Frankfurt. Die DFB-Akadamie will in einigen Wochen ihre EM-Analyse vorlegen. Eine Erkenntnis: Die letzte Reihe ist Deutschlands erstes Problem.

Nur noch ein Spiel – und dann ist auch diese 16. Fußball-Europameisterschaft schon wieder Geschichte. Auf ihrer Website hat die Uefa vor dem Finale zwischen England und Italien noch einmal zusammengefasst, was an den 15 bisherigen Endspielen so besonders war. Deutschland vereint zahlreiche Rekorde; etwa mit Berti Vogts, der als Spieler (1972) und Trainer (1996) die Trophäe stemmte. Und sechs Mal im Endspiel stand keine andere Nation.

2,8 Tore pro Spiel: Rekord für eine EM

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) macht sich intensive Gedanken, was von diesem Turnier bleibt. Vorweg: Die fußballerische Revolution konnte dieses paneuropäische Versuchsobjekt nicht auslösen. Dafür fehlt den Teams die Vorbereitungszeit, den Spielern nach der strapaziösen Saison die Kraft.

Die dem DFB unterstellte Akademie mit Leiter Tobias Haupt arbeitet an einer umfassenden Analyse. Ergebnisse sollen in zwei, drei Wochen vorliegen. Kommentiert wird bereits die Anzahl von 140 Toren in 50 Spielen, 2,8 Tore pro Spiel – Rekord für eine EM in größerem Format, geringfügig mehr als bei der WM 2018 und deutlich mehr als bei der vergangenen Europameisterschaft (2,12). „Vor allem auf Grund der besonders langen Saison und der kurzen Pausen für die Spieler ein hoher Wert“, hält der DFB fest.

So populär wie nie zuvor: die Dreierkette

Dabei hatten zunächst auch fast alle Turnierfavoriten eigentlich das Augenmerk auf die Defensive gelenkt. Die Dreierkette war so populär wie nie zuvor. Deutschland, die Niederlande, aber im Achtelfinale auch England setzten auf diese Formation, um die Abstände klein zu halten, um gegen den Ball hinten fünf statt vier Mann auf einer Linie zu haben.

Letztlich führte das zum „Verteidigen im tiefen Block“, wie es die DFB-Analysten nennen. „Während die kleineren Nationen auf Grund ihrer individuellen Unterlegenheit häufig in eine abwartende, defensive Rolle gedrängt wurden, gab es auch bei den Top-Mannschaften wenig hohes Pressing und viel Kompaktheit im Mittelfeld. Besonders nach einer Führung zogen sich die Mannschaften deutlich zurück.“

Das Turnier der Eigentore: Mats Hummels ärgerte sich im ersten Spiel der DFB-Elf gegen Frankreich. Bis zum Finale summierten sich die Missgeschicke auf elf. Das sind zwei Eigentore mehr als bei allen bisherigen Europameisterschaften zusammen.
Das Turnier der Eigentore: Mats Hummels ärgerte sich im ersten Spiel der DFB-Elf gegen Frankreich. Bis zum Finale summierten sich die Missgeschicke auf elf. Das sind zwei Eigentore mehr als bei allen bisherigen Europameisterschaften zusammen. © dpa

Dass gerade die DFB-Auswahl in hinterster Reihe dennoch äußerst anfällig war, sagt einiges über die Defizite aus. „Bei unserer Mannschaft sah alles wie irgendein zusammengewürfelter Mix aus, damit gewisse Spieler auf dem Platz stehen konnten“, kritisierte Ralf Rangnick in der „Süddeutschen Zeitung“.

Mit dem Mastermind will der Verband weiter nichts zu tun haben, aber Rangnick hat recht, wenn er bei der deutschen Mannschaft „nichts stimmiges Ganzes“ erkannte. Ganz anders England und Italien, aber auch Dänemark, Tschechien oder die Schweiz, sogar die Ukraine und selbst Ungarn, die allesamt als gut organisiertes Kollektiv an die Leistungsgrenze kamen.

Das Niveau in Europa wächst zusammen

Der Zusammenhalt spielt überall eine große Rolle, ganz gleich ob der Antrieb und Ansporn von innen oder außen kam. Viele der kleineren Nationen haben ihre Verbandsapparate bestens durchlüftet, bewusst auch Ausländer angestellt, um sich für Anregungen zu öffnen. Dass DFB-Direktor Oliver Bierhoff kategorisch ausschloss, einen ausländischen Bundestrainer anzustellen, mag einerseits verständlich sein, andererseits kann internationaler Input eigentlich nie schaden.

Europa wächst auch im Fußball unweigerlich zusammen. Das Niveau gleicht sich an, weil die meisten Nationalteams mit Leistungsträgern aus den Topligen aufwarten konnten. Eine größere Rolle bei dieser EM spielte die mentale Komponente, um mit den Restriktionen durch die Corona-Krise und den Reisen fertig zu werden.

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Vielleicht war es kein Zufall, dass alle vier Halbfinalisten in der Gruppenphase Heimspiele nahe am Basiscamp hatten. Was noch auffiel? Fast vier von fünf Treffern wurden aus dem zentralen Bereich im Strafraum erzielt. Weitschusstore waren seltener, Eigentore hingegen wichtiger. Elf Missgeschicke dieser Art, zwei mehr als bei allen bisherigen Europameisterschaften zusammen.

Ansonsten hat dieses Turnier eher wenig Innovation vermittelt. Nirgendwo wurde die Stagnation so deutlich wie auf der Torwartposition. „Eine eher durchschnittliche Leistung der Torhüter“, hat Akademieleiter Haupt gesehen, den vor allem der junge Italiener Gianluigi Donnarumma beeindruckte. Dessen Gegenüber beim Endspiel, der Engländer Jordan Pickford ließ sich erst im Halbfinale von einem Freistoß überlisten, bei dem extra eine Sichtmauer errichtet wurde.

Nur wenige Tore fielen nach Standardsituationen

Doch sehen die deutschen Analysten hier keinen Trend. „Auffällig ist, dass in der Vorrunde lediglich 19 Prozent der Tore nach Standardsituationen erzielt wurden. Bei der WM 2018 lag dieser Wert auf das gesamte Turnier gesehen bei 44 Prozent.“ Trotzdem darf der kommende Bundestrainer Hansi Flick hier ruhig auch noch einen Hebel ansetzen, damit Deutschland beim Heimturnier 2024 wieder zu den Trendsettern gehört.