Herzogenaurach. Er war nur Ersatzspieler beim FC Chelsea und ein Unsicherheitsfaktor im Nationalteam. Nun aber ist Antonio Rüdiger das Gesicht des Aufschwungs.

Man kann verstehen, wie Timo Werner auf dieses Wort kommt, wenn man Antonio Rüdiger im EM-Quartier der deutschen Nationalmannschaft in Herzogenaurach erlebt. 1,90 Meter groß ist dieser Rüdiger, er hat ein breites Kreuz – und wegen eines Jochbeinbruchs im April muss er derzeit eine schwarze Carbon-Maske tragen, die ein wenig an den Filmhelden Zorro erinnert. Man kann also verstehen, wie Timo Werner auf dieses Wort kommt: Krieger.

Werner, der auch beim FC Chelsea mit Rüdiger in einer Mannschaft spielt, wählt das Wort aber gar nicht aus optischen Gründen: „Er geht in jeden Zweikampf, will jeden Ball gewinnen und gibt uns Offensivspielern das Gefühl: Wir haben da hinten einen Krieger, der schmeißt sich in alles rein, egal was kommt.“ Und, ja: Dieser Rüdiger sehe manchmal zwar grimmig aus. Werner betont jedoch: „Er ist ein herzensguter und sehr witziger Mensch.“

Zu Beginn der Saison kaum gespielt

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Krieger – mit diesem Wort kann Rüdiger selbst wenig anfangen. „So wie jetzt habe ich schon immer gespielt“, sagt er. „Jetzt lief es sehr gut, wir haben die Champions League gewonnen – und auf einmal sagen alle, ich sei ein Krieger.“ Allerdings ist auch das nur die halbe Wahrheit, denn zu Beginn der Saison hat der Innenverteidiger meist gar nicht gespielt. Nur viermal kam er an den ersten 19 Spieltagen zum Einsatz.

Erst als Thomas Tuchel Frank Lampard als Trainer ablöste, besserte sich Rüdigers Situation entscheidend. „Anfangs war es schwer“, sagt der nun. „Aber ich habe die Herausforderung angenommen und bin daraus als Sieger hervorgegangen.“ Da ist fast schon britisches Understatement dabei. „Weltklasse“ nennt Nationalmannschaftskollege Mats Hummels das, was sein Abwehr-Nebenmann im vergangenen Halbjahr leistete. Ist der Abwehrhüne in der Form seines Lebens? „Ja, würde ich so sagen“, antwortete er. „Thomas Tuchel spielt da eine große Rolle.“

Tuchel hat bei Rüdiger ganze Arbeit geleistet

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Und damit hat Tuchel auch seinem Trainerkollegen Joachim Löw einen großen Dienst erwiesen. Als Bundestrainer ist man ja immer davon abhängig, in welchem Zustand die Klubtrainer die Spieler bei ihnen abliefern. Und Tuchel hat ganze Arbeit geleistet, hat Timo Werner und Kai Havertz in die Spur gebracht. Am wichtigsten für die deutsche Mannschaft aber ist das, was er mit Antonio Rüdiger angestellt hat.

Der war vor wenigen Wochen noch das Gesicht der deutschen Wackelabwehr, die sich drei Gegentore von der Schweiz und der Türkei einschenken ließ und zwei vom Fußballzwerg Nordmazedonien. Nur beim 0:6 gegen Spanien hatte Rüdiger ein Alibi, da fehlte er gelbgesperrt.

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In Herzogenaurach aber ist alles anders. Rüdiger ist plötzlich ein Gesicht des Aufschwungs. Ein Grund dafür, dass im deutschen Lager trotz vieler zweifelhafter Auftritte zuletzt Aufbruchstimmung und zarter Optimismus herrschen. Von Wackelabwehr ist keine Rede mehr. Weil Hummels zurückgekehrt ist. Und weil Rüdiger auf einmal Stabilitätsgarant ist.

In Dreierkette neben Hummel und Ginter

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Wie im Klub wird er wohl auch bei der EM als linkes Glied einer Dreierkette agieren, neben Hummels und Matthias Ginter. Das verspricht deutlich mehr Kompaktheit in der Defensive – die gleich zum Start auf die größtmögliche Probe gestellt wird: Am Dienstag (21 Uhr/ARD) geht es gegen die Weltklasse-Offensive von Weltmeister Frankreich mit Kylian Mbappé, Karim Benzema und einigen mehr. Da müsse man bereit sein für Zweikämpfe und Eins-gegen-eins-Duelle, sagt Rüdiger. „Da müssen wir einfach eklig sein, nicht alles lieb und spielerisch schön lösen“, fordert er. „Du musst gegen diese Spieler auch mal früh ein Zeichen setzen.“

Klingt doch irgendwie nach einem Krieger.