Moskau/Kiew. Konfus und gespalten – der Westen gibt in der Ukraine-Krise kein gutes Bild ab. Das nützt dem russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Und wieder beginnt in der Ukraine-Krise eine Woche hochtouriger Diplomatie. Vieles auf westlicher Seite wirkt dabei kopflos. Der französische Außenminister zum Beispiel wollte an diesem Montag mit seiner deutschen Kollegin nach Kiew fliegen und auch die Front im Donbass besuchen. Nun reist Annalena Baerbock allein, weil Jean-Yves Le Drian mit Präsident Emmanuel Macron nach Moskau aufbricht.

Am konfusesten wirkt Joe Biden. Der US-Präsident droht erst mit den härtesten Sanktionen der Weltgeschichte, nimmt dann alles halb zurück und muss sich schließlich von Wolodymyr Selenskyj zurechtweisen lassen. Der ukrainische Präsident ist genervt, weil die Amerikaner „einen Krieg herbeireden“. Fazit: Gut zwei Monate nach Beginn des russischen Truppenaufmarsches läuft fast alles für Kremlchef Wladimir Putin.

Russlands Druck hat die Ukraine geeint

Ulrich Krökel fordert eine Antwort des Westens auf die Frage: Wie soll die Zukunft der Ukraine aussehen?
Ulrich Krökel fordert eine Antwort des Westens auf die Frage: Wie soll die Zukunft der Ukraine aussehen? © Privat

Das jedoch ist, so paradox es klingt, erst einmal eine gute Nachricht. Denn solange der russische Präsident den Eindruck hat, seine Ziele auch ohne Krieg erreichen zu können, wird er den Marschbefehl kaum erteilen.

Vieles spricht ohnehin dafür, dass Wladimir Putin die Ukraine nicht von außen angreifen, sondern die innere Destabilisierung vorantreiben will. Bis der Westen irgendwann genug von der Dauerkrise hat – und das Land wie überreifes Obst zurück in den Schoss Russlands fällt.

Allerdings könnte Putin, der die Ukraine für ein historisches Kunstprodukt ohne eigene Nationalkultur hält, die Rechnung ohne die Menschen im Nachbarland gemacht haben.

Unabhängigkeit heißt nicht zwingend Mitgliedschaft in EU und Nato

Der Druck aus Moskau nämlich hat innerhalb weniger Jahre dazu geführt, dass die in Ost und West gespaltene Gesellschaft zusammengerückt ist. Für viele Ukrainer kommt inzwischen zuerst die Unabhängigkeit – und dann lange nichts.

Übrigens ist auch das eine gute Nachricht. Denn Unabhängigkeit verlangt ja keineswegs zwingend nach einer Mitgliedschaft in Nato und EU. Es gibt also Verhandlungsspielraum. Man müsste nur weniger kopflos an die Sache herangehen.

Es ist extrem bitter, mitansehen zu müssen, wie Putin mit Chinas Machthaber Xi Jinping Einigkeit demonstriert, während sich die Führungsfiguren der demokratischen Welt in Vielstimmigkeit üben.

Die Ukraine als Bindeglied zwischen West und Ost

weitere Videos

    Was spräche eigentlich gegen einen Ukraine-Gipfel nur mit den wichtigsten Akteuren der westlichen Gemeinschaft? Ausdrücklich sollte dabei die EU eine Führungsrolle übernehmen, die von Putin wahlweise ignoriert oder offen vorgeführt wird. Zentrales Thema: Wo wollen wir im Westen hin, gemeinsam mit der Ukraine? Eine Antwort auf diese Frage bleiben Europa und die USA schon seit vielen Jahren schuldig.

    Auch Deutschland verfolgt keine stringente Ukraine-Politik

    Wer es bewusst verfolgt hat, wird sich erinnern, dass schon während der Revolution in Orange die gleichen Themen auf dem Tisch lagen wie heute. Das war 2004. Seither haben der Westen und insbesondere Deutschland den wechselnden Regierungen in Kiew zwar immer wieder finanziell unter die Arme gegriffen. Aber faktisch war das ein besserer Ablasshandel: Wir zahlen, und ihr lasst uns dafür mit euren EU-Ambitionen in Ruhe. Und natürlich mit eurem ewigen Verlangen nach Anerkennung als Nation mit eigener Kultur und Geschichte.

    Es lässt ja tief blicken, dass Außenministerin Baerbock auf ihrer aktuellen Reise die Holodomor-Gedenkstätte besuchen will. Dort erinnern die Ukrainer an den stalinistischen Massenmord an ihren Vorfahren in den frühen 30er-Jahren. Selbstverständlich ist es absolut richtig und aller Ehren wert, dass Baerbock dorthin fährt. Der Besuch ist aber zugleich ein Eingeständnis langjähriger deutscher Ignoranz.