Erfurt. C. Juliane Vieregge befragt in ihrem Buch 18 Personen über ihr Verhältnis zum Sterben – auch einen Bestatter aus Thüringen.

C. Juliane Vieregge aus Tübingen hat fast zehn Jahre an einem Buch über das Sterben und den Tod gearbeitet. Jetzt ist „Lass uns über den Tod reden“ erschienen. Ein Plädoyer, das Sterben als notwendigen Teil des Lebens anzunehmen – mit allem Schmerz. Die Autorin hat 18 mehr oder weniger bekannte Personen zu ihrem Verhältnis zum Tod befragt – als einzigen Thüringer in dem Buch auch den ehemaligen Bestattungsunternehmer Horst Walther.

Frau Vieregge, warum haben Sie sich für diese biografischen Notizen ausgerechnet das Thema Tod und Sterben ausgesucht?

Das Thema hat mich schon als junge Frau interessiert. Obwohl es gesellschaftlich weitgehend tabuisiert wird. Schreibend setze ich mich damit auseinander, seit vor nunmehr zehn Jahren mein Vater verstorben ist. Ich habe ihn begleitet. Wir hatten aber keine intensive Kommunikation, und es ist mir auch während seines Sterbens nicht gelungen, das große Schweigen wirklich zu durchbrechen. Nach seinem Tod entstanden in mir Schuldgefühle. Ich habe irgendwann andere Menschen zu ihrem Umgang mit dem Tod naher Menschen befragt und viele beeindruckende Geschichten gehört. Und seither weiß ich, dass man die Begleitung Sterbender viel besser machen könnte.

Warum haben Sie so viele bekannte Persönlichkeiten befragt?

Das war die Idee verschiedener Verlage. Sie fanden das Thema zwar interessant, glaubten aber, dass es sich besser über prominente Menschen vermitteln lässt. Verlage wollen ihre Bücher verkaufen, und auch ich als Autorin freue mich über große Resonanz. Also bin ich diesen Weg gegangen. Allerdings war es schwierig, Zusagen für mein Projekt zu bekommen. Ich habe manche Absage einstecken müssen, vor allem von Politikern. Nun aber liegt das Buch ja vor.

Ist für Sie die Angst vor dem Sterben und dem Tod mit der Recherche kleiner geworden?

Nein, das ist leider nicht passiert, wie auch. Vielleicht würde ich mir heute aber eher zutrauen, Menschen im Sterben zu begleiten und dabei weniger Fehler zu machen. Ich habe es bei meinem Vater ja als Mangel empfunden, dass wir nicht viel gesprochen haben. Heute wüsste ich wohl eher, worüber wir reden könnten. Oder ich würde allein sprechen und hoffentlich die richtigen Worte finden.

Sie behaupten in Ihrem Buch, der Tod sei ein Lehrmeister. Woran machen Sie das fest?

Ich glaube, dass man über das Sterben grübelt, indem man über das Leben nachdenkt. Man muss einfach Dinge tun, die man für wichtig hält. Dann fällt der Abschied möglicherweise leichter. Der bevorstehende Tod reduziert auf Wesentliches. Er lehrt, mit Lebenszeit respektvoll umzugehen, ist also Lehrmeister.

Sie sprachen von Ihren Schuldgefühlen. Was sagen Sie Menschen, die nach dem Tod von Angehörigen ebenfalls diese Emotion aushalten müssen?

Für mich war es verblüffend, dass alle Interviewpartner diese Schuldgefühle entwickelt haben. Die Jüdin Ilse Rübsteck beispielsweise fühlt sich allein deshalb schuldig, weil sie im Gegensatz zu ihren Eltern den Holocaust überlebt hat. Es macht sicher Sinn, sich die eigenen Schuldgefühle anzusehen und nach dem rationalen Kern zu schauen. Hat man sich wirklich etwas vorzuwerfen? Vielleicht ist das ja gar nicht der Fall. Es kann auch sein, bei diesen Gefühlen spielt auch die Angst mit, dass man am Ende des eigenen Lebens eine Art Abrechnung erwartet. Manche nennen es das Jüngste Gericht, andere beschreiben es als Schuldenkonto. Ich bin mir durchaus meiner Fehler bewusst und weiß, ich werde wohl am Lebensende einiges bedauern. Ich kann nur versuchen, dass es möglichst wenig ist.

Wie viel Mitgefühl braucht es für die Begleitung Sterbender?

Sehr viel. Es funktioniert nicht, dass man einen Menschen bis zum Tod begleitet, wenn man ihm noch etwas übel nimmt. Das kann keine gute Begleitung werden. Das heißt, ohne Verzeihen geht es nicht. Und man muss während einer solchen Begleitung das eigene Ego weit zurückstellen. Ich als Begleiterin habe zurück zu treten. Vielleicht ist Güte das richtige Wort.

Ist Trauer für Sie eine Abschieds- oder eine Beziehungsemotion?

Es ist für mich beides. Ich trenne das nicht. Trauer ist natürlich in jedem Fall eine Beziehungsemotion, denn ohne Beziehung trauere ich nicht. Zugleich ist es natürlich die Abschiedsemotion, weil ja der mir nahe Mensch gegangen ist.

Haben Sie eine Erklärung dafür, warum angesichts von Krankheit, Sterben und Tod geschwiegen statt gesprochen wird?

Der Tod wird doch in unserer Gesellschaft als eine Störung wahrgenommen, er stört unser normales Leben, meinen wir. Unser Wohlgefühl. Und das ist ja auch tatsächlich so. Deshalb gibt es gibt immer mehr Versuche, dem Tod auszuweichen. Obwohl wir rational wissen, dass das nicht geht. Der Tod weist uns in unsere Schranken, zeigt uns unsere Grenzen – trotz allen Fortschritts. Der Tod wird als Kränkung verstanden.

Welche Kultur der Trauer wünschen Sie sich?

Die Trauer wird in der Gesellschaft vernachlässigt. Ich wünsche mir, dass sie wieder sichtbarer werden darf. Ich wünsche mir auch mehr Möglichkeiten, zu Hause sterben zu dürfen. Und den Mut zu Ritualen. Mir hat vor zehn Jahren der Mut gefehlt, mit meinem Vater zu singen. Vielleicht wäre das ja gut gewesen.

Wie möchten Sie sterben?

Ich kann mir nicht aussuchen, wie ich einmal sterben werde. Aber ich kann jetzt schon dafür sorgen, meine liebsten Menschen nicht zu belasten sondern zu entlasten. Und das kann ich nur durch die Liebe zu ihnen. Sie sollen einmal mit Freude an mich zurückdenken. Das ist es, was ich mir am meisten wünsche.

C. Juliane Vieregge: „Lass uns über den Tod reden“, Ch. Links Verlag, 302 Seiten, 22 Euro