Bachmut. Die Ukraine leistet erbittert Widerstand, doch die Stadt scheint nicht zu halten. Was Soldaten vom Gemetzel an der Front berichten.

Schwarze Rauchwolken steigen über den Überresten der Stadt am Ufer des Bachmutka auf. Unaufhörlich dröhnt Geschützdonner. Die Straße, die von Tschassiw Jar in den Westen von Bachmut führt, ist die letzte, die noch als vergleichsweise sicher gilt. In den wenigen Fahrzeugen, die in hohem Tempo über sie rasen, sitzen fast ausschließlich Militärs. Die meisten fahren aus der Stadt heraus.

Es scheint nur noch eine Frage von Tagen, bis die Stadt fällt, bei der die ukrainischen Verteidiger monatelang erbitterten Widerstand gegen den Ansturm der russischen Streitkräfte geleistet haben. Die Schlacht in der Region Bachmut ist blutig wie keine andere in Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine.

Ukraine-Krieg: Soldat Drohnen werfen Granaten in die Schützengräben

Es ist ein grausames Gemetzel, das an die Schrecken des Ersten Weltkriegs erinnert. Russen und Ukrainer verschanzen sich in Schützengräben-Systemen, beschießen sich unablässig mit schwerer Artillerie. Bilder und Videos zeugen von der Brutalität der Kämpfe. Von ganzen Waldstücken stehen nur noch die Stümpfe der Bäume, Drohnen werfen gezielt Granaten in die Schützengräben, in denen sich die Männer in den Schlamm kauern. Tausende Soldaten auf beiden Seiten werden getötet, verstümmelt, verletzt.

Eine Porzellan-Figur der „Heiligen Familie
Eine Porzellan-Figur der „Heiligen Familie" steht an einem aufgegebenen Checkpoint in der ostukrainische Stadt Bachmut. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Volodomyr hat dieses Grauen miterlebt. Er ist Ende 30, stammt aus dem Süden der Ukraine, hat ein hageres Gesicht. Nach dem russischen Überfall im Februar hat er sich freiwillig gemeldet, um seine Heimat zu verteidigen. Er steckt sich eine Zigarette nach der anderen an. Vor dem Krieg war er Nichtraucher.

Ukraine-Krieg: Die Kämpfe erinnern Volodomyr an eine Zombie-Apokalypse

„Kennen Sie den Film World War Z?“, fragt er und pustet den Rauch in die Luft. Der Film ist ein Hollywood-Schinken über eine Zombie-Apokalypse. „Genauso muss man sich das vorstellen“, sagt der Soldat und hält inne. „Die Russen haben Wellen von Soldaten direkt in unser Feuer gejagt. Sie sind über die Körper ihrer toten Kameraden auf unsere Stellungen zu gestapft. Wenn wir geschossen haben, haben sie sich nicht einmal geduckt.“ Volodomyr schüttelt den Kopf. Er vermutet, die Russen seien unter Drogen gesetzt worden. Wer verhält sich sonst so?

Volodomyr ist nicht der richtige Name des Soldaten, wie andere Militärs möchte er anonym bleiben. Auch seine Brigade darf nicht genannt werden.

LandUkraine
KontinentEuropa
HauptstadtKiew
Fläche603.700 Quadratkilometer (inklusive Ostukraine und Krim)
Einwohnerca. 41 Millionen
StaatsoberhauptPräsident Wolodymyr Selenskyj
RegierungschefMinisterpräsident Denys Schmyhal
Unabhängigkeit24. August 1991 (von der Sowjetunion)
SpracheUkrainisch
WährungHrywnja

Im Dezember wird seine Einheit an die Front nach Bachmut verlegt. Zuvor haben sie bei Cherson gekämpft. In dem 20-Mann-Trupp, den er führt, hatten sie dort während mehrerer Monate drei Verletzte. Bei Bachmut ist innerhalb von knapp zwei Wochen ein Mann gestorben, zwei gelten als vermisst, acht sind verletzt worden. Aus seinem Bataillon mit den ursprünglich 500 Männern sind noch 70 einsatzfähig. Das hier sei ein völlig anderer Krieg hier als im Süden, sagt er. Niemand sei darauf vorbereitet gewesen: „Es ist die Hölle.“

„Ich musste ihn schlagen, damit er schießt“

Volodoymr übt scharfe Kritik an seiner eigenen Militärführung. Er versteht nicht, warum Bachmut gehalten werden muss, warum es nicht möglich war, Verteidigungslinien auszubauen. „Sie schicken Leute ins Gefecht, die gerade mobilisiert wurden und kaum Training hatten.“

Die Explosionen, die Schüsse, der Tod setzen diesen frischen Rekruten zu. Sie können das alles kaum ertragen. „Als ich einen toten Kameraden geborgen habe, stand einer der Neuen vor mir. Er hat nur gezittert, konnte sein Gewehr kaum halten.“ Volodomyr zündet sich eine neue Zigarette an. „Ich musste ihn schlagen und beschimpfen, damit er schießt.“ Er könne, sagt Volodmyr, die „Gleichgültigkeit und die strategische Dummheit“ der ukrainischen Militärführung beim Kampf um Bachmut nicht verstehen.

