Berlin. Die Ukraine fordert jetzt Kampfjets. Der Westen darf nicht liefern, sonst überschreitet er die rote Linie. Kiew braucht Realismus.

Es kommt nicht überraschend, irritierend ist es trotzdem: Kaum haben Deutschland und seine Nato-Partner der Ukraine Kampfpanzer zugesagt, präsentiert die Regierung in Kiew neue Forderungen. Präsident Selenskyj verlangt nun auch die Entsendung von Kampfflugzeugen.

Die Leopard-Panzer seien „nur ein erster Schritt“, sekundiert Vize-Außenminister Melnyk: Er drängt Europa und die USA zu einer „Kampfjet-Koalition“ für Eurofighter, Tornados und amerikanische F-35-Bomber, bestellt gleich noch U-Boote und Kriegsschiffe dazu, alles bitte schneller als bisher. Mit dieser Reaktion tut sich die ukrainische Führung keinen Gefallen. Sie scheint alle jene Skeptiker zu bestätigen, die vor einer Rutschbahn bei den Waffenlieferungen warnen.

Deutschland hilft so viel wie kein anderes Land auf dem Kontinent, aber Kiew will immer noch mehr. Man kann die Verzweiflung der Ukraine gut verstehen, die sich im Überlebenskampf den russischen Angreifern entgegenstemmt und dabei auf westliche Unterstützung angewiesen ist. Aus ukrainischer Sicht ist es ein legitimes Ziel, uns nach und nach in den Krieg mit Russland hineinzuziehen.

Aber genauso legitim ist es für Deutschland und seine Partner, klare Grenzen für das Engagement zu markieren. Unsere Interessen sind eben nicht identisch: Deutschland und die Nato dürfen nicht zur Kriegspartei werden, die Gefahr eines Dritten Weltkriegs ist viel zu groß.

Warum der Westen mit der Lieferung von Kampfjets eine rote Linie überschreiten würde

Mit der Lieferung von Kampfpanzern ist diese Grenze nicht überschritten, auch wenn die Kreml-Propaganda jetzt etwas anderes behauptet. Die Kampfpanzer braucht die Ukraine, um die erwartete russische Frühjahrsoffensive zu stoppen, eine Niederlage abzuwenden und vielleicht auch die Besatzer aus einigen Gebieten zurückzudrängen.

EU-Korrespondent Christian Kerl.
EU-Korrespondent Christian Kerl. © Funke | Privat

Viel spricht dafür, dass daraus bald ein militärisches Patt wird, das den Weg ebnen könnte für Waffenstillstands-Verhandlungen. Die Bereitstellung von Kampfjets aber wäre etwas ganz anderes, ein großer Schritt über die rote Linie: Es handelt sich um Offensivwaffen, die tief in Russlands Territorium reichen würden, auch nach Moskau. Wegen der aufwendigen Versorgungskette von Übergabe, Instandhaltung bis zur technischen Unterstützung wäre zudem eine aktive Beteiligung von Nato-Soldaten kaum zu kaschieren.

Hiesige Geheimdienste warnen seit Kriegsbeginn, die Entsendung von Kampfjets könne der Kreml als Bedrohung und Eskalation verstehen, die eine direkte Konfrontation zwischen Russland und Nato wahrscheinlicher macht.

Deutschland muss sein Ziel bei der Waffenhilfe formulieren

Gut, dass Kanzler Scholz der Forderung eine klare Absage erteilt hat. Dabei muss es bleiben. Aber es genügt nicht: Die Bundesregierung kann sich nicht mehr lange vor der Antwort drücken, was genau Deutschlands Ziel bei der Waffenhilfe für die Ukraine sein soll. Wie soll der Krieg beendet werden? Dass die Ukraine die Atommacht Russland in naher Zukunft besiegen, aus allen Gebieten einschließlich der Krim vertreiben könnte, wie es Selenskyj verkündet, halten fast alle Militärexperten für aussichtslos – es sei denn, der Westen gibt alle Vorsicht auf und stellt sein gesamtes Waffenarsenal gegen Russland zur Verfügung.

Weil das als Option ausfallen müsste, führt früher oder später kein Weg an einer Verhandlungslösung zur Beendigung des Kriegs vorbei. Schmerzhafte Zugeständnisse der Ukraine sind dann kaum vermeidbar. Selenskyjs neue Forderungen sind der Versuch, sich noch einen Moment gegen diese Einsicht zu stemmen. Nachvollziehbar ist das schon. Unterstützen dürfen wir es nicht.

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