Berlin. Weil die Ampel-Koalition sich bei den Haushaltsverhandlungen nicht einigt, setzt Finanzminister Lindner jetzt Großprojekte auf die Streichliste.

Der bundespolitische Haushaltsstreit der Ampel-Koalition könnte sich womöglich auf das Berliner Stadtbild auswirken. Denn Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) macht bei seinem Sparkurs selbst vor BundeskanzlerOlaf Scholz nicht Halt. „Ich glaube, dass wir für den Haushalt 2024 auch im Bereich der Regierung im engeren Sinne sparen müssen“, sagte der FDP-Chef in einem Fernsehinterview.

Deshalb stellt Lindner jetzt den geplanten Neubau neben dem Kanzleramt infrage. „Ich glaube, dass in Zeiten von mehr Homeoffice und ortsflexiblem Arbeiten ein mindestens 800 Millionen teurer Neubau neben dem Kanzleramt entbehrlich ist“, sagte der Finanzminister. Das Kanzleramt wollte sich auf Nachfrage unserer Redaktion am Donnerstag nicht dazu äußern.

Kritik vom Bund der Steuerzahler

Rainer Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler, sammelte Unterschriften gegen den Ausbau des Bundestags.
Rainer Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler, sammelte Unterschriften gegen den Ausbau des Bundestags. © imago/Gerhard Leber | imago stock&people

Rückhalt bekommt Lindner von Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler: „Eine Verdopplung des Kanzleramts wirkt wie aus der Zeit gefallen – angesichts hoher Schulden, einer lahmenden Konjunktur und anhaltender Hochinflation.“ Holznagel fordert, „das Mega-Projekt“ müsse in dieser Form gestoppt werden.“

Dafür springt der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Dennis Rohde, dem Kanzler bei. Er sagte unserer Redaktion: „Wir gehen davon aus, dass die aktuellen Bauplanungen der Bundesregierung Bestand haben.“ Der Bundesfinanzminister habe die Parlamentarier jedenfalls bis heute über keine Anpassungen informiert. „Im Gegenteil hat Lindner gestern Bauvorhaben im Wert von 1,5 Milliarden Euro in seinem Geschäftsbereich im Haushaltsausschuss beraten lassen“, sagte Rohde.

So viel soll der Anbau des Kanzleramts kosten

Der geplante Erweiterungsbau des Kanzleramts steht schon länger in der Kritik. Bereits im August berichtete unsere Redaktion, dass der geplante Erweiterungsbau um etwa 177 Millionen Euro teurer wird als ursprünglich geplant. In dem Sandsteinbau mit etwa 400 Büros werden 777 Millionen Euro inklusive einer „Risikovorsorge“ für weitere Kostensteigerungen veranschlagt. Das eigentliche Kanzleramtsgebäude, das 2001 vom damaligen BundeskanzlerGerhard Schröder (SPD) bezogen wurde, schlug mit Kosten von 513 Millionen Mark im Bundeshaushalt zu Buche. Das Gebäude wird im Volksmund Bundeswaschmaschine genannt.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP, links) will Kanzler Olaf Scholz (SPD) den Erweiterungsbau des Kanzleramts verwehren.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP, links) will Kanzler Olaf Scholz (SPD) den Erweiterungsbau des Kanzleramts verwehren. © Getty Images | Carsten Koall

Hintergrund von Lindners Vorstoß ist der koalitionsinterne Streit über den Etat des kommenden Jahres. Die Fachminister haben Zusatzwünsche von rund 70 Milliarden Euro angemeldet, für die der Finanzminister keinen Spielraum sieht, wenn die Schuldenbremse eingehalten und auf Steuererhöhungen verzichtet wird. Lindner argumentierte, seit der Corona-Pandemie sei ortsflexibles Arbeiten normaler geworden. Zumindest im Finanzministerium arbeiteten viele Mitarbeiter inzwischen von zu Hause oder unterwegs.

Wer arbeitet im Kanzleramt?

Inzwischen ist die Belegschaft der Regierungszentrale von 410 auf 770 angewachsen, von denen sich 600 in das nur für gut 400 Menschen ausgelegte Gebäude zwängen. Die restlichen 170 verteilen sich auf drei weitere Standorte in Berlin. Um alle Mitarbeiter an einem Ort zu konzentrieren, fiel 2019 die Entscheidung für den Erweiterungsbau – noch unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

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Kanzler Scholz (SPD) entschied sich nach seiner Vereidigung im Dezember 2021, die Planungen fortzuführen. Er verteidigte den Neubau am vergangenen Wochenende. „Ich glaube, dass so eine lange vorbereitete Planung, die jetzt sehr weit fortgeschritten ist, auch zu Ende geführt werden muss“, sagte der Kanzler.

Was ist genau geplant?

Nach Entwürfen des Architekturbüros Schultes und Frank entsteht ein sechsgeschossiger Erweiterungsbau, der als Halbrund die Kubatur des sogenannten Kanzlerparks aufnimmt. Für den Neubau muss unter anderem ein Tunnel durch das Land Berlin neu erschlossen werden.

Im derzeitigen Kanzlergarten sollen eine Kindertagesstätte, ein Hubschrauberlandeplatz und ein abhörsicheres Gebäude für die Mitarbeiter entstehen, die für den Bundesnachrichtendienst zuständig sind. Auf einem angrenzenden bundeseigenen Grundstück wird zudem ein Post- und Logistikbereich gebaut. Der Tunnel soll diesen Logistikbereich mit dem Hauptgrundstück verbinden.

Ein Modell des Erweiterungsbau des Bundeskanzleramt von den Architekten Axel Schultes and Charlotte Frank.
Ein Modell des Erweiterungsbau des Bundeskanzleramt von den Architekten Axel Schultes and Charlotte Frank. © Getty Images | Sean Gallup

Insgesamt soll der Neubau im derzeitigen Kanzlergarten auf der anderen Spreeseite vom Hauptgebäude aus gesehen entstehen und das sogenannte „Band des Bundes“ nach Westen abschließen. Das Band des Bundes ist eine Anordnung von Gebäuden, die im Regierungsviertel von Berlin nördlich des Reichstagsgebäudes quer über den Spreebogen am Rand des Spreebogenparks verläuft. Zu diesem Gebäudeensemble gehören auch zwei Bauten des Bundestags, die sich im Osten an das Kanzleramt anschließen.

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Wie weit sind die Bauarbeiten vorangeschritten?

Die Bauarbeiten werden bereits vorbereitet und beginnen 2023. Im Jahr 2028 soll das bogenförmige Gebäude fertig sein.

Wie groß sind die Regierungszentralen in anderen Staaten?

Das Bundeskanzleramt ist mit mehr als 25.000 Quadratmetern Nutzfläche aktuell schon größer als das Weiße Haus in Washington, D.C. oder der Élysée-Palast in Paris. Trotzdem soll das bestehende Gebäude um ein Zweites ergänzt werden. Die Bundesregierung widerspricht solchen Vergleichen und verweist auf der eigens für das Bauvorhaben eingerichteten Internetseite darauf, dass das Kanzleramt eher mit dem Executive Office des US-amerikanischen Präsidenten vergleichbar sein. Dort arbeiten etwa 2500 Beschäftigte. Denn direkt im Weißen Haus sei außer dem Präsidenten nur ein geringer Teil der Beschäftigten untergebracht.

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