Düsseldorf. Iberogast von Bayer kann wohl zu Leberversagen führen. Der Konzern wehrte sich gegen einen Warnhinweis. Nun wird offenbar ermittelt.

Ein Fläschchen mit den bitteren Tropfen steht in so ziemlich jeder Hausapotheke, wird oft und gern genommen, wenn das Essen allzu schwer im Magen liegt oder aufstößt. Und auch der Werbereim ist PR-literarisches Allgemeingut: „Wird der Magen dir zur Last? Iberogast!“

Nun beschert der Bayer-Topseller dem Chemie- und Pharmakonzern das nächste Problem – nach den Prozessen um das möglicherweise gesundheitsschädigende Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat – mit hohem Potenzial, das Image weiter zu schädigen. Der Verdacht, Bayer habe zu spät vor möglichen Leberschäden durch Iberogast gewarnt, beschäftigt inzwischen die Staatsanwaltschaft Köln.

Einem Bericht des „Handelsblatts“ zufolge ermittelt die Staatsanwaltschaft „im Umfeld des Konzerns“ wegen des Verdachts, Bayer hätte mit früheren Warnungen „etliche Erkrankungen“ und sogar „einen Todesfall“ möglicherweise verhindern können. Auf Nachfrage wollte die Abteilung der Staatsanwaltschaft für Wirtschaftsstrafsachen das weder bestätigen noch dementieren. Andere Quellen bestätigten unserer Redaktion aber, dass der Umgang von Bayer mit den Hinweisen zu Nebenwirkungen im Beipackzettel bei Iberogast geprüft werde.

Der Konzern erklärte dazu am Montagabend auf Anfrage, man habe aus der Presse von dem Ermittlungsverfahren erfahren, es richte sich „gegen unbekannt“. Einzelheiten des Ermittlungsverfahrens seien Bayer nicht bekannt.

Das frei verkäufliche Mittel ist als seit Jahrzehnten gebräuchliches, rein pflanzliches Mittel bisher eine verlässliche Einnahmequelle mit geschätzten 120 Millionen Euro Umsatz im Jahr.

Iberogast: Hinweis auf Risiken stehen erst seit 2018 im Beipackzettel

Iberogast hilft bei Sodbrennen, Magenschmerzen, Krämpfen, Übelkeit und Reizdarm. Als mögliche „sehr seltene“ Nebenwirkungen standen bis September 2018 nur Überempfindlichkeiten im Beipackzettel, etwa Ausschlag und Juckreiz. Kürzer sind diese Listen selten.

Doch diese war zu kurz, fand das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) schon im Jahr 2008. Seinerzeit empfahl es dem später von Bayer übernommenen Iberogast-Hersteller Steigerwald, mögliche Leberschäden bis hin zum Leberversagen mit in die Liste der Nebenwirkungen aufzunehmen.

Doch erst zehn Jahre später, am 27. September 2018, setzte Bayer die Änderungen im Beipackzettel „auf Drängen des BfArM um“, wie die Behörde mitteilte. Erst seitdem steht dort auch, Iberogast dürfe „von Schwangeren und Stillenden nicht eingenommen werden“. Gewarnt wir vor der Einnahme bei Vorerkrankungen der Leber, und wenn nach der Einnahme erste Anzeichen wie gelbe Haut oder Augen auftreten. Zugelassen ist die Arznei für Kinder ab drei Jahren.

Bayer spricht von allergischer Reaktion nach Vorfall mit Iberogast

Warum Bayer im vergangenen Spätsommer nach jahrelanger Weigerung doch noch einlenkte? Das BfArM gibt als Grund für seinen im vergangenen Sommer massiv erhöhten Druck auf Bayer „neue bekannt gewordene Nebenwirkungsmeldungen von Leberschädigungen im Zusammenhang mit der Anwendung von Iberogast“ an. Darunter auch „ein im Juli 2018 bekannt gewordener zweiter Fall eines Leberversagens mit Lebertransplantation, der jedoch letztlich tödlich endete“.

