Berlin. Der Gaspreis ist eingebrochen und liegt aktuell sogar auf Vorkriegsniveau. Was sind die Gründe dafür? Und wie sehen die Prognosen aus?

  • Der Gaspreis ist in den vergangenen Wochen deutlich gefallen
  • Ein erster Experte prognostiziert nun, dass die "akute Energiekrise" vorbei sei
  • Wir erklären, warum die Preise sinken – und was das für Verbraucherinnen und Verbraucher bedeutet

Lange kannte der Gaspreis im Jahr 2022 nur eine Richtung: nach oben. Doch seit Anfang September deutet sich eine gegenteilige Entwicklung an. Inzwischen liegt der europäische Großhandelspreis sogar wieder auf einem Niveau, das mit den Preisen vor Beginn des Ukraine-Kriegs vergleichbar ist: Zuletzt kostete eine Megawattstunde Gas am Handelsplatz TTF in den Niederlanden teilweise unter 70 Euro – so wenig wie das letzte Mal im Februar 2022. Was sind die Gründe für diese Entwicklung? Und gibt es einen weiteren Preisverfall beim Gas?

Preissturz bei Gas: Wie hat sich der Gaspreis entwickelt?

Der Gaspreis ist im Jahr 2022 zuerst stark gestiegen und dann wieder gefallen. Das gilt sowohl für den Großhandel als auch für die Endverbraucherpreise. Deutlich wird das bei einem Blick auf die Preisentwicklung bei den durchschnittlichen Neukundenpreisen:

  • Gaspreis am 1. März: 14 Cent pro kWh
  • Gaspreis am 1. Mai: 15 Cent pro kWh
  • Gaspreis am 1. Juli: 21 Cent pro kWh
  • Gaspreis am 1. September: 40 Cent pro kWh
  • Gaspreis am 1. November: 21 Cent pro kWh
  • Gaspreis aktuell: 16 Cent pro kWh (Stand: 4. Januar)

Die Neukundenpreise beschreiben, wie viel Kundinnen und Kunden beim Abschluss eines neuen Vertrags bezahlen müssen. Bestandskunden bezahlen in der Regel einen vertraglichen festgelegten Preis. Dieser kann sich zwar ebenfalls ändern – er schwankt aber nicht so stark wie die täglichen Neukundenpreise. Lesen Sie auch: Gas und Strom – So teuer ist Energie derzeit in einigen Städten

Kurz vor dem russischen Angriff auf die Ukraine waren die Neukundenpreise etwas geringer als derzeit. Anders sieht es auf dem Großmarkt aus. Dort ist der Gaspreis wieder auf das Vorkriegsniveau gefallen – und liegt teilweise sogar leicht darunter.

Gas – ein begehrtes Gut in diesem Winter. Je mehr gespart wird, desto gesicherter ist die Versorgung.
Gas – ein begehrtes Gut in diesem Winter. Je mehr gespart wird, desto gesicherter ist die Versorgung. © iStock/imaginima | iStock/imaginima

Gaspreis eingebrochen: Was sind die Gründe für den Preisverfall?

Der wichtigste Grund für den Preisverfall beim Gas seien die herausragend milden Temperaturen in Europa, sagt Lion Hirth, Energieexperte von der Hertie School in Berlin. Der Einbruch der vergangenen Wochen, als die Preise von rund 130 Euro pro Megawattstunde auf 70 Euro gesunken seien, liege "an der wohl schlimmsten Hitzewelle, die Europa im Winter je erlebt hat".

Doch schon vor den ungewöhnlich hohen Temperaturen hatte sich die Lage am Gasmarkt ein Stück weit entspannt. Zwischen August und Dezember sanken die Preise deutlich – vor allem, weil viel weniger verbraucht wurde, als Beobachter vorhergesagt hatten. "Die Einsparungen sind viel größer als irgendjemand erwartet hat", sagt Hirth, "vor allem bei Kleinverbrauchern". Insgesamt rund 20 Prozent weniger Verbrauch bei Privatleuten und Industrie seien "bemerkenswert".

Zu Beginn des neuen Jahres sind die Gasspeicher daher noch immer nahezu voll. Laut Bundesnetzagentur waren die Speicher am 3. Januar im Schnitt zu 90,57 Prozent gefüllt. Neu geliefertes Gas, das vermehrt auch per LNG-Tanker in Deutschland und Europa ankommt, konnte überwiegend eingespeichert werden. Unterm Strich steht Europa damit deutlich besser da als noch vor wenigen Monaten erwartet. "Ich bin geneigt zu sagen, dass die akute Energiekrise vorbei ist", so Hirth.

Gaspreis: Sorgen die LNG-Importe für Entspannung?

