Luhansk. Vier besetzten Regionen der Ukraine sollen über einen Beitritt zu Russland abstimmen. Die Ankündigung stößt auf teils scharfe Kritik.

  • In vier besetzten Gebieten der Ukraine soll per Referendum über einen Beitritt zu Russland abgestimmt werden
  • Die Ankündigung stößt auf scharfe Kritik, die Ukraine droht mit Gewalt
  • Westliche Regierungschefs sprechen von Zynismus und Eskalation

Die ostukrainische Region und selbsternannte Volksrepublik Donezk hat ein umstrittenes Referendum für den Beitritt zu Russland angesetzt. Damit ist es nach Luhansk bereits die zweite Region.

Die Abstimmung werde vom 23. bis 27. September abgehalten, teilte die Volksversammlung am Dienstag mit. Die zeitgleichen Referenden gelten als Reaktion auf die aktuelle ukrainische Gegenoffensive im Osten des Landes.

Die Kampagne für einen schnellen Beitritt zu Russland begann angesichts des Vormarsches ukrainischer Truppen bereits am Montag. In Luhansk appellierte ein "Bürgerkammer" getauftes Gremium an die örtliche Führung, bald eine Volksabstimmung über den Anschluss abzuhalten

Referendum auch in Region Cherson geplant

Auch in südukrainischen Region Cherson soll pro-russischen Behörden zufolge ein Referendum über den Beitritt zu Russland abgehalten werden. "Ich informiere Sie darüber, dass das Referendum entsprechend dem Dekret vom 23. bis 27. September 2022 stattfinden wird", erklärte der Chef der von Moskau eingesetzten Verwaltung, Wladimir Saldo, am Dienstag im Online-Dienst Telegram.

Die Integration der Gebiete ins russische Staatsgebiet wäre eine erhebliche Eskalation der Militäraktion in der Ukraine. Er sei "sicher, dass der Beitritt der Region Cherson zur russischen Föderation unser Gebiet sichern und historische Gerechtigkeit wiederherstellen wird", erklärte Verwaltungschef Saldo weiter.

Er ergänzte, dabei handle es sich um eine "nötige Entscheidung angesichts anhaltender Terrorakte durch die ukrainischen Streitkräfte und Nato-Mitgliedsstaaten, die Waffen liefern, um Zivilisten auf unserem Boden zu töten".

Auch in der Region rund um das besetzte Atomkraftwerk Saporischschja soll abgestimmt werden, hieß es am Dienstag. Das Referendum werde wie in den anderen Gebieten ebenfalls vom 23. bis 27. September stattfinden, aber nur in den von Moskau kontrollierten Teilen von Saporischschja, teilte der Chef der Militärverwaltung, Wladimir Rogow, mit. Es sei alles bereit, "in den nächsten Tagen" könne abgestimmt werden, sagte Rogow.

Ukraine will mit Gewalt reagieren

Nach der Ankündigung der Referenden hat die Ukraine ihrerseit eine gewaltsame Reaktion angekündigt. "Die Ukraine wird die russische Frage klären. Die Bedrohung kann nur mit Gewalt abgewendet werden", erklärte der Leiter des ukrainischen Präsidialamts, Andrij Jermak, am Dienstag auf dem Messengerdienst Telegram.

Die Ankündigung der Referenden sei eine "Erpressung" durch Moskau, das angesichts der ukrainischen Geländegewinne von der "Angst vor einer Niederlage" getrieben sei.

Der ukrainische Verwaltungschef für Luhansk, Serhij Hajdaj, vermutete gegenüber dem Sender Radio Swoboda, dass ein Anschluss der Gebiete Russland den Anlass für eine allgemeine Mobilmachung liefern soll, denn: Die Rückeroberung der ukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk wäre nach Moskauer Lesart dann wiederum ein Angriff auf russisches Staatsgebiet.

Referenden stoßen im Westen auf scharfe Kritik

Unterdessen haben die ankündigten Referenden international viel Kritik hervorgerufen. Es sei "ganz klar, dass diese Scheinreferenden nicht akzeptiert werden können", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Dienstag am Rande der UN-Generaldebatte in New York. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach von einer "weiteren Eskalation" des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Das Weiße Haus betonte, die USA würden eine Annexion der ukrainischen Gebiete durch Moskau "niemals" anerkennen.

Der Nationale Sicherheitsberater des Weißen Hauses, Jake Sullivan, verurteilte die geplanten Abstimmungen als "Affront gegen die Prinzipien von Souveränität und territorialer Integrität". Die USA würden "Russlands Ansprüche auf irgendwelche angeblich annektierten Teile der Ukraine niemals anerkennen", betonte er.

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat die Ankündigung als "Parodie" kritisiert. Es handele sich um "eine weitere Provokation" Moskaus, "die auf unsere Position keine Auswirkungen hat", sagte Maron am Dienstag am Rande der UN-Vollversammlung in New York. Er werde "in den kommenden Tagen" mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin darüber sprechen.

Die "Idee, Referenden in Regionen zu organisieren, die Krieg erlebt haben, die Bombenangriffe erlitten haben, ist zynisch", sagte Macron, bevor er seine Rede vor der UN-Vollversammlung halten sollte.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von einem klaren Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen. "Wir werden niemals den Versuch Russlands anerkennen, seine illegale und brutale Besetzung ukrainischer Gebiete zu legitimieren", teilte von der Leyen am Dienstag am Rande der UN-Generalversammlung in New York auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit.

"Die Absicht, die Grenzen der Ukraine zu verschieben, ist völlig inakzeptabel und ein klarer Verstoß gegen die UN-Charta und die Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine", betonte von der Leyen weiter.

Estlands Regierungschefin verurteilt "Fake-Referenden"

Die Regierungschefin Estlands, Kaja Kallas verurteilt das Vorhaben Russlands scharf. Estland werde die "Fake-Referenden in den besetzten Gebieten der Ukraine" niemals anerkennen, schrieb die Chefin des baltischen Landes auf Twitter.

Die angekündigten Abstimmungen der russischen Militärverwaltung seien "das Spielbuch der Besatzer in Aktion", so die Ministerpräsidentin des EU- und Nato-Landes. Die Ukraine habe jedes Recht, das von Russland angegriffene Territorium zurückzunehmen "Donbass, Krim, Cherson = alles Ukraine", schrieb die Regierungschefin.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von X, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Der estländische Außenminister Urmas Reinsalu nannte die geplante Abstimmung "Fake". Die EU müsse die "Volksrepubliken" Luhansk und Donezk im Osten der Ukraine als terroristische Organisationen einstufen, so der Minister auf Twitter. Wie auch Kallas fordert er zudem mehr Sanktionen gegen Russland. (pcl/dpa/AFP)

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.