Elena Rauch über weiblichen Opportunismus

Zu den größten Verrätern persönlicher Eigenarten gehört der Kühlschrank. Ein Blick hinein, und man bekommt einen recht guten Überblick, mit wem man es zu tun hat. Das hat vor einigen Jahren ein cleverer Kühlschrankproduzent genutzt und eine Dating-App entwickelt. Zeige mir deinen Kühlschrank und ich sage, ob wir zusammenpassen. Liebhaber von Rosenkohl zum Beispiel haben ganz schlechte Karten, auf diesem Weg ihren Seelenzwilling zu finden. Das Gemüse taucht nicht einmal in einem Ranking des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft auf.

Ich mag es auch nicht sonderlich, aber so viel Ausgrenzung hat kein Gemüse verdient. Wenn ich damit nicht ein Tabu in unserer kleinen WG brechen würde. Irgendwann in einer sehr intimen, sehr schwachen Stunde muss mir mein Mitbewohner seine Abneigung gegen Rosenkohl gestanden haben. Als kluge Frau habe ich Vertrauen aufgebaut und ihm umgehend Recht gegeben. Ein schönes Beispiel für den Opportunismus, zu dem eine Frau fähig ist, wenn es um das sensible Gesamtgefüge Mann geht. Ich nämlich würde dem Rosenkohl wenigstens eine Chance geben.

Vor einigen Tagen wäre es beinahe zum Äußersten gekommen, als in den bestellten Einkäufen, die er aus dem Supermarkt abholte, ein verirrtes Netz mit Rosenkohl lag. Ich habe beim Online-Bestellen schon versehentlich drei statt eines Kohlkopfes geordert, das wäre eine Gelegenheit gewesen, sich als proaktiver, kritisch hinterfragender Mann zu beweisen. Doch er schleppte sie alle nach Hause. Aber wehe, er findet ein paar unschuldige Rosenkohlköpfchen in der Einkaufskiste! Da wird sofort Alarm geschlagen und reklamiert. Dabei: Ich hätte es getan. Hätte etwas ausprobiert, das Unaussprechliche getarnt oder untergemischt. Ich schließe nicht aus, dass ihm das gar nicht aufgefallen wäre. Das darf er nie erfahren.