Berlin. Die Pandemie erlaubt kein Zaudern. Nach dem Corona-Fehlstart müssen sich Olaf Scholz und sein Kabinett sehr schnell lernfähig zeigen.

Gäbe es so etwas wie einen Corona-Feueralarm, würde er seit der Entdeckung der Omikron-Variante ununterbrochen und ohrenbetäubend klingeln. Eine neue Variante, möglicherweise ansteckender noch als die bisherigen, und die Impfungen schützen vielleicht weniger gut als bisher gedacht – selbst vorsichtig formuliert lässt sich der Albtraum erahnen, der daraus entstehen kann.

Und der Alarm klingelt in einer Situation, in der das Haus längst in Flammen steht. Die Intensivstationen sind voll, das Personal an der Grenze des Leistbaren und schon darüber.

Kanzler und Kabinett übernehmen – und Omikron rollt heran

Das ist die Situation, in der der neue Kanzler und sein Kabinett ihre Arbeit aufnehmen. Gleichzeitig muss die Ampel-Regierung die aktuelle Welle unter Kontrolle bringen und versuchen, die nächste, die sich schon am Horizont aufbaut, zu brechen, bevor sie ankommt. Lesen Sie dazu:Kabinett: In diese Krisen startet die neue Regierung

Pandemie-Politik ist Politik auf der höchsten Schwierigkeitsstufe. Die richtigen Entscheidungen zu treffen und sie dann, ebenso wichtig, so zu kommunizieren, dass sie Zustimmung finden, ist schon im politischen Normalbetrieb keine einfache Aufgabe. In einer Situation, in der es statt Gewissheiten an vielen Stellen Wahrscheinlichkeiten gibt und mit jeder Antwort auch neue Fragezeichen auftauchen, wird es zur permanenten Bewährungsprobe.

In der Pandemie-Politik hat die Ampel einen Fehlstart hingelegt

Theresa Martus fordert von der Ampel-Regierung eine mutige und vorausschauende Pandemie-Politik.
Theresa Martus fordert von der Ampel-Regierung eine mutige und vorausschauende Pandemie-Politik. © Reto Klar | Reto Klar

Die Pandemie bestraft Zögerlichkeit und jeden Optimismus, der nicht auf Fakten, sondern auf Wünschen basiert. Und die Konsequenzen für ein Scheitern sind drastisch, nicht nur politisch, sondern vor allem menschlich.

Das alles verträgt sich schlecht mit der politischen Kultur in Deutschland, wo Prozesse oft darauf ausgelegt sind, belastbare, konsensorientierte Lösungen zu finden, auch wenn das länger dauert.

Das zeigt der Fehlstart der Ampel-Parteien in der Pandemie-Politik deutlich: Sorgfältig, unter Berücksichtigung vieler Faktoren und auf die Einbindung des Parlaments bedacht, hatten sich die Parteien auf die Abschaffung der epidemischen Lage und eine Neufassung des Infektionsschutzgesetzes geeinigt – nur um dann ohne Verzögerung von der Realität überrollt zu werden, weil die Pläne schon in dem Moment überholt waren, als sie gefasst wurden. Eilig wurde nachgeschärft.

Das Kabinett wird seine Positionen überprüfen und anpassen müssen

Ein zweites Mal wollte man das vermeiden, sich nach der Vorstellung des Koalitionsvertrags ausreichend Zeit nehmen für eine wohlüberlegte Reaktion auf die steigenden Infektionszahlen. Und wieder zerbröselte der zurechtgelegte Plan unter dem Druck der Realität, die Verschärfungen der Maßnahmen kamen, lang bevor die ausgebetene Bedenkzeit um war.

Wollen die Ampel-Parteien eine dritte Wiederholung dieses Schauspiels vermeiden, müssen sie bald zwei Fähigkeiten entwickeln, die im politischen Alltag selten belohnt werden. Erstens: Das Virus wird sie immer wieder dazu zwingen, die einmal gefassten Positionen zu überprüfen, anzupassen und diese Anpassung dann auch zu erklären – klar begründet und ohne Angst vor dem Vorwurf der Wendehalsigkeit.

Bundeskanzler Olaf Scholz (r.) und sein Gesundheitsminister Karl Lauterbach (beide SPD): Auf sie wird es besonders ankommen, wenn Deutschland wieder vor die Corona-Welle kommen will.
Bundeskanzler Olaf Scholz (r.) und sein Gesundheitsminister Karl Lauterbach (beide SPD): Auf sie wird es besonders ankommen, wenn Deutschland wieder vor die Corona-Welle kommen will. © dpa | Kay Nietfeld

Bestenfalls winkt das Ende der Pandemie – und eine krisenfeste Regierung

Zweitens: Durch die Verzögerung zwischen Ansteckungen und ihren Auswirkungen auf das Gesundheitssystem sind die wirksamsten Entscheidungen gegen Corona die, die getroffen werden, bevor sie notwendig scheinen. Wer Erfolg haben will in der Pandemiebekämpfung, muss vorausschauend denken und handeln, auch wenn das schwieriger ist, als erst in dem Moment zu agieren, wo der Druck unübersehbar wird und die Maßnahmen sich von selbst begründen.

Wenn Olaf Scholz und seine Leute das schaffen, winkt als Belohnung nicht nur irgendwann, hoffentlich, das Ende der Pandemie. Dann haben sie auch gute Aussichten, alle anderen Krisen zu bewältigen.