Berlin. Nach dem Aus bei der Niedersachsen-Wahl steht die FDP gewaltig unter Druck: Sprengt Lindners angeschlagene Partei jetzt die Ampel?

Christian Lindner presst die Lippen aufeinander. Schluckt mehrmals. Rückt seine Krawatte zurecht. Der Mann steht unter Spannung, als er am Montagmorgen nach der verlorenen Niedersachsenwahl in der Parteizentrale das miese Ergebnis erklären muss. Und vor allem sagen muss, wie es jetzt in der Ampel weitergeht. Dass es erstmal weitergeht, steht für den FDP-Chef fest. Aber es wird nicht einfach. Im Gegenteil.

Es ist ein Déjà-Vu. Zum vierten Mal in diesem Jahr hat die die FDP eine Landtagswahl krachend verloren. Es ist eine verheerende Bilanz, nach einem Jahr Ampel-Koalition im Bund. Und nun? Wie reagiert eine Partei, die mit dem Rücken zur Wand steht?

Umfragen: Die FDP steht im Bund zwischen sechs und acht Prozent

Nach den Niederlagen im Frühjahr, bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, hieß Lindners Devise: Sichtbarer werden, aber die Koalition nicht gefährden. Die lautstarke Forderung nach längeren AKW-Laufzeiten, das unbedingte Festhalten an der Schuldenbremse, eine erzliberale Corona-Politik – damit wollten die Liberalen punkten. Vergeblich. In Niedersachsen flogen sie aus dem Landtag, im Bund liegen sie in Umfragen aktuell zwischen sechs und acht Prozent – nach 11,5 bei der Bundestagswahl.

Für Lindner gibt es nun drei Möglichkeiten aus der Klemme zu kommen. Erstens: Ausstieg aus der Koalition. Zum jetzigen Zeitpunkt schließt er das aus. Zu groß wäre der Langzeitschaden für die Partei, die erklären müsste, warum sie inmitten von Kriegsangst und Energiekrise auch noch eine Regierungskrise auslöst. Zweitens: Den Kurs neu ausrichten. Das kommt für Lindner ebenfalls nicht in Frage: „Die FDP hat ein klares politisches Profil. Sie weiß was sie will und wer sie ist. Wir sind mit uns im Reinen“, sagt Lindner am Montagmorgen.

Bleibt also die dritte Variante: Kurs halten, aber noch mehr Gas geben, das parteipolitische „Profil stärken“, die „Positionslichter der FDP anschalten“. Für die Regierungspraxis heißt das: Die FDP war für SPD und Grüne nie ein einfacher Koalitionspartner, jetzt wird sie richtig anstrengend.

Lindners Botschaft: Macht euch auf Streit gefasst

Die erste Kostprobe liefert Lindner gleich ab: Nicht die FDP habe ein Problem, ihr Leitbild sei „unverändert aktiv und attraktiv“, erklärt der Parteichef und Finanzminister selbstsicher. „Die Ampel insgesamt hat an Legitimation verloren.“ Die Verluste von SPD und FDP in Niedersachsen würden nicht aufgewogen durch die Zugewinne bei den Grünen.

„Insofern hat nicht die FDP ein Problem, sondern die Ampel insgesamt muss sich der Herausforderung stellen, für ihre Politik mehr Unterstützung in Deutschland zu erreichen.“ Aus Sicht der FDP müsse die Koalition die Balance von sozialem Ausgleich, ökologischer Verantwortung und wirtschaftlicher Vernunft neu austarieren. Heißt: Macht euch auf Streit gefasst.

Innerparteilich trifft Lindners Kurs vorerst auf Zustimmung, doch es brodelt gewaltig. Für viele Anhänger ist die Zusammenarbeit mit SPD und Grünen eine Zumutung. Die FDP, sagt Lindner am Wahlabend, werde inzwischen missverstanden als eine Partei „links der Mitte“. Viele Unterstützerinnen und Unterstützer der Partei fremdelten mit dieser Koalition, die meisten Wähler verlor die FDP an AfD und CDU. Besonders drastisch drückt es der ehemalige FDP-Staatssekretär Thomas Sattelberger auf Twitter aus: „Mir blutet das Herz! Die Ampel-Koalition ist politische Vergewaltigung der FDP.“

