München. Die deutsche Mannschaft wackelte nach dem 0:1-Rückstand gegen Portugal nicht lang - und gewann das EM-Spektakel verdient noch mit 4:2.

Der Stadionsprecher mühte sich redlich, aber vergeblich. „Bitte halten sie sich an die Abstandsregeln“, rief er immer wieder durch sein Mikrofon, aber es war klar, dass das an diesem Sommerabend in München vergebene Liebesmüh sein würde. Viel zu euphorisiert war der große Teil der 14.500 Zuschauer. „Oh, wie ist das schön!“, sangen sie dicht gedrängt, nach viel Spektakel und einen hochverdienten 4:2 (2:1)-Sieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft im EM-Gruppenspiel gegen Portugal.

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Einer dieser glücklichen Zuschauer war Joachim Löw. „Wir haben insgesamt ein sehr starkes Spiel gegen technisch gute und konterstarke Portugiesen gemacht“, lobte er. Die Zweifel waren ja wieder deutlich gewachsen nach dem 0:1 zum Auftakt der Europameisterschaft gegen Weltmeister Frankreich. Und nun wartete der Europameister, das roch nach einem frühen Vorrunden-Aus.

Cristiano Ronaldo trifft für Portugal nach 15 Minuten

Löws Mannschaft aber war von Anfang an gewillt, die Zweifel zu zerstreuen. Schnell, druckvoll und mutig ging es nach vorne, genau wie es der Bundestrainer gefordert hatte. Die Aufstellung war die gleiche wie gegen Frankreich, die Einstellung, die Herangehensweise aber war eine ganz andere.

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Schon nach fünf Minuten traf der an diesem Abend überragende Gosens zur Führung. Weil aber Serge Gnabry in der Mitte knapp im Abseits gestanden und aktiv eingegriffen hatte, zählte dieses Tor noch nicht. Stattdessen lief die DFB-Auswahl plötzlich hinterher, erst einem Konter, dann einem Rückstand. Nach einem deutschen Eckball schaltete Portugal blitzschnell um, am Ende legte Diogo Jota frei vor dem Tor quer und Cristiano Ronaldo brauchte nur noch einschieben (15.). Es war das erste Tor des portugiesischen Topstars gegen Deutschland, es war ihm auch noch nie so leicht gemacht worden.

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Es hätte ein Wirkungstreffer sein können, doch die deutsche Mannschaft taumelte nur kurz – dann machten sie weiter wie bisher. „Wir haben heute auch nach Rückstand sehr viel Moral bewiesen“, lobte Löw. „Wir haben nach dem 0:1 nicht den Faden verloren, Ruhe und Dynamik gewahrt, viele gute Möglichkeiten herausgespielt, gutes Tempo gezeigt und die Portugiesen einige Male überfordert. Der Sieg geht auch in der Höhe absolut in Ordnung.“

Zwei Eigentore helfen dem DFB-Team

So sieht Entschlossenheit aus: Joshua Kimmich.
So sieht Entschlossenheit aus: Joshua Kimmich. © afp

20 Minuten waren nach dem Gegentor vergangen, dann spielte Joshua Kimmich von der rechten Seite eine herrliche Verlagerung auf Gosens, der den Ball volley scharf nach innen spielte – und Ruben Dias lenkte die Kugel vor Kai Havertz ins eigene Netz (35.). Endlich der erste Turniertreffer, und auch der zeigte Wirkung. Schnell rollten weitere Angriffe in Richtung des portugiesischen Tors. Gosens bediente Müller, der flankte, Havertz leitete weiter, Kimmich gab scharf nach innen – und diesmal traf Dortmund-Profi Raphael Guerreiro ins eigene Tor (39.).

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Die Außenspieler Kimmich und Gosens waren von den Portugiesen kaum zu bremsen, vor allem Gosens glänzte: „Unser Ansinnen und Plan war, dass wir über die Außen mehr für Gefahr sorgen müssen“, sagte Löw. Wir wussten, dass das die Schwachstellen von Portugal sind.“

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Das zeigte sich auch nach der Pause: Wieder schlug Gosens den Ball scharf nach innen und Havertz drückte ihn über die Linie (51.). Und wenig später war es Kimmich, der flankte, und Gosens, der seine überragende Leistung mit dem Tor zum 4:1 krönte (60.). Das Spiel hätte endgültig entschieden sein müssen, doch das Thema Standardsituationen bleibt der Mannschaft erhalten: Bei einem Freistoß schaltete die komplette deutsche Hintermannschaft ab, Ronaldo lenkte den Ball artistisch nach innen und Diogo Jota schob ein (67.). Und nach einem kurz ausgeführten Eckball schoss Renato Sanches aus der Distanz an den Pfosten (79.).

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Doch die deutsche Mannschaft brachte die Führung über die Zeit, hielt den Ball meist in den eigenen Reihen und fern vom eigenen Tor. Und am Ende war nicht nur Löw erleichtert: „Es war wichtig für uns, dass wir nach dem verlorenen Spiel gegen Frankreich nicht alles über den Haufen werfen, sondern bei unserer Linie bleiben“, sagte Havertz. „Wir vertrauen dem Trainer, wir vertrauen dem System.“ Und der Bundestrainer richtete den Blick gleich nach vorne: „Es geht ja weiter, der nächste Gegner steht an“, mahnte er. „Wir haben einen Sieg eingefahren, das ist schön, weil wir unser Schicksal jetzt selbst in der Hand haben. Aber wir müssen jetzt nachlegen.“

Drei deutsche Spieler verließen Platz angeschlagen

Dann vielleicht mit leicht verändertem Personal, Ilkay Gündogan, Mats Hummels und Gosens gingen angeschlagen vom Platz. „Ich glaube aber, dass das nichts Dramatisches war“, meinte Löw. „Wenn alles gut läuft, werden wie die schon wieder hinkriegen bis nächste Woche.“ Und Löw hätte sicher nichts dagegen, wenn die Fans auch am Mittwoch nach dem Ungarn-Spiel vor lauter Freude die Abstandsregeln kurz vernachlässigen.