Ankara. Der Streit um die Nato-Norderweiterung verschärft sich. Erdogan bleibt beim Beitritt Schwedens stur. Finnland erwägt einen Alleingang.

Als am vergangenen Samstag der rechtsextreme Aktivist Rasmus Paludan vor der türkischen Botschaft in Stockholm einen Koran verbrannte, loderten in Ankara die Flammen der Empörung. Ein Sprecher des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan geißelte die Koran-Verbrennung als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.

Das türkische Außenministerium verurteilte „den abscheulichen Angriff auf unser heiliges Buch“ aufs Schärfste. Der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar lud seinen schwedischen Kollegen Pal Jonson, der an diesem Freitag nach Ankara reisen wollte, wieder aus.

Erst wenige Tage zuvor hatte das türkische Außenministerium den schwedischen Botschafter einbestellt, nachdem Demonstranten in der Nähe des Stockholmer Rathauses einen Puppe mit den Gesichtszügen Erdogans kopfüber aufgehängt hatten. Dass die schwedische Staatsanwaltschaft entschied, wegen des Vorfalls keine Ermittlungen einzuleiten, brachte die türkische Regierung zusätzlich in Rage.

Nato-Norderweiterung: Erdogan bleibt stur

Erst die Puppe am Galgen, dann die Koran-Verbrennung: Für Staatschef Erdogan sind das gleich zwei Steilvorlagen. Im Tauziehen um die Nato-Norderweiterung schaltet er jetzt auf stur. Schweden könne „nach einer solchen Widerwärtigkeit kein Wohlwollen mehr von uns erwarten“, sagte Erdogan am Montag. Die schwedische Regierung lasse „Terrororganisationen ihr Unwesen treiben und erwartet dann unsere Unterstützung“ bei der Nato-Aufnahme. „Das wird nicht passieren“, sagte Erdogan.

Schweden und Finnland hatten nach dem russischen Überfall auf die Ukraine ihre jahrzehntelange Neutralität aufgegeben und am 18. Mai vergangenen Jahres die Aufnahme in die Nato beantragt. Am 5. Juli unterzeichneten in Brüssel die Botschafter aller Nato-Staaten die Beitrittsprotokolle.

Damit die Aufnahme vollzogen werden kann, müssen die Parlamente aller 30 Mitgliedsländer zustimmen. Zwei Ratifizierungen stehen noch aus. Ungarn hat die Abstimmung für Februar angekündigt. Aber die Zustimmung der Türkei rückt nun wieder in die Ferne.

Erdogan knüpft die Ratifizierung an immer neue Bedingungen, vor allem im Fall Schwedens, das traditionell ein Zufluchtsort für politisch verfolgte Türkinnen und Türken ist. Ankara fordert von Stockholm ein schärferes Vorgehen gegen Terrororganisationen wie die kurdische PKK, aber auch gegen türkische Regierungskritiker, die in Schweden Aufnahme gefunden haben.

Anfangs forderte die Türkei von Schweden die Auslieferung von 33 Gesuchten. Im Dezember wurde die Zahl 42 genannt. Jetzt legte Erdogan nochmals nach: Mitte Januar sprach er von „fast 130 Terroristen“, die ausgeliefert werden müssten.

Nato-Generalsekretär appelliert an die Türkei

Die jüngste Verschärfung des Streits spielt Erdogan innenpolitisch in die Karten. Vier Monate vor der Parlaments- und Präsidentenwahl kann er sich seinen Landsleuten als starker Führer präsentieren, der die Nato vor sich hertreibt und die Werte des Islam verteidigt. Das dürfte ihm Beifall seiner religiös-nationalistischen Kernwählerschaft einbringen.

In der Allianz wächst die Ungeduld. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg appellierte jetzt an die Türkei, den Weg für die Nordweiterung frei zu machen. Er selbst finde zwar die Koran-Verbrennung „unangemessen“, ein solcher Protest sei aber in einer Demokratie nicht zwangsläufig illegal, sagte Stoltenberg im TV-Sender „Welt“.

podcast-image

Unterdessen erwägt Finnland, allein der Nato beizutreten, ohne auf Schweden zu warten. Man denke über eine solche Option nach, sagte der finnische Außenminister Pekka Haavisto am Dienstag. Bisher wollten beide Länder nur gemeinsam beitreten. Nun scheint es Erdogan zu gelingen, einen Keil zwischen die beiden Bewerber zu treiben.

Lachender Dritter wäre der russische Präsident Wladimir Putin, zu dem Erdogan enge Kontakte unterhält. Als einziges Nato-Land beteiligt sich die Türkei nicht an den Sanktionen des Westens gegenüber Russland.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt