Brüssel/Straßburg. Griechische Behörden beschlagnahmen Vermögen von EU-Parlamentsvize Kaili. Aber Abgeordnete warnen: Es gibt weitere Korruptionsfälle.

Im Korruptionsskandal des EU-Parlaments wird der Druck auf die verhaftete Parlaments-Vizepräsidentin Eva Kaili immer größer. Am Montag beschlagnahmte die griechische Anti-Geldwäsche-Behörde Vermögenswerte Kailis in Griechenland: Konten, Schließfächer, Immobilienbesitz und Ähnliches wurden gesperrt – auch die von ihrem ebenfalls inhaftierten Lebensgefährten Francesco Giorgi sowie ihrer Eltern und ihrer Schwester.

Kaili ist nicht nur prominente Europapolitikerin, sondern betreibt nebenher auch eine Immobilienfirma in ihrem Heimatland Griechenland; derzeit sollen in der Firma fünf Objekte registriert sein. Der griechische Justizminister Costas Tsiaras sicherte den belgischen Justizbehörden volle Unterstützung zu, schloss aber auch einen Auslieferungsantrag nicht aus.

Kaili steht unter Verdacht, vom WM-Gastgeberland Katar Bestechungsgelder angenommen zu haben, für die sie im Gegenzug Einfluss auf Parlamentsentscheidungen nehmen sollte. Mit ihr sitzen drei weitere Beschuldigte in Untersuchungshaft, bei Durchsuchungen wurde Bargeld von insgesamt 600.000 Euro beschlagnahmt.

Im EU-Parlament in Straßburg stand am Montag die Absetzung von Kaili als eine von 14 Vizepräsidenten bevor. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola (EVP) beriet mit den Chefs der Fraktionen über einen entsprechenden Antrag, den das Plenum beschließen muss; derzeit ist Kaili, die seit Freitag im Gefängnis sitzt, nur vorläufig von ihren Aufgaben und Befugnissen entbunden.

Abgeordnete warnen: Es wird weitere Korruptionsfälle im EU-Parlament geben

Inzwischen mehren sich im Parlament die Befürchtungen, dass sich der Korruptionsskandal ausweitet. Die belgische Polizei setzt ihre Ermittlungen fort, sie zielen unter anderem auf Aktivitäten von Mitgliedern des EU-Parlamentsausschusses für Menschenrechte.

Am Montag durchsuchten Fahnder erneut Büros im EU-Parlament in Brüssel, wie die belgische Bundesstaatsanwaltschaft mitteilte. Die Durchsuchung wurde vom Chefermittler, dem als sehr erfahrenen geltenden Untersuchungsrichter Michel Claise angeführt, er wurde begleitet von einem Ermittlerteam der Bundeskriminalpolizei. Dabei seien Daten von Computern von zehn parlamentarischen Mitarbeitern beschlagnahmt worden. Insgesamt hat es der Staatsanwaltschaft zufolge seit Beginn der Ermittlungen bereits 20 Durchsuchungen gegeben.

Die Vizechefin des Menschenrechtsausschusses und Vorsitzende der Delegation für die Beziehungen zur Arabischen Halbinsel, Hannah Neumann (Grüne), sagte unserer Redaktion: „Ich fürchte, es wird noch weitere Fälle geben.“ Sie selbst sei immer misstrauisch gewesen und habe etwa Angebote zur Finanzierung von Reisen in die Golfregion durch Botschaften abgelehnt, betonte Neumann. Jetzt müsse intern aufgearbeitet werden, wie auf einzelne Entscheidungen des Parlaments von außen und mit unlauteren Mitteln Einfluss genommen worden sei: „Natürlich nimmt man gerade jedes Gespräch, jede Sitzung rückwirkend unter die Lupe.“

Der sozialdemokratische Abgeordnete Raphaël Glucksmann aus Frankreich, der einen Sonderausschuss zur ausländischen Einmischung in der EU leitet, sagte, er sei davon überzeugt, dass sich weitere Abgeordnete gegen Geld für andere Staaten eingesetzt hätten. Im Blickpunkt steht vor allem die Fraktion der Sozialdemokraten, der auch Kaili und Taraballa angehört.

Der Grünen-Fraktionschef Philipps Lamberts beklagte, viele Sozialdemokraten seien bei Beratungen Ende November gegen eine Resolution zu Menschenrechtsverletzungen und der Fußball-WM in Katar gewesen: „Als die Mehrheit diese Resolution wollte, taten dieselben Sozialisten alles, um sie so milde wie möglich zu fassen.“ Der FDP-Abgeordnete Moritz Körner forderte von den Sozialdemokraten Aufklärung, warum für ihre Fraktion Kailia und Taraballa im Innenausschuss an einer Abstimmung zur Visaliberalisierung für Katar teilgenommen hatten – obwohl sie dem Ausschuss gar nicht angehörten.

EU-Korruptionsskandal: Forderung nach Untersuchungsausschuss

Der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke plädiert bereits für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses: „Wenn bei den Festgenommenen zuhause schon Tüten mit Geldscheinen von mehreren 100.000 Euro gefunden wurden, dann ist das möglicherweise erst der Anfang eines großangelegten Versuchs der Scheichs, die politische Meinung in Brüssel mit ihren Millionen zu beeinflussen“, erklärte Radtke.

Im Parlament wird diese Woche eine turbulente Debatte über Konsequenzen aus dem Skandal erwartet. Einigkeit besteht bereits, dass die Abgeordneten Verhandlungen über die Visaliberalisierung für Bürger Katars bis zur Aufklärung der Vorwürfe vertagen. Zudem steht eine Verschärfung von Transparenz-Regeln in der Diskussion.

In Brüssel richten sich jetzt aber kritische Blicke auch auf die EU-Kommission: Der aus Griechenland stammende Kommissions-Vizepräsident Margaritis Schinas war in den vergangenen Monaten mehrmals in Katar, zuletzt bei der WM-Eröffnung, und hatte sich bei solchen Gelegenheit sehr positiv über die Fortschritte im Golfstaat geäußert. Das sorgt in Brüssel nun bereits für kritische Diskussionen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte dazu, die Kommission werde nun auch ihr Transparenzregister genau prüfen, in dem Treffen ihrer Mitglieder mit Lobbyisten festgehalten sind.

Außenministerin Baerbock fordert restlose Aufklärung des Korruptionsskandals

Am Rande eines EU-Außenministertreffens forderte auch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) „restlose Aufklärung“ des Skandals „mit der vollen Härte des Gesetzes. Es gehe auch um die Glaubwürdigkeit Europas. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell erklärte, bislang gebe es keine Hinweise auf eine Verwicklung von EU-Diplomaten in den Korruptionsskandal. Ob der Auswirkungen auf die Beziehungen zu Katar haben wird, ließ Borrell offen.

Die Golfstaaten-Expertin Neumann wurde deutlicher: Wenn Katar tatsächlich versucht habe, mit hohen Bestechungssummen Mitglieder des EU-Parlaments zu beeinflussen, sei das eine „schwere Belastung für die diplomatischen Beziehungen“. Und für ihre Delegation: „Die geplante Reise nach Katar im Februar haben wir erst einmal auf unbestimmte Zeit verschoben“, sagte Neumann.