Berlin. Trotz des historischen Stimmverlusts will der Kandidat der Union ein Jamaika-Bündnis wagen - doch in den eigenen Reihen wächst Kritik.

Das Ergebnis des Wahlabends steht Armin Laschet ins Gesicht geschrieben. Als der CDU-Vorsitzende am Montagnachmittag in der Berliner Parteizentrale vor die versammelte Presse tritt, wirkt er, als ringe er mit der Zeitverschiebung nach einem langen Interkontinentalflug.

Für die Union hat der Sonntag sogar eine Zeitenwende gebracht. Denn nach 16 Jahren Kanzlerschaft Angela Merkels haben CDU und CSU bei der Bundestagswahl ein Debakel erlebt. Die einst erfolgsverwöhnte Union hat das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren und ist nur noch auf Platz zwei hinter der SPD gelandet.

CDU-Schlappe: Laschet gilt vielen als Hauptverantwortlicher


Viele Abgeordnete haben ihr Direktmandat verloren, darunter auch prominente Politiker wie Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und Philipp Amthor. Der Unionskanzlerkandidat und CDU-Chef Laschet gilt vielen als Hauptverantwortlicher für die Schlappe.

"Ein Ergebnis unter 30 Prozent ist nicht der Anspruch der Union als Volkspartei", sagt Laschet nach den Beratungen der Parteigremien. Es habe schmerzliche Verluste gegeben und nicht gereicht für Platz eins. Besonders drastisch seien die Ergebnisse der CDU im Osten ausgefallen. Natürlich wisse er, "dass ich einen persönlichen Anteil daran habe".


Doch auch wenn CDU und CSU eine Niederlage wegstecken müssen, denkt Laschet nicht ans Aufgeben. Vielmehr sieht er trotz des schwachen Ergebnisses die Chancen, Bundeskanzler zu werden. Vorstand und Präsidium der CDU seien sich einig, "dass wir zu Gesprächen für eine sogenannte Jamaika-Koalition bereitstehen", sagt Laschet nach den Gremienberatungen. Und er macht deutlich, aus dem Wahlergebnis könne keine Partei für sich einen Regierungsauftrag ableiten - die Union nicht, die SPD aber auch nicht.

Auch mit 25 Prozent habe man nicht den Anspruch, Kanzler zu werden, sagt Laschet mit Blick auf seinen SPD-Konkurrenten Olaf Scholz. "Kanzler wird in Deutschland der, der eine Mehrheit im Deutschen Bundestag hinter sich hat." Zugleich umwirbt Laschet die potenziellen Regierungspartner Grüne und FDP. Ein Jamaika-Bündnis könne zu einer "gesellschaftlichen Breite" beitragen. Deutschland müsse modernisiert werden und brauche eine "Koalition für mehr Nachhaltigkeit". Mit der FDP teile die Union etwa das Anliegen wirtschaftlichen Wachstums, mit den Grünen das Engagement für den Wandel zu einem klimaneutralen Industrieland.

Sogar Unions-Anhänger sind für Rücktritt von Laschet


Doch in der Bevölkerung verliert Laschet zunehmend an Rückhalt. 70 Prozent der Deutschen sind dafür, dass er nach der Niederlage der Union bei der Bundestagswahl als CDU-Chef zurücktritt. Das geht aus einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag dieser Redaktion hervor. Selbst die Anhänger der Unionsparteien sind zu 51 Prozent mehrheitlich für einen Laschet-Rücktritt. Das Institut hat dazu 5.014 Menschen noch am Sonntag und am Montag befragt. Nur 19 Prozent unterstützen Laschets Regierungsvorhaben, elf Prozent sind unterschieden.


Auch in der eigenen Partei bröckelt der Rückhalt. Zwar forderte am Montag niemand bei den Gremiensitzungen Laschets Rücktritt. Aber viele machten deutlich, dass das schlechte Ergebnis nicht ohne Folgen bleiben darf. "Es gibt noch viel zu diskutieren", sagte der Berliner CDU-Chef Kai Wegner hinterher warnend.
"Das Land hat sich entschieden", sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Gitta Connemann dieser Redaktion: "Die Mehrheit der Wähler hat uns das Vertrauen entzogen."

In punkto Regierungsbildung seien daher jetzt „erst einmal die anderen am Zug". Der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke sieht hingegen in einer Jamaika-Koalition "eine Chance für das Land und für die Partei". Im Wahlkampf sei der Eindruck entstanden, die Union habe "keine Antenne für kleine Leute", was man teuer bezahlt habe. "Mit den Grünen als Partner könnten wir dort neues Profil gewinnen", hofft Radtke.

Für Laschet kommen harte Wochen


Aus München kommen widersprüchliche Signale
Aus München kamen am Montag widersprüchliche Signale. Dort tagte das Präsidium parallel zur CDU-Spitze. Nach dem schlechten Abschneiden der Union bei der Bundestagswahl habe diese keinen zwingenden Anspruch auf die Regierungsbildung, sagte CSU-Chef Markus Söder Teilnehmern zufolge. Man werde vielmehr ein Angebot machen, aber sich nicht "um jeden Preis" bei Grünen und der FDP "anbiedern".


In der anschließenden Pressekonferenz markierte Söder seinen Führungsanspruch für eventuelle Sondierungen: "Die Gespräche führt nicht einer allein." CSU-Spitzenkandidat Alexander Dobrindt machte zeitlich Druck. Es müsse in "wenigen Wochen" entschieden sein, ob es zu Koalitionsgesprächen unter Beteiligung der Union komme: "Man kann sich da keine Hängepartie leisten."
Laschet droht die erste schwere Schlappe
Für Laschet könnten die kommenden Wochen die härtesten seines Lebens werden: Will er sein politisches Überleben sichern, muss ihm ein Jamaika-Bündnis gelingen. Doch seine Kritiker werden nicht schweigen.

"Wir brauchen in der Union eine andere Kultur"


Einen Vorgeschmack gab es bereits am Wahlabend von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Das Wahlergebnis sei "ein Erdbeben" und zeuge von einer klaren Wechselstimmung, sagte er dem "Mitteldeutschen Rundfunk". Ihm erschließe sich deshalb die Haltung der Parteiführung nicht, nun von einem Auftrag für eine Regierungsbildung zu sprechen.
Wie es für Laschet weitergeht, wird sich am Dienstag bei der ersten Sitzung der neuen Bundestagsfraktion zeigen.

Eigentlich hatte er sich mit der CSU darauf verständigt, dass zunächst kein neuer Fraktionschef gewählt wird und der bisherige Vorsitzende Ralph Brinkhaus kommissarisch weitermacht. Damit hätte sich Laschet die Chance offen gehalten, im Falle von gescheiterten Sondierungen Oppositionsführer zu werden. Aber davon wollte Brinkhaus nichts wissen: Er will sich schon am Dienstag zur Wahl stellen. Für Laschet wäre das eine erste Schlappe.


Karin Prien, Mitglied im CDU-Bundesvorstand und Bildungsministerin von Schleswig-Holstein, hält noch einen anderen Punkt für entscheidend: "Wir brauchen in der Union eine andere Kultur. Wenn es uns nicht gelingt, wieder zu einem vertrauensvollen Umgang zurückzukehren und auf das Durchstechen von Informationen und öffentlichen Angriffen gegen die Führung zu verzichten, werden wir nicht gewinnen."