Leinefelde. Fahnen, Blasmusik und feucht-fröhliche Geselligkeit: Der Höcke-Flügel der AfD feiert sich bei seinem Jahrestreffen als Speerspitze der Retter des Abendlandes. Parteichef Gauland mahnt zur Vorsicht. Er will vor den Landtagswahlen im Osten keine Skandale mehr.

„Ich bin nicht bereit, einen Quadratzentimeter dieses Landes aufzugeben. Das ist mein Land. Das ist unser Land. Und da steh‘ ich drauf, oder ich liege drunter.“ Im Stammtisch-Ton geht es weiter. Andreas Kalbitz, der Landes- und Fraktionschef der AfD in Brandenburg, kommt gerade erst so richtig in Fahrt. Er appelliert an seine Gesinnungsgenossen vom Rechtsaußen-„Flügel“ der AfD, sich ganz und gar in den Dienst der gemeinsamen Sache zu stellen.

Vor 800 Parteifreunden und Gästen in der Mehrzweckhalle von Leinefelde ruft Kalbitz auf zum „Widerstand“. Er warnt vor dem angeblich drohenden Verlust von Tradition, Heimat und Identität. „Mein abbezahltes Reihenhaus ist im Kalifat ganz genau gar nichts wert“, sagt Kalbitz.

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Heimat in Gefahr

Rassistische Attacken auf einzelne Zuwanderergruppen oder Reizwörter wie „Bevölkerungsaustausch“, bei denen der Verfassungsschutz automatisch hellhörig wird, vermeiden die Redner. Der Grundtenor ist beim jährlichen „Kyffhäusertreffen“ des „Flügels“ jedoch ähnlich wie in den Jahren zuvor: Zuwanderung ist bedrohlich, Integration unmöglich bis unerwünscht, die von Windrädern verschandelte Heimat in Gefahr.

Nur die sprachlichen Verrenkungen sind jetzt, wo der Verfassungsschutz den „Flügel“ als rechtsextremistischen „Verdachtsfall“ eingestuft hat, anstrengender. Der Thüringer AfD-Landeschef und „Flügel“-Gründer Björn Höcke wartet in seiner viel beklatschten Rede mit der These „Identität erzeugt Solidarität“ auf. Dann verliert er sich in einem mäandernden Satz-Ungetüm. Er spricht von einem Menschen, den man „als gleich geartet identifiziert, erlebt, mit ihm im Austausch ist, mit ihm gemeinsame Verantwortungsräume gestaltet, im Ort, in den Kommunen, indem man merkt, man kann Vertrauen zu dem anderen schöpfen“.

Machtkämpfe innerhalb der AfD

Parteichef Jörg Meuthen ist diesmal nicht zum „Flügel“-Treffen gepilgert. Er war zuletzt etwas auf Distanz zu der Vereinigung gegangen, die zwar keine formale Mitgliedschaft kennt, aber in vielen AfD-Landesverbänden starke Seilschaften unterhält. Vor allem in den beiden größten Landesverbänden Bayern und Nordrhein-Westfalen liefern sich die „Flügler“ und diejenigen, die sich selbst als bürgerlich und gemäßigt bezeichnen, erbitterte Machtkämpfe.

AfD in der Pubertät

Der Co-Vorsitzende Alexander Gauland sieht durch die Entgleisungen einiger Rechtsausleger der Partei sein Ziel in Gefahr, die AfD zu einer neuen Heimat für enttäuschte Rechtskonservative zu machen. Wie ein wohlmeinender Onkel redet der 78-Jährige den „Flügel“-Anhängern in Leinefelde ins Gewissen. Er sagt, die AfD sei zur Zeit „praktisch in der Pubertät“. Teenager provozieren gerne, testen ständig Grenzen aus. Das könnte Wähler abschrecken. „Die Lage ist zu ernst, und wir können keine Zeit mehr vertrödeln beim Erwachsenwerden“, mahnt Gauland.

Uwe Witt aus NRW hat sich über diese Ermahnung gefreut. Der Bundestagsabgeordnete ist Mitglied der „Alternativen Mitte“ in der AfD, die sich als Sammelbecken der Gemäßigten versteht. Witt sagt: „Man merkt schon, dass einige wach geworden sind.“

Der Bundestagsabgeordnete Tino Chrupalla verzichtet bei öffentlichen Veranstaltungen meist auf schrille Töne. 2017 jagte er dem damaligen sächsischen CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer in Görlitz das Direktmandat ab. Chrupalla werden in der Partei gute Chancen nachgesagt, Gauland zum Jahresende als Parteivorsitzender zu beerben.

Der Malermeister aus Görlitz ist an diesem Wochenende zum ersten Mal beim „Kyffhäusertreffen“. Will er sich vielleicht dem „Flügel“ anschließen? Seine Antwort: „Das brauche ich nicht, ich bin Sachse.“

Höcke gegen AfD-Bundesvorstand

Dennoch: Wer sich mit dem „Flügel“ anlegt, hat es bei parteiinternen Wahlen in den vergangenen Jahren meist oft schwer gehabt. Das musste auch der Berliner AfD-Landeschef Georg Pazderski erleben, als er Ende 2017 vergeblich für das Amt des zweiten Parteivorsitzenden neben Meuthen kandidierte. Am Schluss blieb ihm nur der Vize-Posten.

Höcke schimpft beim „Flügel“-Treffen auf den Bundesvorstand und die „Spalter“ in der Partei. Namen nennt er nicht. Sollte es in Thüringen auf einen Regierungswechsel hinauslaufen, wolle er sich „zum ersten Mal mit großer Hingabe und mit großer Leidenschaft der Neuwahl des Bundesvorstandes hingeben“, sagt Höcke. Ob er nur Strippen ziehen oder gleich selbst antreten will, bleibt offen. Seinen Anhängern ruft er zu: „Ich kann Euch garantieren, dass dieser Bundesvorstand in dieser Zusammensetzung nicht wiedergewählt wird.“

Für manche „Flügel“-Gegner in der AfD ist das von netzpolitik.org veröffentlichte Gutachten des Verfassungsschutzes zum „Verdachtsfall“ eine willkommene Argumentationshilfe. Überzogene Kritik an den Lautsprechern ihrer Partei halten sie dagegen für kontraproduktiv. Sie sagen, dadurch entstehe eine „Wagenburg-Mentalität“, die Konservative und Rechtsradikale zusammenschweiße.

Merz: Rechtsradikaler Flügel

Die CDU-Spitze hat mit Blick auf die im Herbst anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen betont, eine Zusammenarbeit mit der AfD sei ausgeschlossen. Der frühere Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) sieht das für die AfD in ihrer heutigen Form auch so, geht aber etwas differenzierter an die Frage heran.

Der Dresdner „Morgenpost am Sonntag“ sagt er, „der Verfassungsbogen, innerhalb dessen politische Meinungen sehr unterschiedlich sein können, die aber immer noch zum demokratischen Grundkonsens zählen, endet mitten in der AfD“. Und: „Solange diese Partei ihren rechtsradikalen Flügel, der außerhalb dieses Verfassungsbogens steht, duldet oder sogar fördert, ist diese Partei als Ganzes für die CDU weder kooperations- noch koalitionsfähig.“