Berlin. Die Koalition hat zahlreiche Streitpunkte abgeräumt – erst einmal. Auf Dauer wird sie die Wähler mit Streitereien weiter abschrecken.

Am Ende hatten sich wieder alle lieb. Die Gespräche seien zwar langwierig, aber auch sehr intensiv und vertrauensvoll gewesen, versicherten am Dienstagabend die Parteivorsitzenden von SPD, Grünen und FDP. Jetzt habe man ein gutes Ergebnis erzielt. Und jetzt mache sich die Ampel daran, wie versprochen das Land zu modernisieren.

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Es war eine bemerkenswerte Darbietung, die in den vergangenen Tagen im Berliner Regierungsviertel zur Aufführung kam: Die Koalitionsspitzen waren am Sonntagabend zusammengekommen, hatten die ganze Nacht und den ganzen Montagvormittag durchverhandelt und sich dann erst einmal ohne Ergebnisse vertagt, weil Kanzler Olaf Scholz (SPD) und diverse Minister zu Gesprächen mit der niederländischen Regierung nach Rotterdam reisen mussten. Den Dienstag über ging’s in Berlin weiter mit dem Koalitionsausschuss, bis am Abend endlicher ein Ergebnis verkündet werden konnte. Politik als XXXL-Marathon.

Bundesregierung: Vorhaben müssen zügig umgesetzt werden

Richtig ist, dass die Koalitionäre jetzt endlich zahlreiche Streitpunkte der vergangenen Wochen und Monate abräumen konnten - zumindest erst einmal. Das betrifft zum Beispiel das weitere Vorgehen beim Infrastruktur-Ausbau oder bei der Wärmewende. Das Tempo beim Klimaschutz und der Transformation der Volkswirtschaft soll deutlich erhöht werden. Die Ampel erinnert sich an ihr zentrales Projekt, und das ist gut so.

Aber wie das immer so ist in der Politik: An guten Absichten hat es eigentlich noch nie gemangelt. Das 16-seitige Papier, das die Ampel-Partner vorgelegt haben, muss jetzt mit Leben gefüllt werden. Aus Absichtserklärungen müssen Gesetze werden, und zwar unter großem Zeitdruck. SPD, Grüne und FDP werden noch viele Gelegenheiten haben, sich abermals zu verhaken.

Ampel: Krisenmanagement klappt, gestalten bislang nicht

Auch wenn die Parteivorsitzenden und der Kanzler das Gegenteil behaupten: Die drei vergangenen Tage waren keineswegs ein Ausweis dafür, dass die Ampel gut und vertrauensvoll arbeitet. Die Risse im Bündnis werden immer deutlicher. Monatelang hatten die Partner hinter den Kulissen bereits versucht, ihre Streitigkeiten aus der Welt zu räumen und endlich in eine Vorwärtsbewegung zu kommen. Es gelang ihnen nicht. Am Ende brauchte es einen dreitägigen Koalitionsausschuss, um die Gräben zu überbrücken. Wenn so Politik betrieben wird, fördert dies nicht das Vertrauen des Publikums in die handelnden Personen und ihre Parteien. Mal ganz davon abgesehen, dass Beschlüsse, die im Zustand des totalen Schlafmangels zustande kommen, erfahrungsgemäß nicht immer die besten sind.

Die Ampel-Regierung ist seit Dezember 2021 im Amt, also nicht einmal anderthalb Jahre. Diese Zeit war geprägt vom Krisenmanagement im Angesicht des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Das hat die Koalition recht gut hinbekommen. Vom Gefühl des Aufbruchs, der ehedem mit dem Machtwechsel einherging, ist aber nicht mehr viel übriggeblieben.

Selbstbeschäftigung verhindert effektive Regierungsarbeit

Will die Ampel überleben, braucht sie möglichst schnell konkrete Reform-Erfolge. Sie braucht die Solidarität der gemeinsamen Tat. Der jüngste Koalitionsausschuss wird in Erinnerung bleiben. Entweder als der Moment, in dem dem Regierungsbündnis der Neustart gelang – oder aber als der, in dem der schleichende Zerfall offenkundig wurde.

FDP-Chef Christian Lindner sagte am Dienstagabend sinngemäß, wenn lange Treffen wie dieses auch immer so gute Ergebnisse bringen würden, dann könne man das seinetwegen gern jeden Monat wiederholen. Bitte nicht! Die Ampel hat sich schon viel zu viel mit sich selbst beschäftigt. Irgendwann ist’s dann auch mal gut.