Tatsache ist aber: Gegen Ende des vergangenen Jahres ist sogar weniger LNG importiert worden, als noch im November und Anfang Dezember. "Allerdings haben sich aufs Gesamtjahr betrachtet die LNG-Importe gegenüber dem Durchschnitt der vergangenen Jahre etwa verdoppelt", erklärt Georg Zachmann vom Brüsseler Thinktank Bruegel. Das habe etwa die Hälfte der wegfallenden russischen Mengen kompensiert. "Ohne viel LNG wird es also auch 2023/24 nicht gehen."

Kerstin Andreae, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft, betont, dass es trotz der sinkenden Preise noch keinen Grund zur Entwarnung gebe. "Aus Russland werden wir vorerst kein Gas mehr erhalten. Gas bleibt dadurch am Weltmarkt knapp und teuer", erklärt sie. Es bleibe deshalb für die Verbraucherinnen und Verbraucher sehr wichtig, so viel Energie wie möglich einzusparen.

Prognose für 2023: Wie wird sich der Gaspreis entwickeln?

"Die Preisentwicklung im Gasgroßhandel ist und bleibt volatil", erklärt Andreae. Wie genau sich der Gaspreis entwickeln wird, ist daher kaum vorherzusagen. Allerdings geht Georg Zachmann davon aus, dass er tendenziell sinken wird – sofern die Gasnachfrage in Europa zurückgeht. Um das zu erreichen, sieht er verschiedene Möglichkeiten:

  • Gaskraftwerke durch Solarpaneele ersetzten
  • von Gasheizungen auf Wärmepumpen umrüsten
  • schlecht gedämmte Fenster erneuern
  • gasintensive Produktionsprozesse umstellen

Für Verbraucherinnen und Verbraucher dürften die Preise kurzfristig sogar steigen. "Für Januar und Februar 2023 haben regionale Grundversorger bisher 511 Preiserhöhungen von durchschnittlich 48 Prozent angekündigt", heißt es vom Vergleichsportal "Verivox". Bei einem Jahresverbrauch von 20.000 kWh entspreche das Mehrkosten von rund 1.108 Euro pro Jahr. Auch interessant: Gas-Deal – Katar gibt Abkommen mit Deutschland bekannt

Wichtig ist aber zu bedenken, dass Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung in den kommenden Monaten dazu beitragen werden, dass der Preis für die Endverbraucher sinkt. "Für Heizkunden gibt es eine Reihe von staatlichen Hilfen, mit denen die Haushalte entlastet werden", erklärt Thorsten Storck, Energieexperte bei "Verivox". "Mit der Dezember-Soforthilfe wurde den Haushalten, die mit Gas oder Fernwärme heizen, der Abschlag erlassen. Hinzu kommt die Preisbremse, die ab März gilt und rückwirkend ab Januar berechnet wird." Dennoch werden die Haushalte laut Storck deutlich mehr als in den Vorjahren bezahlen müssen.

So funktioniert die Gas- und Strom-Preisbremse

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    Was derzeit viele Verbraucherinnen und Verbraucher irritiert, ist die Tatsache, dass die Großhandelspreise für Gas stärker sinken als die Neukundenpreise. Es scheint, als würden die Gasanbieter die niedrigeren Kosten nicht an die Kunden weitergeben. Aber ist das wirklich so?

    "Grundsätzlich haben kurzfristige Schwankungen an den Energiemärkten erst einmal keinen direkten Einfluss auf die Endkundenpreise", erklärt Kerstin Andreae. Um das Risiko stark schwankender Preise zu minimieren, würden sehr viele Versorger das benötigte Gas langfristig in Teilmengen und Schritt für Schritt zu verschiedenen Zeitpunkten beschaffen. "Starke Veränderungen bei den Börsenpreisen wirken sich daher nicht unmittelbar und nicht 1:1 auf den Gaspreis für Endkunden aus." Lesen Sie auch: Strom und Gas – Wechsel in die Grundversorgung lohnt sich oft

    Das Vorgehen der Versorger hat dennoch einen Vorteil: Es "glättet" die Schwankungen beim Preis und sorgt so dafür, dass kurzfristige und besonders hohe Preisanstiege keine negativen Auswirkungen auf die Endverbraucher haben. So hat sich der Gaspreis im Großhandel im Jahr 2022 im Vergleich zu Anfang 2021 zeitweise verzwölffacht – für Endverbraucher stiegt er aber nur um rund das fünffache. Der Nachteil der Strategie: Auch kurzfristig besonders niedrige Preise wirken sich weniger stark aus und die Kunden zahlen bei einer günstigen Marktsituation unter Umständen etwas mehr.