Berlin. Die Zahl der Abgeordneten ist in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen. Damit soll nun Schluss sein. Die Opposition schäumt.

Seit Jahren streiten die Parteien über eine Verkleinerung des Bundestags. Die Große Koalition brachte keine grundlegende Reform zustande, das will nun die Ampel-Koalition erledigen: SPD, Grüne und FDP haben sich auf eine Wahlrechtsreform verständigt. Ziel ist es, den Bundestag von derzeit 736 auf dauerhaft 630 Abgeordnete zu verkleinern ­- und zwar ab der Wahl 2025. Bereits in dieser Woche will die Ampel die Pläne durch den Bundestag bringen. Die Opposition läuft Sturm. Ein Überblick.

Warum braucht es eine Reform des Wahlrechts?

Der Bundestag ist im Laufe der Zeit immer größer geworden. 2013 gehörten ihm 631 Mitglieder an. Nach der Wahl 2017 waren es 709, nach dem Urnengang 2021 sogar 736. Ursache ist das deutsche Wahlrecht mit Erst- und Zweitstimme. Mit der ersten Stimme wählen die Bürger direkt ihren Wahlkreisabgeordneten, mit der zweiten eine Parteienliste auf Landesebene. Nach den bisher gültigen Regeln führt das im Sechs-Parteien-System im großen Stil zu so genannten Überhang- und Ausgleichsmandaten. In der Folge wächst das Parlament. Seine Sollgröße liegt bei nur 598 Abgeordneten – die Hälfte soll direkt gewählt werden, die andere Hälfte über Listen einziehen.

Was hat es mit den Überhang- und Ausgleichsmandaten auf sich?

Gewinnt eine Partei bei der Bundestagswahl in einem Land über Erstimmen mehr Wahlkreise, als ihr dort nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen, werden ihr Überhangmandate zugesprochen. Die anderen Parteien erhalten Ausgleichsmandate. Wird das Parlament aufgebläht, leidet seine Arbeitsfähigkeit. Außerdem entstehen hohe Kosten.

Was plant die Ampel?

Der Bundestag soll auf jeden Fall nur noch 630 Mitglieder haben. Das wären also 106 weniger als im Moment, aber 32 mehr als die Sollgröße von 598. Die Zahl der Wahlkreise wird erst einmal nicht verändert, es bleibt bei 299. Die Überhang- und Ausgleichsmandate sollen wegfallen. Es kann dadurch künftig passieren, dass ein Kandidat einen Wahlkreis direkt gewinnt, aber dennoch nicht in den Bundestag einzieht. In einem ersten Entwurf wollten die Koalitionäre die Zahl der Mandate per Gesetz auf 598 begrenzen. Sie korrigierten die Zahl nun aber um 32 nach oben, damit es seltener vorkommt, dass ein siegreicher Direktkandidat am Ende ohne Mandat dasteht. Wegfallen soll auch die Grundmandatsklausel: Sie sieht vor, dass eine Partei, die weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen holt, durch den Gewinn von drei Direktmandaten dennoch in den Bundestag einziehen kann.

Wie begründete die Ampel das Vorhaben?

Der SPD-Obmann Sebastian Hartmann sagte am Montag, der Bundestag stelle jetzt nach jahrelanger Debatte die eigene Reformfähigkeit unter Beweis. Geplant sei jetzt „ein einfaches, ein faires, ein transparentes Wahlrecht“. Es gehe nicht darum, einzelne Parteien zu übervorteilen. Der Grünen-Abgeordnete Till Steffen sagte, es gehe darum, die Handlungsfähigkeit des Bundestags zu sichern. FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle erklärte, die Union sei „herzlich eingeladen“, dem Entwurf zuzustimmen.

Wie stehen Union und Linke zu den Plänen?

CDU/CSU-Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei nennt die Pläne „verfassungsrechtlich und verfassungspolitisch problematisch“. Er warnt vor „massiven Akzeptanzproblemen“, wenn es künftig Wahlkreise ohne direkt gewählten Abgeordneten gibt. Das dürfte insbesondere bei hart umkämpften Wahlkreisen der Fall sein. Die Union werde die aktuellen Ampel-Pläne im Bundestag ablehnen. CSU-Chef Markus Söder bezeichnete das Vorhaben als „Attacke auf unsere Demokratie“. Die Union sei aber bis zur letzten Sekunde gesprächsbereit. Es ist davon auszugehen, dass sie eine Verfassungsklage einreicht, falls die Ampel ihre Pläne durchsetzt. Linken-Fraktionsgeschäftsführer Jan Korte warf der Ampel vor, seine Partei „politisch platt“ machen zu wollen.

Profitieren die Oppositionsparteien vom bisherigen Wahlrecht?

Ja. CSU und CDU sind bislang die größten Profiteure des Systems von Überhangmandaten. Zuletzt hatte die Union vorgeschlagen, die Zahl der Wahlkreise auf 270 zu reduzieren, die Überhang- und Ausgleichsmandate aber beizubehalten. Die Linke wiederum ist derzeit nur wegen der Grundmandatsklausel als Fraktion im Bundestag vertreten. Auch für die CSU könnte sich der Wegfall dieser Klausel eines Tages bemerkbar machen: Ihre zahlreichen Direktmandate in Bayern wären wertlos, wenn sie aufs Bundesgebiet hochgerechnet weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen auf sich vereinen würde. Das ließe sich aber umgehen, indem sie bei einer Bundestagswahl gemeinsam mit der CDU anträte – und für die Union exklusiv die bayerische Landesliste aufstellen würde. Bei der Wahl 2021 holte die CSU bundesweit 5,2 Prozent der Zweitstimmen.

Was sagen unabhängige Experten?

Der Berliner Staatsrechtler Alexander Thiele sagte unserer Redaktion, er halte die Pläne der Koalition für „ebenso sinnvoll wie verfassungsgemäß“. Thiele ergänzte: „Der Vorschlag der Ampel setzt das Verhältniswahlrecht konsequent um und erreicht gleichzeitig das Ziel einer Verkleinerung des Bundestags.“ Die Verkleinerung treffe alle Parteien gleichermaßen, das Wahlrecht bleibe nachvollziehbar. Nach Thieles Einschätzung dürfte die Zahl derjenigen Kandidaten, die einen Wahlkreis gewinnen und am Ende dennoch ohne Mandat bleiben, „im kleinen einstelligen Bereich liegen“. Um die Ziele der Reform insgesamt zu erreichen, lasse sich dies rechtfertigen.