Erfurt/Gera. Mehr als 200.000 Menschen traten 2018 deutschlandweit aus der katholischen Kirche aus. Thüringen liegt im Trend. Auch die Mitgliederzahlen der evangelischen Kirche gehen weiter zurück.

Den beiden großen Kirchen laufen in Thüringen die Gläubigen weg. Am Freitag haben neben der Deutschen Bischofskonferenz auch verschiedene Bistümer ihre Statistiken für das vergangene Jahr offengelegt. Auch die Evangelische Kirche Mitteldeutschland (EKM) hat ihre Zahlen präsentiert.

Die Zahl der Austritte aus der katholischen Kirche übertrifft im Bistum Erfurt wieder die 1000er-Marke. Insgesamt haben 1040 Frauen und Männer der Kirche im vergangenen Jahr den Rücken zugedreht.

Erinnerung: Im August 2018 stellt die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) eine Studie vor, die sich mit sexuellen Übergriffen durch Pfarrer befasst – und zu gravierenden Ergebnissen in der Betrachtung aller Bistümer und Erzbistümer kommt. Auch in Erfurt hatte es durch mehrere Pfarrer verübte Übergriffe gegeben, wie eine Analyse der Bistumsleitung zeigt.

Erneuter Rückblick: Im Jahr 2014 macht ein katholischer Bischof Schlagzeilen, weil er mehr als nur verschwenderisch mit Geld der katholischen Kirche umgegangen sein soll. 31 Millionen Euro beispielsweise soll die Residenz gekostet haben, die er in Limburg errichten ließt. Dabei soll seine Dienstwohnung allein sechs Millionen Euro gekostet haben – für den Vatikan zu viel. Der Papst setzte ihn ab.

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© Andreas Wetzel

Lösen Skandale die Austritte aus?

In dem Jahr erreichen die Austrittszahlen aus der katholischen Kirche im Bistum Erfurt einen Höhepunkt. 1371 Menschen sagen „Nein“ zu ihrer Kirche und verlassen sie. Zwischen 2014 und 2018 flaut die Zahl der Austritte deutlich ab. Peter Weidemann, Sprecher des Bistums Erfurt, sieht einen Zusammenhang zwischen Ereignissen wie der MHG-Studie und Limburg und den Kirchenaustritten.

„Es ist offensichtlich, dass in der Kirche Themen, Probleme, Entwicklungen und Vorkommnisse von überregionaler Bedeutung oder Ausstrahlung die Austrittszahlen erhöhen können“, sagt er dieser Zeitung. Ob es sich dabei immer um die Ursache des Austritts oder lediglich die Begründung handele – Weidemann: „Der berühmte Tropfen, der das Fass überlaufen lässt“ – könne hingegen nicht mit Sicherheit gesagt werden.

Denn: Beim Austritt aus der Kirche wird nach den Gründen nicht gefragt. Fakt sei aber, teilt der Bistumssprecher weiter mit, dass die Kirchenaustritte in der Diaspora etwa drei Mal so hoch sind, wie im Eichsfeld, das nach wie vor die Hochburg der Katholiken in Thüringen ist.

Im Dekanat Gera, das als einziges in Thüringen zum Bistum Dresden-Meißen gehört, bestätigt sich dieser negative Trend. Insgesamt 104 Menschen haben der Kirche hier abgeschworen. Für das Dekanat Gera ist die Zahl der Katholiken insgesamt auf unter 10.000 gesunken und erlebt damit, wie bei den Pfarreien im Bistum Erfurt, ebenfalls eine Talfahrt.

Kaum ein Katholik kehrt zurück

Bischof Heinrich Timmerevers sagt zu der Entwicklung: „Eine Zahl, die weh tut, die betroffen und nachdenklich macht. Auf der Suche nach den Ursachen und den Schlussfolgerungen bleibt viel zu tun.“

Wie reagiert die katholische Kirche auf die Austritte? Im Bistum Erfurt verfährt man nach der Maßgabe, dass es mit dem vollzogenen Akt eigentlich schon viel spät zum Handeln ist. „Eine bistumseinheitliche Regelung, wie damit umzugehen ist, gibt es nicht“, sagt Peter Weidemann. Er verweist aber auf die Möglichkeit der sogenannten Wiederaufnahme. Allein die Zahlen zeigen jedoch, dass die wenigsten Gläubigen den Weg zurück zur Kirche finden, wenn sie einmal den Entschluss zum Austritt gefasst haben. Im Bistum Erfurt stehen den 1040 Austritten im vergangenen Jahr lediglich 18 Wiederaufnahmen gegenüber und nur 19 Kircheneintritte. Im Dekanat Gera gibt es bei 104 Austritten nur eine Wiederaufnahme und vier Eintritte.