Ein erster, nicht tödlicher Fall, war 2016 im „American Journal of Gastroenterology“ beschrieben worden. Daraufhin hatte das BfArM Anfang 2017 seine Forderung per „Widerspruchsbescheid“ noch einmal bekräftigt, Bayer wartete aber weitere eineinhalb Jahre ab.

Bayer erklärte nun, den jüngsten Fall des Leberversagens nach der Einnahme von Iberogast „intensiv und umfassend analysiert“ zu haben. Das Leberversagen sei „höchstwahrscheinlich“ eine allergische Reaktion auf eine Substanz gewesen, die in der Stellungnahme nicht benannt wird. Solche Reaktionen seien „äußerst selten“, unabhängig von der Dosis und könnten „generell nicht ausgeschlossen werden“. Das Nutzen-Risiko-Profil von Iberogast sei „weiterhin positiv“.

Im September 2018 äußerte sich die Grünen-Abgeordnete Kordula Schulz-Asche erschrocken über den Todesfall – und forderte die Aufsichtsbehörden auf, entschlossen zu handeln. Zwischenzeitlich erweiterte man die Warnhinweise schon einmal. Trotz vorheriger Bekundungen, es sei nicht schädlich, wurde plötzlich bekanntgegeben, dass Schwangere das Medikament Iberogast nicht mehr nehmen sollen,

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Krise lässt Börsenwert von Bayer schrumpfen

Als Auslöser der Leberschäden steht eines der neun enthaltenen Kräuter im dringenden Verdacht: das Schöllkraut. Nach der Jahrhundertwende setzte sich die Erkenntnis durch, dass Schöllkraut in hohen Dosen zu Leberversagen führen und besonders für werdende Mütter und ihre ungeborenen Kinder gefährlich werden kann.

Das BfArM zog deshalb 2008 die Zulassung für Mittel auf Basis von Schöllkraut zurück, zur „Abwehr von Gefahren durch Arzneimittel“, so der Titel des damaligen Dokuments. Schöllkraut-haltige Mittel, die mit geringeren Dosen bis 2,5 Milligramm Gesamtalkaloide pro Tag, sollten Warnhinweise zu möglichen Leberschädigungen in ihre Beipackzettel aufnehmen. Steigerwald weigerte sich dagegen beharrlich, Bayer nach der Übernahme ebenso.

Vielleicht auch, weil Iberogast ein Verkaufsschlager bleiben sollte. Iberogast ist eines der wichtigsten Mittel aus dem zuletzt stagnierenden Bereich „Consumer Health“ mit rezeptfreien Arzneien. Bayer verkaufte zuletzt weniger Aspirin, Bepanthen & Co in den USA und in Europa, wuchs nur noch in Asien und Lateinamerika. Der operative Gewinn der Sparte war rückläufig.

All das kommt für den Leverkusener Konzern nun zur Unzeit – Bayer kommt aus den Negativ-Schlagzeilen einfach nicht heraus: Seit Monaten machen die Glyphosat-Prozesse in den USA mit diversen Niederlagen für die Bayer-Tochter Monsanto dem Dax-Konzern schwer zu schaffen. Der Börsenwert hat sich nach der 59-Milliarden-Euro-Übernahme zwischenzeitlich fast halbiert. Aktuell ist das Leverkusener Traditionsunternehmen an der Börse nur noch gut 55 Milliarden Euro wert – weniger als es für Monsanto gezahlt hat.

Der Konzern hat gerade noch einen anderen, noch größeren Kampf: Den ums Glyphosat. Trotz Strafsummen-Nachlass erlitt Bayer gerade eine erneute Niederlage. In Österreich ist Glyphosat verboten. Ein Verstoß gegen EU-Recht? Für den Bayer-Chef Werner Baumann ist es ein einzig großes Monsanto-Fiasko. Für die Arbeitnehmer hat das alles Folgen. Bayer will offenbar 4500 deutsche Arbeitsplätze abbauen. (mit ses)