Erfurt. Der in einer Formkrise steckende Thüringer Top-Sprinter sieht sich heftigen Attacken ausgesetzt. Sein Rennstall bittet zum Krisengespräch.

Die Kritik an Marcel Kittel war deutlich, mitunter grenzte sie an Verleumdung. Der Top-Sprinter sei „unprofessionell“ und trinke „zu viel Bier und Wein“, giftete der frühere Profi Jurgen Van Den Broeck im belgischen Fernsehen nach Kittels schwacher Leistung beim Scheldeprijs. Der 14-malige Tour-Etappensieger – ein Lebemann mit mangelhafter Einstellung?

Kittel setzte sich mit Nachdruck zur Wehr. „Es ist einfach, auf einen am Boden liegenden Mann einzuhauen“, schrieb der 30-Jährige in Sozialen Medien: „Ich mache eine schwierige Phase durch und bin jedem dankbar, der mich unterstützt. All jenen, die gerade Schlagzeilen auf meine Kosten machen: Genießt eure Minute Ruhm.“

Kittels Manager Jörg Werner reagierte irritiert und verärgert. „Was soll ich sagen? Das ist der größte Blödsinn, den ich je gelesen habe. Wo hat er das her?“, schrieb Werner dem Fachportal cyclingnews.com per Email. Van den Broeck wolle sich mit seinen Aussagen lediglich wichtig machen. „Marcel lebt hochprofessionell!“, verdeutlichte Werner.

Wo Kittels Problem auch liege, es sei nicht seine Einstellung zum Sport: „Und das Team weiß das genauso.“ Auch von Kollegen bekam Kittel Rückendeckung. „Sogar wenn du morgen aufhörst, wirst du immer eine Legende dieses Sports sein. Das kann dir keiner nehmen“, entgegnete der US-Radprofi Taylor Phinney. Unbestritten bleibt aber, dass Kittel seiner Form hinterher fährt.

Sportliche Führung verliert offenbar die Geduld

Der 99. Platz mit 4:36 Minuten Rückstand beim Scheldeprijs, einem Rennen, das der 30-Jährige fünf Mal gewonnen hat, war ein Debakel – und nicht das erste im Trikot von Katusha-Alpecin. Bereits Ende März bei Driedaagse Brugge-De Panne hatte Kittel enttäuscht.

Kittel hatte die Saison 2019 mit einem Sieg bei der Mallorca Challenge eigentlich erfolgreich begonnen. Er schien auf einem guten Weg, das verkorkste Jahr 2018, das in den teaminternen Querelen mit dem damaligen Sportdirektor Dmitri Konyschew bei der Frankreich-Rundfahrt gipfelte, vergessen zu machen. Inzwischen zeigt die Formkurve wieder steil nach unten.

Die sportliche Führung verliert offenbar zunehmend die Geduld. „Es kann so nicht weitergehen“, sagte Sportdirektor Dirk Demol, der als Stütze für Kittel neu zum Team gekommen war. „Ehe er wieder an Rennen denken kann, müssen wir ihn zurück in die Spur bringen. Wir dürfen nicht weiter nach Ausreden suchen, wir müssen dringend reden“, sagte Demol.

Das Team wolle sich in den kommenden Wochen mit Kittel und seinen Trainern zusammensetzen. „Ein Krisentreffen“, betonte Demol, der allerdings den Thüringer ermutigte: „Wir sind überzeugt davon, dass er immer noch zu den drei schnellsten Fahrern der Welt gehört, wenn er in Topform ist. Wir lassen ihn nicht fallen.“

Kommentar: Brüchiger Burgfrieden für Marcel Kittel