Daran wird deutlich, was Peter Weidemann als „meist längere Entfremdung“ beschreibt, die dem Austritt aus der Kirche vorausgegangen ist. Wichtig sei es deshalb, dass die Kirchenbindung im Vorfeld gestärkt werde. Ein attraktives Gemeindeleben und lebendige Gottesdienste seien der Kern; aber auch eine Beziehungskultur, bei der die Menschen mit ihren Sorgen und Nöten Ernst genommen werden, gehöre zwingend zum kirchlichen Leben dazu.

Die Zahl zu Ein- und Austritten in der Kirche für Erfurt und das Dekanat Gera stehen aber in einer Reihe mit der Gesamtbilanz, die von der DBK am Freitag präsentiert wurde. Denn hier stehen 216.078 Kirchenaustritte lediglich 6303 Wiederaufnahmen und 2442 Eintritten gegenüber.

Weniger Kinder und Erwachsene getauft

In den katholischen Gebieten werden immer weniger Kinder getauft. In den vergangenen vier Jahren ging die Anzahl um 99 auf jetzt nur noch 1.100 in den Gemeinden des Bistums Erfurt zurück. 23 Taufen kommen aus dem Dekanat Gera noch hinzu.

Auch die Zahl der Erwachsenentaufen nimmt ab. 26 waren es im vergangenen Jahr. 2015 registrierte das Bistum Erfurt 39.

Statistisch bemerkenswert ist daneben die rückläufige Zahl der Bestattungen, was allerdings nicht gleichbedeutend mit der Anzahl der verstorbenen Katholiken zu sehen ist. Nicht jeder Verstorbene, sagt Bistumssprecher Weidemann, würde durch die Angehörigen kirchlich bestattet. 2018 wurden insgesamt 1370 Personen in den 45 Pfarreien des Bistums bestattet. Hinzu kommen die 102 Bestattungen aus dem Dekanat Gera.

Mitgliederschwund bei evangelischer Kirche

Auch die Mitgliederzahlen bei der evangelischen Kirche gehen weiter zurück. In Thüringen, wo die Evangelische Kirche Mitteldeutschland (EKM) mit mehr als 400.000 Gläubigen die mit Abstand größte Zahl der Mitglieder hat, verzeichnet sie naturgemäß auch den stärksten Rückgang – gemessen an absoluten Zahlen. Im Vergleich zu 2017 gehören der evangelischen Kirche in Thüringen 13.625 Gläubige weniger an.

Insgesamt zählt die EKM in den Bundesländern Thüringen, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Brandenburg 691.669 Menschen. Die Zahl der Kirchenmitglieder sank im Vergleich zum Vorjahr um 20.360, das sind rund 2,9 Prozent. Während im Vorjahr die Zahl der Kirchenaustritte kurzzeitig zurückgegangen war, stieg sie nun wieder an: 6102 waren es 2018 gegenüber 5631 im Jahr 2017. Gleichzeitig wurden 5127 neue Mitglieder gezählt.

„Die aktuellen Zahlen geben mir einen Stich“, sagt Propst Christoph Hackbeil, Regionalbischof für den Propstsprengel Stendal-Magdeburg. „Der erneute Rückgang ist zwar vor allem durch demografische Faktoren verursacht, aber auch Austritte spielen eine Rolle. Hinter jedem Austritt steht die Entscheidung eines Menschen, sich von der Gemeinschaft der Kirche zu trennen. Das schmerzt und sollte mit einem Gesprächsangebot, mit der Nachfrage nach Gründen verbunden sein“, so Hackbeil.

Ein Lichtblick: Die Zahl der Erwachsenen, die den Weg zum evangelischen Glauben finden, steigt seit 2016 an, was an der Zahl der Erwachsenentaufen ablesbar ist. Die Zahl der Erwachsenentaufen ist 2016 spürbar angestiegen und seitdem etwa gleichbleibend hoch – 901 Menschen ab 14 Jahren ließen sich voriges Jahr taufen. Dazu gab es 547 Aufnahmen, drei mehr als 2018, so dass 5246 neue Mitglieder dazu kamen.

„Es sind fast 1000 Menschen jährlich, die in der EKM ein Ja zu einem Leben mit Jesus sagen. Das strahlt in ihre Umgebung aus, belebt auch kleiner gewordene Gemeinden und bestätigt den Kurs unserer Kirche, Schwellen abzubauen, neue Gemeindeformen zu erproben und fantasievoll zum Glauben einzuladen“, meint er.