Berlin/Kiew. Neue Angriffe Russlands auf ukrainische Städte machen deutlich: Die einseitig von Moskau ausgerufene, brüchige Waffenruhe ist vorbei.

Nach Auslaufen der einseitig von Kremlchef Wladimir Putin ausgerufenen Feuerpause in der Ukraine hat das russische Militär das Land wieder stärker unter Beschuss genommen.

In Charkiw kam nach ukrainischen Angaben eine Person bei nächtlichen Angriffen ums Leben. Im Gebiet Donezk wurden die Städte Kramatorsk und Kostjantyniwka von russischen Raketen getroffen - acht Menschen wurden verletzt, eine Person kam ums Leben.

Von einer einseitigen Waffenruhe konnte aber ohnehin keine Rede sein. Moskau hatte bereits am Samstag eingeräumt, weiterhin ukrainische Angriffe zu erwidern - noch während die insgesamt 36-stündige Waffenruhe offiziell in Kraft war.

Ukraine-Krieg: Russland verstärkt Beschuss

Putin hatte sie anlässlich des orthodoxen Weihnachtsfests bis Mitternacht (Ortszeit) von Samstag auf Sonntag angeordnet. Kiew hatte bereits die Ankündigung als Propaganda bezeichnet. Kurz vor dem offiziellen Ende der „Feuerpause“ sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, die Welt habe einmal mehr sehen können, wie falsch Aussagen aus Moskau auf jeder Ebene seien.

Die ukrainische Seite meldete am Sonntag zudem russische Angriffe auf Saporischschja und mehrere Ortschaften im Gebiet Dnipropetrowsk. Das russische Militär attackierte demnach auch ein Stadtviertel von Cherson.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

„Für die Attacke haben sie Brandmunition verwendet“, teilte der Militärgouverneur der Region, Jaroslaw Januschewitsch, in seinem Telegram-Kanal mit. Die Genfer Konvention verbietet den Einsatz von Brandmunition gegen zivile Objekte. Verletzt oder getötet wurde laut Januschewitsch niemand.

Russland und Ukraine tauschen 50 Gefangene aus

Zwischen den beiden Kriegsparteien findet nur noch in einem Bereich Dialog statt: beim Austausch von Gefangenen. Am Sonntag vollzogen Russland und die Ukraine den ersten seit dem Jahreswechsel.

Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau wurden 50 russische Soldaten nach Moskau ausgeflogen. Kiew berichtete, dass auf eigener Seite 33 Offiziere und 17 Mannschaftsdienstgrade befreit wurden.

London: Russland stärkt Verteidigung wohl aus Sorge vor Offensiven

Nach Einschätzung britischer Militärexperten befürchten russische Befehlshaber ukrainische Offensiven in den Regionen Luhansk oder Saporischschja. In den vergangenen Wochen habe Russland seine Verteidigungsstellungen in der Region Saporischschja im Süden des Landes ausgebaut, hieß es am Sonntag im täglichen Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums.

„Die Art, wie Russland an der Verbesserung seiner Verteidigung gearbeitet hat, lässt darauf schließen, dass Befehlshaber sehr wahrscheinlich mit der Möglichkeit großer ukrainischer Offensiven beschäftigt sind - entweder in der nördlichen Region Luhansk oder in Saporischschja.“

Ein Durchbruch ukrainischer Streitkräfte im Gebiet Saporischschja könnte nach Einschätzung der Experten die Funktionsfähigkeit der russischen „Landbrücke“, die die russische Region Rostow mit der Krim verbindet, infrage stellen. Wichtige Bahn- und Straßenverbindungen und damit auch der Nachschub der russischen Truppen in der Region seien dadurch in Gefahr. Ein ukrainischer Erfolg in Luhansk würde Russlands erklärtes Kriegsziel der „Befreiung“ des ostukrainischen Gebiets Donbass weiter untergraben.

Ministerpräsident: Ukraine hat größtes Minenfeld weltweit

Der russische Angriffskrieg hat nach Angaben des ukrainischen Ministerpräsidenten Denys Schmyhal insgesamt ein 250 000 Quadratkilometer großes Minenfeld in seinem Land geschaffen.

„Es ist derzeit das größte Minenfeld weltweit“, sagte Schmyhal in einem am Samstag veröffentlichten Interview der südkoreanischen Nachrichtenagentur Yonhap. Das laut Schmyhal verminte Gebiet entspricht mehr als 40 Prozent der gesamten Landfläche der Ukraine.

Explosion an Gasleitung in Luhansk angeblich Sabotage

Im Ukraine-Krieg haben sich Angriffe auf die Infrastruktur der Gegenseite seit dem Herbst deutlich verstärkt. Vor allem die russischen Angreifer haben die Energieinfrastruktur der Ukraine ins Visier genommen. Am Sonntag nun führten die russischen Besatzer im annektierten Gebiet Luhansk eine Explosion einer Gasleitung auf Sabotage zurück.

Wegen der Sprengung der Leitung am offenen Übergang über einen Fluss sei für 13.315 Kunden in neun Ortschaften die Gasversorgung ausgefallen, teilte der Zivilschutz der russischen Besatzungsmacht im Gebiet Luhansk in sozialen Netzwerken mit. Die Explosion ereignete sich in der Nacht zum Sonntag. Das Feuer konnte erst am Morgen gelöscht werden. Tote und Verletzte gibt es nicht.

UN-Hilfswerk sieht größte Fluchtbewegung seit Zweitem Weltkrieg

Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR hat der Krieg zur größten Fluchtbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg geführt. Das Ausmaß und die Geschwindigkeit seien ohne Beispiel in der Geschichte von Flucht und Vertreibung seit dem Zweiten Weltkrieg, hieß es am Sonntag in einer Mitteilung.

„Mehr als 7,9 Millionen Menschen sind aus dem Land geflohen, weitere 5,9 Millionen sind innerhalb der Ukraine vertrieben“, sagte die UNHCR-Vertreterin in Deutschland, Katharina Lumpp. Knapp 14 Millionen Menschen entsprechen rechnerisch mehr als einem Drittel der Gesamtbevölkerung des Landes von etwa 41 Millionen. (fmg)

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