FDP: Strack-Zimmermann ruft Partei zu „professioneller Arbeit“ auf

FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann dagegen rief ihre Partei am Morgen zu einer verantwortungsvollen Regierungsarbeit auf: „Deutschland steht vor unvorstellbaren historischen Herausforderungen. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns professionelle Arbeit und Antworten innen- wie außenpolitisch“, sagte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses dieser Redaktion. „Dem werden wir in Verantwortung auch weiter gerecht.“

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Und wenn nicht? Wenn die Stimmen lauter werden, die die Ampel lieber heute als morgen sprengen würden? Lindner setzt vorläufig auf seine Autorität als unangefochtener Parteichef: „Ich führe die FDP und mein Führungsanspruch ist, dass wir Schaden von diesem Land abwenden.“

Olaf Scholz: Der Kanzler muss stärker als bisher auf Befindlichkeiten achten

Damit ist er nicht allein. Auf Bundeskanzler Olaf Scholz kommt inmitten der Krise nun die Aufgabe zu, deutlich stärker als bisher die Befindlichkeiten innerhalb der Koalition zu moderieren. Angesprochen auf die mauen Umfragewerte des Kanzlers und der SPD verwiesen Sozialdemokraten bereits in den vergangenen Wochen darauf, dass es eben keine dankbare Aufgabe sei, diese Regierung der ungleichen Partner zu führen.

Noch mehr Fingerspitzengefühl und Überzeugungskraft braucht der Kanzler nun aber nicht nur gegenüber der angeschlagenen FDP. In manchen Punkten war Scholz bisher Lindner näher als der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken – etwa bei der Schuldenbremse. Geht Scholz also zu weit auf die FDP zu, riskiert er, die zuletzt bemerkenswerte Geschlossenheit der SPD aufs Spiel zu setzen.

Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil äußerte am Montag Verständnis für die bittere Lage der FDP. Gleichzeitig warnte er davor, das Heil nun im Konflikt mit den Ampel-Partnern zu suchen. Klingbeil kritisierte die öffentlich ausgetragenen Konflikte der vergangenen Wochen. „Es sind wahnsinnig turbulente Zeiten“, sagte der SPD-Chef. „Die Antwort darauf ist nicht, dass wir uns beharken. Sondern die Antwort ist, dass wir uns unterhaken.“ Eine Regierung müsse zusammenarbeiten, damit alle Partner erfolgreich seien.

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Grünen-Chef Nourpiour: Warnung vor „rituellen Kämpfen“

Die Grünen versuchten am Montag den Spagat, sich über ihre Erfolge in Niedersachsen zu freuen, ohne dabei im Bund allzu fröhlich auszusehen. Parteichef Omid Nouripour hob hervor, dass er das Ausscheiden der FDP aus dem Landtag bedauere, viele Grüne hatten der strauchelnden FDP am Wahlabend ausdrücklich die Daumen gedrückt.

Doch inhaltliche Trostpflaster wollen die Grünen deshalb nicht verteilen. Ratschläge an die FDP stünden ihm nicht zu, sagte Nouripour. Und doch klangen manche Sätze genau danach: „Was wir sehen ist, dass in diesen Zeiten die Leute Lösungen sehen wollen“, sagte Nouripour. In den letzten Monaten habe die Koalition „zu viele rituelle Kämpfe“ ausgefochten.

Bedingt gesprächsbereit: Grünen-Parteichef Omid Nouripour will auf die FDP zugehen.
Bedingt gesprächsbereit: Grünen-Parteichef Omid Nouripour will auf die FDP zugehen. © dpa | Kay Nietfeld

Wenn die FDP an einigen Punkten nachjustieren wolle, werde man sich zusammensetzen und das besprechen, sagte der Grünen-Chef, signalisierte aber auch: Die Gesprächsbereitschaft kennt Grenzen, und die verlaufen unter anderem beim Thema Atomkraft. „Die Frage der Laufzeitverlängerungen ist keine Option“, sagte Nouripour.

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Atomkraft: Die AKW-Frage wird zum Stresstest für der Ampel

Das sehen Lindner und die FDP allerdings anders. „Wir befinden uns in einem Energiekrieg. Physikalisch und ökonomisch spricht alles dafür, die Kapazitäten der sicheren Kernkraftwerke für diese Krise ans Netz zu holen“, stellte Lindner am Montag klar. „Deshalb halten wir an unserer Position unabhängig vom Wahltag fest.“ Die AKW-Frage – sie könnte der nächste Stresstest für die Ampel sein, an dem die FDP allen im Land beweisen will, wie standhaft sie ist.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de