Berlin. Die Ukraine leitet weniger Gas aus Russland nach Westen. Ein Warnsignal. Daraus muss Deutschland Konsequenzen ziehen, meint unser Autor.

Mühsam nährt sich das Eichhörnchen. Seitdem die kalten Wintertage vorbei sind, steigen die Füllstände der Gasspeicher in Deutschland wieder langsam an. Jeder Kubikmeter mehr gibt ein Stück mehr Sicherheit, dass wir im kommenden Winter nicht im Kalten sitzen und in der Industrie die Lichter ausgehen.

Zwar war der Winter in diesem Jahr nicht besonders kalt. Aber wegen des aufziehenden Konflikts um die Ukraine waren die Reserven schon im Herbst geringer als üblich. Auch mit aktuell rund 39 Prozent Füllstand lagert in den unterirdischen Kavernen weniger Gas als in anderen Jahren zu diesem Zeitpunkt. Aber immerhin – die Speicher füllen sich langsam wieder.

Energie: Ist die Gasversorgung Deutschlands tatsächlich nicht gefährdet?

Doch jetzt passiert das Unerwartete. Aus Sicherheitsgründen schaltet die Ukraine eine wichtige Gaspipeline in einem russisch besetzten Gebiet in der Region Luhansk ab. Die Leitung steht für ein Drittel des gesamten Gastransports von Russland durch die Ukraine Richtung Westen. Der Ernstfall ist da.

Nun beteuern in Deutschland alle offiziellen Stellen, dass durch die neuen Entwicklungen in der Ukraine die Gasversorgung hierzulande nicht akut gefährdet sei. Stattdessen lasse sich kurzfristig mehr Erdgas aus den Niederlanden und Norwegen importieren. Zudem fließen durch die wichtige Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 weiter große Mengen Erdgas nach Deutschland.

Doch der Vorfall zeigt, wie drängend die Frage der Gasversorgung ist, wie viele Unwägbarkeiten es dabei gibt – und dass wir bei dem Thema nicht nur auf den Kriegstreiber Russland schauen müssen. Auch die Transitländer Ukraine und das moskauhörige Belarus spielen hier eine wichtige Rolle. Sie können Europa ebenfalls den Gashahn aus verschiedensten Gründen zudrehen.

Alexander Klay, Wirtschaftskorrespondent
Alexander Klay, Wirtschaftskorrespondent © Reto Klar | Reto Klar

Abhängigkeit von Russland: Deutschland steckt bei der Gasversorgung in der Klemme

Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine arbeiten die EU-Länder mit Hochdruck daran, sich aus der Abhängigkeit von russischer Energie zu lösen. Mit einem möglichst schnellen Ausstieg aus Lieferungen von Kohle, Öl und Gas will der Westen verhindern, dass er mit seinen Milliardenzahlungen weiterhin den Krieg von Russlands Präsident Wladimir Putin finanziert.

Bei Kohle und Öl funktioniert der Wechsel zu neuen Bezugsquellen erstaunlich schnell. Beide Energieträger lassen sich vergleichsweise einfach auf dem Weltmarkt besorgen und per Schiff nach Deutschland bringen. Nur beim Gas steckt Europa wegen der besonders großen Importmengen aus Russland, mangelnder alternativer Quellen sowie fehlender Infrastruktur und Transportmöglichkeiten in der Klemme – und wird sich nicht so schnell aus der Abhängigkeit lösen können.

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Aber die Uhr tickt. Mit einer weiteren Zuspitzung des Kriegs in der Ukraine könnte es ohne Vorwarnung zu weiteren Einschränkungen beim Gastransport kommen. Auch könnte Russland unvermittelt den Export einstellen – oder die EU sich zu einem sofortigen Gasembargo gezwungen sehen.

Deutschland würde das hart treffen. Am Gas hängen Heizungen in Millionen Haushalten. Auch die chemische Industrie ist auf den Energieträger angewiesen. Und in der Glasherstellung geht ohne Gas im wahrsten Sinne des Wortes der Ofen aus – Zigtausende Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel, wenn es zu ernsten Einschnitten bei der Versorgung kommt.

Daher muss die Regierung alles daransetzen, dass die Unabhängigkeit von russischem Gas noch früher als geplant gelingt. Parallel muss sie die Energiewende massiv vorantreiben. Klimaneu­tral produzierter Wasserstoff etwa kann Erdgas in vielen Fällen ersetzen – und damit die Abhängigkeit von Energie-Importen reduzieren.

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