Berlin. Das 9-Euro-Ticket wurde selten für Fahrten ins Büro genutzt, eher für Freizeitausflüge – ein schlechtes Omen fürs Deutschlandticket?

Das günstige Bahn- und Busticket für neun Euro wurde im vergangenen Jahr vor allem für Freizeittouren genutzt. Zur Arbeit fuhren die Bürgerinnen und Bürger damit seltener. Das ist das Ergebnis einer neuen Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Das 9-Euro-Ticket hatte „kaum Auswirkungen auf die Alltagsmobilität“, sagt Mitautor Dennis Gaus. Deshalb hält er es auch für fraglich, ob das neue 49-Euro-Ticket ab 1. Mai zum verbreiteten Umstieg auf Busse und Bahnen führt.

Die Untersuchung analysiert das 9-Euro-Ticket erstmals auf der Basis von bundesweiten und repräsentativen Daten, die aus den Bewegungsprofilen von Smartphones und Befragungen der Nutzer stammen. Sie geht damit über Studien aus dem vergangenen Jahr hinaus, die teilweise zu ähnlichen Ergebnissen kamen. Die Billigfahrkarte galt bundesweit für den öffentlichen Nahverkehr zwischen Juni und August 2022. Rund 52 Millionen Tickets verkauften die Verkehrsbetriebe damals. Das Vorhaben sollte die Inflation nach dem russischen Angriff auf die Ukraine dämpfen.

9-Euro-Ticket wurde für Freizeit genutzt

Das wichtigste Ergebnis der Analyse, die dieser Redaktion vorab vorliegt: Die vielen zusätzlichen Bus- und Bahnfahrten in den drei Sommermonaten waren eher Ausflüge in die Natur, die Berge und ans Meer. Seltener nutzten die Arbeitnehmer die günstige Fahrkarte, um regelmäßig in die Firma zu kommen. So war in vielen Sommerwochen der Anteil der „sonstigen Wege“, die Fahrgäste mit Bussen und Bahnen zurücklegten, an der gesamten Verkehrsleistung höher als der Anteil der Arbeitswege.

Das 9-Euro-Ticket wurde vor allem für Freizeitfahrten benutzt und nicht, um ins Büro zu kommen. Was bedeutet das für das Deutschlandticket?
Das 9-Euro-Ticket wurde vor allem für Freizeitfahrten benutzt und nicht, um ins Büro zu kommen. Was bedeutet das für das Deutschlandticket? © dpa | Arne Dedert

Ein teilweise ähnliches Muster zeigten die Distanzen: Lange Wege über 30 Kilometer nahmen zeitweise stärker zu als kürzere Wege. Die längeren Distanzen dienten vornehmlich Freizeitzwecken – die Leute fuhren am Wochenende aus der Stadt an den Strand und in die Mittelgebirge. Kurze Wege kann man dagegen eher als Arbeitsmobilität einstufen. „Das 9-Euro-Ticket führte nicht dazu, dass in größerem Umfang Personen auf dem Weg zur Arbeit zum öffentlichen Personenverkehr wechselten“, resümieren die DIW-Mitarbeitenden Dennis Gaus, Neil Murray und Heike Link.

9-Euro-Ticket: Stadt-Land-Gefälle

Weitere Ergebnisse stützen diese Interpretation. Unter Erwerbslosen war im Juli 2022 mit 64 Prozent der Anteil derjenigen am größten, die das 9-Euro-Ticket kauften. „Voll Berufstätige“ nahmen es dagegen nur zu 44 Prozent in Anspruch. Gegen den Befund spricht freilich, dass auch 57 Prozent der Auszubildenden die günstige Fahrkarte nutzten – das Studienergebnis ist also nicht ganz eindeutig.

Interessant erscheint das Stadt-Land-Gefälle: „Knapp die Hälfte der Personen aus überwiegend städtischen Gebieten erwarb das 9-Euro-Ticket, während dies auf lediglich ein Drittel der im ländlichen Raum wohnhaften Personen zutraf“, heißt es in der Studie. Das DIW-Team erklärt dies mit dem schlechteren Angebot des öffentlichen Verkehrs auf dem Land im Vergleich zu den Städten. Wo kein Bus fahre, brauche man auch kein Billigticket.

Studie: Wo kein Bus fährt, braucht es kein Billigticket

Und so kommen die Forschenden zu ihrem politischen Fazit: Für einen attraktiven Bus- und Bahnverkehr sei das gute Angebot mindestens ebenso wichtig wie der günstige Preis. „Ein erheblicher Anteil der Bevölkerung sieht den Öffentlichen Personennahverkehr aufgrund eines aus ihrer Sicht unzureichenden Angebots nicht als Alternative in ihrer Alltagsmobilität an.“

Aus Sicht des DIW hat das Folgen für das neue 49-Euro-Ticket, dessen Vorverkauf in dieser Woche begonnen hat. Mit dieser Fahrkarte kann man ab Mai alle Nahverkehrsmittel in ganz Deutschland nutzen. Dennis Gaus bezweifelt, dass diese Strategie die Verkehrswende voranbringt. Nicht nur wegen der oft mangelhaften Bus- und Bahnlinien und schlechten Taktung. Außerdem seien 49 Euro zu teuer. Die Befragung im Rahmen der 9-Euro-Studie habe ergeben, dass die Bürgerinnen und Bürger durchschnittlich 29 Euro für einen akzeptablen Preis halten.