Meseberg. Die Regierung will weitere Milliarden ausgeben, um Bürgern wie Unternehmen in der Gaskrise zu entlasten. Doch viele Details sind offen.

Bis nach Mitternacht haben die Ministerinnen und Minister im Garten von Schloss Meseberg zusammengesessen. Es gab Gegrilltes, auch Vegetarisches. Irgendwann wurde es kühl und Decken wurden ausgeteilt. Das Kabinett habe den Aufenthalt im Gästehaus der Bundesregierung im Norden Berlins genutzt, um sich „unterzuhaken“, erzählt Kanzler Olaf Scholz (SPD) zum Abschluss der zweitägigen Klausur. „Die Regierung arbeitet sehr gut zusammen, wie man auch hier in Meseberg sinnlich erfahren konnte.“

In den vergangenen Tagen war zu erfahren gewesen, dass die Koalition nervös ist. Die Debatte um die weiteren Entlastungen für Bürger und Unternehmen strapaziert die Nerven, die Spannungen traten in öffentlichen Äußerungen zutage, in denen sich die Regierungspartner öffentlich attackierten. Die Kritik richtete sich auch direkt gegen den Kanzler.

Bei schönstem Sonnenschein berichtet Scholz nun am Mittwoch gemeinsam mit Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) über die Gruppentherapie in dem weißen Barockschloss.

Drittes Entlastungspaket: Die Regierung muss noch rechnen

Ihr erkennbares Anliegen: für Beruhigung zu sorgen. Habeck versichert, „wie gut es ist“, dass Olaf Scholz diese Regierung führe. „Mit seiner Erfahrung, mit seiner Umsicht, mit seiner Ruhe führt er dieses Land sicher, und ich bin froh, dass es genauso ist“, schwärmt der Vizekanzler weiter. „Dass es da mal ab und an öffentlichen Austausch gibt, ist unvermeidlich“, erklärt Lindner. Die Arbeit in der Koalition sei „kollegial und gut“.

Christian Lindner, Olaf Scholz und Robert Habeck stellen die Ergebnisse der Kabinettsklausur vor.
Christian Lindner, Olaf Scholz und Robert Habeck stellen die Ergebnisse der Kabinettsklausur vor. © Getty Images | Sean Gallup

An die Bevölkerung gerichtet lautet die Botschaft des Kanzlers: Diese Regierung sorgt dafür, das Land und seine Menschen trotz hoher Energiepreise und unsicherer Gasversorgung „gut durch den Winter“ kommen. Doch die große Frage, wie das dritte Entlastungspaket für Bürger und Unternehmen aussehen soll, bleibt auch nach den beiden Tagen in Meseberg unbeantwortet. Scholz beteuert zum wiederholten Mal, dass hinter den Kulissen intensiv daran gearbeitet werde und die Regierung ihre Pläne bald vorstelle. Lesen Sie auch: Kanzler in der Krise: Zahlreiche Baustellen für Olaf Scholz

„Wir arbeiten am großen Bauwerk, und die Architektur dieses Bauwerks hängt eben von allen Einzelteilen ab, die aber nur zusammen eine gute Konstruktion ergeben“, sagt der Kanzler. Mehrfache Nachfragen auf der Pressekonferenz, wann das Gebäude schlüsselfertig sei, wie die Fundamente aussehen sollen, beantworten Scholz, Lindner und Habeck nicht.

Lindner stellt weitere Milliarden in Aussicht

Sozialverbände, Unternehmen und viele Bürger, die angesichts der dramatisch in die Höhe schießenden Preise für Energie mit großer Sorge auf den Winter gucken, warten ungeduldig auf eine Ansage der Regierung. Es werde noch gerechnet, verlautet am Rande der Klausur. Zudem müsse noch ein Termin für einen Koalitionsausschuss festgelegt werden. In dem Gremium kommen die Spitzen aus Regierung, Fraktionen und Parteien der Ampel-Koalition zusammen.

Die Runde soll sich final über das dritte Entlastungspaket beugen und es dann beschließen. Am Wochenende, spätestens am Montag, könne der Koalitionssauschuss tagen, heißt es.

Das Bundeskabinett während seiner Sitzung im Barockschloss Meseberg.
Das Bundeskabinett während seiner Sitzung im Barockschloss Meseberg. © Getty Images | Pool

Die bisherigen beiden Entlastungspakete summieren sich auf rund 30 Milliarden Euro. Lindner stellt in Meseberg in Aussicht, dass der Bund in diesem Jahr noch einmal Entlastungen in einem einstelligen Milliardenbereich auf den Weg bringen könne.

Im kommenden Jahr gebe es dann, unter Beteiligung der Länder, noch einmal Spielraum für einen zweistelligen Milliardenbetrag. „Wir brauchen ein wuchtiges Paket für Entlastungen in der ganzen Breite der Gesellschaft“, sagt Lindner. Scholz verspricht ein „maßgeschneidertes Entlastungspaket“.

Bürgergeld soll Hartz-IV ablösen, Debatte um Nachfolge für 9-Euro-Ticket

Klar ist bereits, dass die Koalition besonders Menschen mit wenig Einkommen helfen will, dazu gehören ausdrücklich auch Rentner. Grundlegende Änderungen sind bei den Sozialleistungen vorgesehen: Das neue Bürgergeld soll das Hartz-IV-System ablösen, die Regelsätze sollen steigen.

Die Koalition will zudem mehr Menschen als bisher das Wohngeld zahlen und dabei auch die hohen Heizkosten berücksichtigen. SPD und Grüne wollen weitere Einmalzahlungen durchsetzen, die Bedürftigen schnell helfen. Die FDP setzt vor allem auf Steuersenkungen.

Unklar ist auch noch, ob Pendler nach dem Auslaufen des Tankrabatts weitere Unterstützung bekommen. Finanzminister Lindner ist inzwischen offen dafür, eine Nachfolgelösung für das 9-Euro-Ticket mit Mitteln des Bundes zu unterstützten – wenn auch die Länder ihren Beitrag zur Finanzierung leisten. Sowohl Tankrabatt als auch 9-Euro-Ticket gelten am Mittwoch letztmals.

Olaf Scholz, Christian Lindner und Robert Habeck nach der Pressekonferenz.
Olaf Scholz, Christian Lindner und Robert Habeck nach der Pressekonferenz. © dpa | Kay Nietfeld

Bundesregierung will in den Strommarkt eingreifen

Neben dem Entlastungspaket plant die Bundesregierung zudem einen tiefen Eingriff in den Strommarkt, um die Preisexplosion zu bremsen. Nach den derzeitigen Regeln steigt durch die hohen Gaspreise auch der Strompreis, da das teuerste Kraftwerk am Markt den Preis für alle Produzenten bestimmt. Ist dies ein Gaskraftwerk, erhalten etwa auch Solarkraftunternehmen den hohen Preis für ihren Strom, obwohl sie wesentlich günstiger produzieren.

Es müsse die „Wurzel der Probleme“ angegangen werden, sagt Lindner. Dieser „Rendite-Autopilot“ müsse abgeschaltet werden. Habeck zeigt sich zuversichtlich, dass so der Strompreis für Haushalte wie Unternehmen direkt gesenkt werden könne. Dies müsste aber auf EU-Ebene geregelt werden. „Ich glaube, da werden wir schnelle Veränderungen sehen“, sagt Scholz mit Blick auf die Debatte in der EU. „Schneller als sie manchmal mit dem Blick nach Brüssel verbunden sind.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.