Berlin. Wie lange die Koalitionsverhandlungen nach der Wahl dauern, ist völlig unklar. Wird Merkel auch die nächste Neujahrsansprache halten?

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, mit 25,7 Prozent der Zweitstimmen stolzer Wahlsieger der Bundestagswahl, hat ein klares Ziel: Spätestens Weihnachten soll die Bundesrepublik eine neue Regierung haben, erklärte er am Wahlabend. Unter seiner Führung natürlich. Wenn sich die Koalitionsgespräche aber hinziehen, wie 2017 beispielsweise, dann müssen die Redenschreiber von Bundeskanzlerin Angela Merkel wohl nochmal ran – und die Neujahrsansprache 2022 der Kanzlerin formulieren.

Es sieht danach aus, als ob die Parteien Zeit bräuchten. Denn rein rechnerisch reicht das Wahlergebnis nicht nur für eine Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen, sondern auch für ein Jamaika-Bündnis, das Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet trotz herber Verluste bei der Wahl gern mit Grünen und FDP schmieden würde. Die beiden kleinen Parteien haben also freie Partnerwahl – und so etwas kann dauern. Lesen Sie dazu auch: Welche Koalitionen sind realistisch?

Die alte Regierung bleibt, bis eine neue steht

Die alte Bundesregierung – mit Kanzlerin, Ministerinnen und Ministern – bleibt bis dahin erst einmal geschäftsführend im Amt. Was diese Regierung darf, regelt Artikel 69 des Grundgesetzes. Sie darf alles, denn ein Führungsvakuum soll es nicht geben, egal wie lange es dauert, bis jemand Neues ins Kanzleramt einzieht.

Nach einer Bundestagswahl muss nach 30 Tagen das neue Parlament zu seiner konstituierenden Sitzung zusammentreten. Gibt es bis dahin noch keine Einigung über eine neue Koalition, muss die alte weitermachen. Doch der Betrieb fährt dann runter. Weitreichende Entscheidungen könnten rein rechtlich zwar getroffen werden, das passiert aber in dieser Zeit nicht mehr.

Bundespräsident ermahnte die Parteien

Bei der vergangenen Bundestagswahl 2017 dauerte es fast ein halbes Jahr, bis die neue Große Koalition in trockenen Tüchern war. Auch damals wurden zahlreiche Bündnisvarianten durchgespielt – auch Jamaika, die dann aber an der FDP scheiterte. Christian Lindner, damals wie heute Vorsitzender der Liberalen, entschloss sich, besser nicht zu regieren, als schlecht, wie er damals sagte. Das traf auch die Grünen hart, die ihre Regierungsträume aufgeben mussten.

Danach erinnerte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit mahnenden Worten die Parteien an ihre Pflicht – die SPD ließ sich "verpflichten" und stieg wieder ein in die von ihr in weiten Teilen so ungeliebte Große Koalition. Erst im Februar 2018 stand die neue Regierung.

Merkel könnte an Kohl vorbeiziehen

Ob es diesmal schneller geht? Expertinnen und Experten wie die Politologin Professor Andrea Römmele glauben das nicht. Sie prognostizierte schon vor der Wahl im Interview mit dem SWR, dass die Regierungsbildung so lange dauern werde, dass die "Neujahrsansprache von der jetzigen Kanzlerin kommen werde". Das wäre dann eine echte Abschiedsrede und die Krönung eines Rekords.

Denn sollte sich die Regierungsbildung bis zum 17. Dezember hinziehen, übertrumpft Merkel den bestehenden Rekord von Helmut Kohl als am längsten amtierender Regierungschef der Bundesrepublik: Kohl regierte von 1982 bis 1998 im Kanzleramt, niemand vor ihm war länger dort. Am 17. Dezember 2021 würde Merkel an ihm vorbeiziehen.