eher wenig Auswahl gehabt. Ihre Haltung zur Polizei ist kritisch. Sie hält Distanz, wobei daraus langsam Nähe wird: Sie trifft Beamte, die sie nicht sofort einordnen, die ihr locker und respektvoll begegnen. Sie habe gemerkt, „dass es eben auch anders geht“, sagt sie. Und so wird sie – nachdem sie in Sachsen für eine Weile Bauingenieurwesen studierte, eben selbst Polizistin.

Ihren Dienst absolviert sie vorerst in der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt. Sie geht dorthin, wohin nur wenige Polizisten freiwillig Dienst schieben: in den Norden der Stadt, in ein Zentrum der Kriminalität und rassistischer Gewalt.

Rassismus erlebte Denstädt im Privat- und Berufsleben

Auch Rassismus gegen sich selbst erlebt sie, im Berufs- wie im Privatleben. Ihre Strategie dagegen ist zweigeteilt. Zum einen lässt sie vieles zunehmend an sich abperlen, zumindest sagt sie das selbst. Zum anderen lässt sie sich in die Polizeivertrauensstelle des Innenministeriums versetzen, um Beschwerden aus der Bevölkerung über ihre Kolleginnen und Kollegen zu bearbeiten.

Dass Denstedt jetzt recht spontan in die Regierung befördert wird, hat aber auch etwas mit den besonderen Thüringer Verhältnissen zu tun. Der rot-rot-grünen Koalition fehlt im Landtag die Mehrheit. Nach dem Chaos um dem Kurzzeit-FDP-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich, der im Februar 2020 mit Stimmen der AfD gewählt wurde, verwaltet eine chronisch missgelaunte Minderheitsregierung unter dem Linken Bodo Ramelow das Land.

Das neue Amt ist eine große Herausforderung

Auch dies war wohl ein Grund dafür, dass die grüne Umweltministerin Anja Siegesmund, als sie eine Anstellung als geschäftsführende Präsidentin des Bundesverbandes für Abfallwirtschaft in Aussicht hatte, kurz vor Weihnachten ihren Rücktritt ankündigte. Ihre Landespartei nutzte daraufhin die Gelegenheit, den eigenen und eher ungeliebten Migrations- und Justizministers Dirk Adams loszuwerden – und dies, obwohl die grüne Personaldecke sehr dünn ist.

Nach einigem internen Hin und Her fiel am Ende die Nachfolgewahl für Adams auf die Quereinsteigerin Denstädt, die der Partei erst seit 2021 angehört. Dabei ist ihr neues Ressort eine große Herausforderung, fachlich wie politisch: Ständig gibt es Streit es zwischen Landesregierung und Kommunen, um Unterkünfte, um Geld, um alles.

Der Druck auf Denstädt ist enorm

Wie will sie damit umgehen? Die designierte Ministerin betont ihre zwischenmenschlichen Fähigkeiten. Sie habe, sagt sie, „kommunikativ genug drauf“ – und als Beamtin ausreichend Erfahrungen in Polizei und Ministerialapparat gesammelt.

Doch es wird ein Experiment, für Thüringen, für die Grünen – und für die Frau, die lange eine Erfurter Mannschaft professionell Rugby spielte und Hundeliebhaberin ist. In dieser Woche ist sie dabei, sich im Ministerium einen Überblick verschaffen und mit den Verantwortlichen in den Fachabteilungen zu reden. Interviews will sie vorerst keine mehr geben.

Der Druck ist enorm. Wenn sie Anfang Februar als Ministerin vereidigt wird, sind es nur noch eineinhalb Jahre bis zur regulären Landtagswahl in Thüringen. Vor allem Denstädts Leistung dürfte darüber entscheiden, ob die Grünen im Parlament bleiben. Zuletzt, vor drei Jahren, schaffte es die Partei gerade so über die Fünf-Prozent-Hürde.