Berlin. Unten Gemüse, oben Photovoltaikmodule: Die doppelte Nutzung von Wiesen und Äckern könnte Landwirtschaft und Stromproduktion fördern.

Die Energiewende soll schneller erfolgen – auch angesichts des Ukraine-Kriegs und steigender Energiepreise. In diesem Zuge drängt ein noch weitgehend unbekanntes Thema nach vorne: Die sogenannte Agri-Photovoltaik – ein Verfahren, das Flächen sowohl für die Landwirtschaft als auch für die Stromproduktion nutzt und damit Pflanzenanbau, Tierhaltung und Energieproduktion verbindet.

„Der entscheidende Vorteil besteht in der Doppelnutzung – Landwirtschaft und Stromerzeugung werden kombiniert“, sagt Daniel Kögler, Projektleiter der Energiegenossenschaft Solverde. So produzieren Solarzellen Strom über einem Feld, darunter wachsen weiterhin Gemüse, Getreide oder Obst. Der Vorteil: Die speziellen Solaranlagen können den Betrieben neue Einkommensquellen bieten.

Solverde ist eine Genossenschaft, der Menschen beitreten können, die beispielsweise im Umkreis der Anlagen wohnen. Eine Verzinsung der Einlagen von zwei bis vier Prozent pro Jahr wird versprochen. Projekte betreibt Solverde etwa in Lüptitz bei Leipzig und im baden-württembergischen Donaueschingen.

Nachhaltigkeit: Solarenergie und Landwirtschaft kombinieren

In Sachsen sind die langen Reihen der Solarmodule von Ost nach West schwenkbar, um der Sonne zu folgen. In den etwa zehn Meter breiten Zwischenräumen säht ein Landwirt Weißklee, der unter anderem Honigbienen als Nahrung dient. In Baden-Württemberg hat Solverde die PV-Zellen senkrecht fest montiert. Zwischen den Reihen wächst eine Magerwiese. Heu und Silage liefern Tierfutter. Zusätzlich beweidet manchmal eine Schafherde das Gelände.

Daneben existieren weitere Varianten der Agri-Photovoltaik. Im niedersächsischen Lüchow hat der Kräuter- und Gemüseproduzent Steinicke eine aufgeständerte Anlage bauen lassen. Unter den Solarmodulen in sechs Metern Höhe können die Landmaschinen übers Feld fahren. Insgesamt gibt es hierzulande aber erst wenige Projekte. Die meisten sind Forschungsvorhaben von Instituten und Hochschulen.

Bundestag und Bundesrat haben nun kürzlich das Erneuerbare Energien-Gesetz 2023 beschlossen – damit unter anderem die Flächen ausgeweitet, die für die Kombi-Produktion von Energie und Agrarerzeugnissen zur Verfügung stehen dürfen. Der Deutsche Bauernverband und die Umweltorganisation BUND äußerten sich grundsätzlich positiv.

Nachhaltige Solarkraft über Feldern: Neue Geschäfte für Landwirte

„Feldfrüchte und Grünland unter Strom sind gut für unsere Energieversorgung und eröffnen der Landwirtschaft neue Geschäftsfelder“, erklärte Thüringens Umwelt- und Energieministerin Anja Siegesmund (Grüne), als kürzlich die Fachhochschule Erfurt dem Land ein gigantisches Potenzial bescheinigte.

Gleichzeitig gab es aber auch Kritik. So sah der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Thüringen die Artenvielfalt in der Landwirtschaft in Gefahr. Und der Bauernverband des Landes beklagte den Mangel an leistungsfähigen Leitungen auf dem Land, was die Nutzung des Solarstroms erschwere.

Nicht alle Pflanzen kommen mit der Doppelnutzung zurecht

Agrarexperten weisen darauf hin, dass manche Pflanzen mit der Doppelnutzung nicht zurechtkommen: Mais braucht zum Beispiel viel Licht, keinen Schatten. Gleichzeitig können die Solardächer aber auch Pflanzen vor zu viel Sonne schützen.

Die Vorteile liegen grundsätzlich im riesigen Angebot sauberen Stroms. Die Agri-PV-Technologie hat sich in den vergangenen Jahren deshalb nicht nur in Deutschland dynamisch entwickelt. Sie ist in fast allen Regionen der Welt verbreitet, berichtet das Frauenhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE).

Die installierte Agri-PV-Leistung stieg exponentiell von rund 5 Megawatt im Jahr 2012 auf mehr als 14 Gigawatt im Jahr 2020. Staatlich gefördert wird die Technologie unter anderem in Japan, China, Frankreich, den USA und Korea.

Solarkraft: Viel Potenzial für Agri-Photovoltaik in Deutschland

In Deutschland sind 1700 Milliarden Watt zusätzliche Leistung von Agrarflächen möglich, errechnete das Fraunhofer Institut. Das entspricht der Leistung von 170 großen Kraftwerksblöcken. Strommangel würde damit hierzulande nicht mehr herrschen.

Einen zweiten Vorteil kann man an den Solverde-Projekten beobachten. Sie sind so konstruiert, dass sie wegen ihrer Ost-West-Ausrichtung „auch vormittags und nachmittags“ viel Solarstrom liefern, sagt Firmeningenieur Kögler. Heute dagegen fließt noch die meiste Solarenergie mittags, weil der größte Teil der Solaranlagen beispielsweise auf Hausdächern fest in Südrichtung installiert ist.

Und drittens können sich Vorteile aus der Kombination von Energie- und Pflanzenproduktion ergeben. Manche Kulturen wachsen gut auch an eher schattigen Orten, etwa Winterweizen, Kartoffeln, Sellerie und Schnittlauch. Die Solardächer können die Austrocknung des Bodens bei Hitze verlangsamen. Und von ihrem Schutz gegen zerstörerischen Hagel und Starkregen mögen Obstbäume und Weinreben profitieren.