Warschau. Heikle Reise: Außenministerin Annalena Baerbock versucht, die Streitpunkte Weltkriegs-Reparationen und Waffenlieferungen auszuräumen.

Es dauert nicht lange, da kommt der polnische Außenminister zur Sache. Die Verbrechen der Nazis in seinem Land seien noch heute ein „schweres Trauma“ für seine Landsleute, sagt Zbigniew Rau am Dienstag bei der Pressekonferenz im Außenministerium in Warschau.

Deshalb habe er am Montag eine diplomatische Note über Reparationsforderungen unterzeichnet und nach Berlin geschickt. Seine deutsche Amtskollegin Annalena Baerbock schaut ihn von der Seite mit ernstem Blick an. Lesen Sie auch: Annalena Baerbock in Polen: Außenpolitik mit Feingefühl

Rau nennt keine Zahl. Doch eine polnische Parlamentskommission hatte kürzlich errechnet, dass Deutschland dem Nachbarland im Osten rund 1,3 Billionen Euro an Entschädigungen für die im Zweiten Weltkrieg erlittenen Zerstörungen schulde. Es handele sich um eine Summe, die die deutsche Wirtschaft „perfekt verkraften“ könne, „ohne erdrückt“ zu werden, tönte der Chef der rechtskonservativen Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski, zum 83. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen am 1. September 1939.

Annalena Baerbock: Reparationen abgeschlossen

Baerbock betont knapp, sie habe sich in dem rund zweistündigen Gespräch mit Rau über dieses Thema ausgetauscht. „Die Frage der Reparationen ist aus Sicht der Bundesregierung – das weißt du – abgeschlossen. Sie ist rechtlich geklärt.“ Der polnische Chefdiplomat zuckt mit keiner Miene. Gleichzeitig stehe Deutschland zu seiner „historischen Verantwortung ohne Wenn und Aber“, betont Baerbock.

Es kann keinen Schlussstrich geben.“ Sie spricht von einer „ewigen Aufgabe, an das millionenfache Leid zu erinnern, das Deutschland Polen angetan hat“. Und plädiert für den Aufbau einer Erinnerungskultur, gemeinsame deutsch-polnische Schulbücher und Zusammenarbeit bei Bildungsthemen.

Ampelkoalition lehnt weitere Kompensationen ab

Die Ampelkoalition in Deutschland lehnt indes Kompensationszahlungen mit Hinweis auf den Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 ab, der sich mit den außenpolitischen Folgen der deutschen Einheit befasste. Zudem habe Polen bereits 1953 in einem Abkommen mit der DDR auf weitere Entschädigungen verzichtet – was Warschau mit der Begründung vom Tisch wischt, man sei durch die Sowjetunion dazu gezwungen worden.

Doch Baerbock will Akzente setzen, Respekt und Empathie vermitteln. Am Nachmittag hat sie kurzfristig einen Besuch in der Gedenkstätte für die Opfern des Warschauer Widerstands von 1944 in ihr Programm eingebaut. Am Mahnmal einer trauernden Mutter spricht die Ministerin mit Wanda Traczyk-Stawska, einer 95-jährigen Überlebenden, die am Rollator geht. Dass die Frau nach allen Nazi-Verbrechen Deutschland verzeihen könne, „dabei stockt mir der Atem“, sagt Baerbock sichtlich bewegt. Daraus leite sie den „größten Auftrag ab, den ich als Außenministerin haben kann." Politik, heruntergebrochen auf ein Einzelschicksal: Baerbock will in der polnischen Hauptstadt als Brückenbauerin und Versöhnerin auftreten.

Baerbock will Brückenbauerin und Versöhnerin sein

Baerbock schlägt den Bogen von der polnischen Freiheitsbewegung Ende der 80er- Jahre über die deutsche Wiedervereinigung 1990 bis hin zur umfassenden Waffenhilfe, die Warschau für Kiew in diesen Tagen gewährt. „Was Polinnen und Polen seit dem 24. Februar geleistet haben an Unterstützung für die Ukraine, das ist einmalig und erfüllt mich mit größtem Respekt.“

Außenministerin Annalena Baerbock im Gespräch mit  Zbigniew Rau, Außenminister von Polen, im polnischen Außenministerium.
Außenministerin Annalena Baerbock im Gespräch mit Zbigniew Rau, Außenminister von Polen, im polnischen Außenministerium. © dpa | Christoph Soeder

Die Ministerin schließt mit einem Bekenntnis. „Wir werden für euch da sein. So wie ihr für uns da wart, als wir euch am dringendsten brauchten. Denn die Sicherheit Osteuropas ist Deutschlands Sicherheit! Darauf können Sie sich verlassen.“ Beim Empfang in der deutschen Botschaft am Montagabend bekommt sie an dieser Stelle den größten Applaus.

Doch Baerbocks Annäherungsversuche können nicht darüber hinwegtäuschen: Die Querschüsse aus Warschau nehmen zu. Polen scheint finster entschlossen, mit dem Thema offensiv umzugehen und Druck auszuüben. „Möglicherweise werden wir später mit unseren Forderungen auch an internationale Gerichte herantreten“, erklärte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki in einem Interview mit dem Magazin „Spiegel“.

In Berlin ist man unterdessen erstaunt

In Berlin ist man über das Timing für die Reparations-Note erstaunt – jetzt, da es im Ukraine-Krieg um die größtmögliche europäische Geschlossenheit gehe. Die polnische Regierungspartei versuche, rund ein Jahr vor den Parlamentswahlen mit anti-deutschen Tönen zu punkten, heißt es. Doch an die große Glocke hängen will das niemand, um nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen.

Der PiS-Vorsitzende Kaczynski sieht Berlin als den großen Drahtzieher einer Verschwörung gegen Polen. Der EU-Vorwurf, in Polen werde die Rechtsstaatlichkeit verletzt, sei von Deutschland erdacht worden, behauptet er. Kaczynskis Polemik mag völlig überzogen sein, die Vorbehalte gegen die Bundesregierung reichen allerdings viel tiefer. Vor allem mit Blick auf die Waffenlieferungen an die Ukraine ist Warschau sauer. Polen hatte bislang mehr als 200 T-72-Kampfpanzer sowjetischer Bauart nach Kiew geschickt. Doch die Hoffnung, dafür modernste „Leopards“ der Bundeswehr zu erhalten – in Berlin als „Ringtausch“-Verfahren bekannt –, verpuffte.

Polen will harten Kurz gegen Russland fahren

Polen sieht sich mittlerweile in Europa als Schrittmacher eines harten Kurses gegen Russland – sowohl mit Blick auf Sanktionen, Waffenlieferungen für die Ukraine als auch die Warnungen vor Moskau. „Deutschlands Politik hat Europa gewaltig geschadet“, rügt Ministerpräsident Morawiecki.

Die Außenministerin widerspricht nicht, aber sie versucht auch hier, eine Brücke zu bauen. Die EU sei eine „Freiheits- und Friedensunion“. Mit Blick auf die scharfen Sanktionen gegen Russland und die Geschlossenheit bei der Unterstützung der Ukraine hält sie fest: „Denn gerade jetzt sehen wir, dass eine handlungsfähige Europäische Union kein Selbstzweck ist, sondern unsere gemeinsame Lebensversicherung.“ Es ist der Schlussakkord der Baerbock-Mission in Warschau.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de