Zehn Stunden unter Dauerfeuer

Als die russischen Streitkräfte im Juni vergangenen Jahres das nördlich gelegene Sjewjerodonezk in der Oblast Luhansk einnehmen, können sie Bachmut in die Zange nehmen. In Horliwka im Süden herrschen schon seit sechs Jahren die Separatisten der moskauhörigen selbst ernannten Volksrepublik Donezk. Über Bachmut, so hoffen die Militärs in Moskau, können sie zu den westlich gelegenen Großstädten Kramatorsk und Slowjansk vorstoßen, womit sie die Oblast Donezk komplett unter ihrer Kontrolle hätten. Was in den Zeiten, als die russischen Streitkräfte im Osten der Ukraine rasant Fortschritte machen, als leichte Aufgabe anmutet, entwickelt sich für die Invasoren zum Albtraum. Jedoch nicht nur für sie.

Die Straßen von Bachmut sind wie ausgestorben.
Die Straßen von Bachmut sind wie ausgestorben. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Neun Tage können Volodymr und seine Männer ihre Position halten. An einem Tag stehen sie zehn Stunden unter dem Dauerfeuer eines Feindes, der sie fast umzingelt hat. Dann erfolgt der Rückzug. Als der junge Offizier von der Front nach Hause zurückgekehrt, liegt er tagelang im Bett. „Ich war wie betäubt. Meine Familie wollte mich in eine Nervenklinik bringen, damit ich nicht wieder an die Front zurückmuss.“ Jetzt ist er in einer Stadt nahe Bachmut stationiert.

Es gibt kaum noch Leben in Bachmut

In der Tschaikowsky-Straße im Westen Bachmuts steht ein Denkmal, das den „Befreiern des Donbass“ gewidmet ist. Es erinnert an die Zeit, als sowjetische Rotarmisten die Wehrmacht Nazi-Deutschlands aus der Region vertrieben. Jetzt bekämpfen sich die Nachfahren dieser Rotarmisten gegenseitig. Noch im September standen hier Dutzende Menschen bei einer Essensverteilung an. Jetzt wirkt die Gegend ausgestorben.

Die Wintersonne wirft ein fahles Licht auf die Fassaden der mehrstöckigen Wohnhäuser aus den Tagen der Sowjetunion, sie wirken in diesem Licht noch ausgelaugter. Es gibt kaum noch Leben in Bachmut. Wie viele von den ursprünglich rund 80.000 Einwohnern noch in der Stadt sind, ist unbekannt. Einer steht verloren am Straßenrand, ein großer, schlanker Mann. Er wirkt verwirrt, will die Stadt nicht verlassen. Hat er keine Angst? „Mir ist alles egal“, sagt er.

„Betet für die Ukraine“ steht auf dem Transparent

Die meisten Häuser an der Tschaikowsky-Straße sind beschädigt, manche zerstört. Ein Checkpoint ist nicht mehr bemannt. Jemand hat trotzig eine ukrainische Fahne auf ihn gepflanzt. An einem Stein hat irgendwer ein Transparent befestigt. Pray for Ukraine, betet für die Ukraine, steht darauf. Daneben stehen drei kleine Figuren, die heilige Familie.

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Ukraine: Soldaten hoffen auf Leopard-2-Panzer

Einige Soldaten räumen einen Lastwagen voll. Sie wirken gehetzt. „Fahrt bloß nicht ins Stadtzentrum“, sagt einer, „da ist es extrem gefährlich, ihr könnt von unseren Leuten oder von den Russen getroffen werden.“ Die Einschläge und das Gegenfeuer erschüttern die Stadt im Sekundentakt. Nicht weit entfernt bellt ein Maschinengewehr. Die Russen sollen schon im Osten Bachmuts stehen.

Oberst Serhiy Tscherewatyj, Sprecher der Heeresgruppe im Osten der Ukraine, hofft deswegen dringend auf neue Waffen aus dem Westen: „Um unser Land effektiver zu befreien, brauchen wir Ausrüstung, auch leistungsfähigere Ausrüstung“, sagt Tscherewatyj. „Der deutsche Leopard-2-Panzer ist mit Sicherheit einer der besten Panzer der Welt“, er sei viel besser als die russische Ausrüstung, die nach sowjetischen Vorbildern gebaut ist. Der Leopard werde sein Land in die Lage versetzen, die Ukrainer vor der Gewalt der Besatzer zu retten.

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„Im Januar habe ich die Hölle auf Erden erlebt“

In einem Krankenhaus in der Provinz etwa 90 Kilometer Luftlinie entfernt von der Kampfzone erholt sich Oleksandr von den Verletzungen, die er sich bei den Kämpfen um die Kleinstadt Soledar nördlich von Bachmut zugezogen hat. Er ist stämmig, trägt eine Jogginghose, eine Flecktarnjacke, eine Wollmütze. Sein Bein ist geschient, er hat es sich gebrochen, als er einen Autounfall hatte.

Er dient bei den Grenztruppen, stammt aus dem Westen der Ukraine, und hat sich zum Beginn des russischen Überfalls freiwillig gemeldet. Als er Anfang Januar nach Soledar verlegt wird, sind in seiner Einheit noch 67 Männer. Noch fünf von ihnen sind kampffähig. Jetzt wird die Kleinstadt von den Russen kontrolliert. „Ich habe viel über die Hölle gelesen“, sagt Oleksandr und sein Blick findet keinen Halt. Es wirkt, als schaue er durch einen durch. „Im Januar habe ich die Hölle auf Erden erlebt.“